Einigung in Griechenland-Frage – deutsches Grexit-Papier spaltet Gipfel
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• Das gesamte Wochenende über haben zunächst die Finanzminister und im Anschluss die Staats- und Regierungschefs der 19 Eurostaaten zusammengesessen, um über den neuen griechischen Hilfsantrag beim ESM zu beraten. Hierbei ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob Verhandlungen über ein drittes Kreditpaket aufgenommen werden sollen oder für Griechenland eine Staatspleite und das Verlassen der Eurozone („Grexit“) bevorsteht. Trotz mehr als 16-stündigen Beratungen ließ die Einigung bis heute Morgen auf sich warten.
• Nach dem Referendum hat die griechische Regierung einen Programmantrag vorlegen müssen. Dieser in einigen Punkten sehr weitgehende, teilweise das Referendumsergebnis konterkarierende Antrag ging am Donnerstag in Brüssel ein. Die Experten von IWF, EU-Kommission und EZB kamen zu dem Ergebnis, dass die griechischen Reformvorschläge „unter gewissen Bedingungen eine Grundlage für Gespräche“ über ein drittes Programm darstellen. Allerdings wurde bereits beim Treffen der Finanzminister der Eurozone deutlich, dass es unter ihnen noch immer große Vorbehalte gab. Einige führten das Volumen des Programms für ihre kritische Haltung an, andere betonten mangelndes Vertrauen in die Vorschläge der griechischen Regierung.
• Für großen Wirbel sorgte ein Papier aus dem Bundesfinanzministerium, in dem ein „Grexit auf Zeit“ von mindestens fünf Jahren ins Spiel gebracht wurde. Dieses Ansinnen wurde von mehreren Eurostaaten zurückgewiesen, insbesondere aus Frankreich, Italien und Österreich kam scharfe Kritik. Auch innerhalb der großen Koalition sorgte das Schäuble-Papier für Irritationen. Dieser Vorschlag macht im Vergleich zum ohnehin bekannten „Grexit-Szenario“ auch wenig bis gar keinen Sinn, es sei denn, man wollte den Druck auf die griechische Regierung durch die explizite Grexit-Benennung nochmals erhöhen.
• Bei den Verhandlungen drohte zwischendurch eine Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern. Wären die Gespräche gescheitert, hätte dies sicher unabsehbare Folgen für die europäische Politik gehabt. Die Einigung sieht nun vor, dass Griechenland bis Mittwoch weitgehende Schritte beschließt, u.a. die Mehrwertsteuerreform, Anpassungen im Rentensystem, eine Reform des Insolvenzrechts und Maßnahmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Statistikbehörde Elstat. Zudem bleibt der IWF an Bord. Das Gesamtvolumen des Paketes wird auf rund EUR 80 Mrd. beziffert, wobei ein veritabler Teil für die Rekapitalisierung der Banken vorbehalten ist. Automatische Ausgabenkürzungen sind wenig sinnvoll, wirken sie doch wie „automatische Destabilisatoren“. Zur Beurteilung der Schuldentragfähigkeit ist es noch zu früh.
• Wir rechnen damit, dass Tsipras trotz erheblicher Widerstände eine breite Mehrheit im Parlament erreicht. Eine Ablehnung wäre wie russisches Roulette mit einer Kugel in jeder Kammer. Auch an den Märkten scheint diese Einschätzung vorzuherrschen: Deutsche Bundesanleihen gerieten unter Druck, die Rendite 10-jähriger Anleihen kletterte bis auf 0,95%. Zugleich kam es bei Staatsanleihen aus Südeuropa parallel zu Renditeabschlägen, die Spreads engten sich entsprechend ein. Der DAX startete fest in den Handel und der Euro hielt etwa das Niveau vom Freitag. Für die EZB ist damit der Weg frei, den ELA-Maximalbetrag ohne nochmalige Einschränkungen zumindest auf dem aktuellen Niveau zu halten und ab Mittwoch erhöhen zu können. Auf Kapitalverkehrskontrollen wird Griechenland jedoch auf absehbare Zeit kaum verzichten können.
• Fazit: Nach einem Marathongipfel gibt es eine Einigung auf ein drittes Kredit-Programm für Griechenland. Zuvor muss Griechenland in Vorleistung gehen und umfangreiche Maßnahmen beschließen. Ein Grexit – auch ein „vorübergehender“ – dürfte damit aber vom Tisch sein. Für Tsipras brechen schwere Zeiten an, aber auch die europäische Politik kommt nicht ohne Blessuren aus dem Wochenende. Auf allen Seiten wurde Porzellan zerschlagen. Über die institutionelle Verfasstheit und die Problemlösungsfähigkeit der Eurozone muss man sich – trotz der Einigung – einmal mehr ernsthafte Gedanken machen.
Quelle: Nord/LB
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