Kommentar
12:12 Uhr, 06.10.2017

Dramatische Fehleinschätzung der Zins- und Inflationsentwicklung

Alle Welt rätselt, ob sich die Lage bei Zinsen und Inflation jemals wieder normalisieren wird. Da kommt folgende Erkenntnis vielleicht überraschend: die Normalität ist praktisch schon erreicht.

Alles ist relativ, so auch die Interpretation der aktuellen Inflationsraten. Inzwischen haben uns Notenbanken so lange erzählt, dass die Inflation niedrig ist, dass wir es ohne zu hinterfragen glauben. Dabei kommt alles auf die Perspektive an. Betrachtet man die Teuerungsraten seit 1955 kann man nur sagen, dass die Inflation tatsächlich historisch niedrig ist (Grafik 1).

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Diese Aussage gilt ganz besonders für Frankreich und Spanien. Für andere Länder lässt sich das so nicht sagen. Die USA hatten bereits von 1958 bis 1966 eine Phase besonders niedriger Inflation. Es ist also nicht so, als ob es so etwas noch nie gegeben hätte.

Trotzdem muss man zugeben: im Vergleich zu den letzten 60 Jahren ist die Teuerung ziemlich moderat. Nun kann man sich fragen, ob das der richtige Maßstab ist. Vergleicht man die aktuellen Inflationsraten mit den letzten 20 Jahren (Grafik 2), sieht die Sache anders aus. Die Teuerung war zwar zeitweise niedrig, doch im Vergleich kann man nicht sagen, dass es beunruhigend war.

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Das gilt für einige Länder mehr als für andere. In Deutschland befinden wir uns schon fast in einer Hochinflationsphase. Die Teuerung lag zuletzt bei 1,8 %. Das entspricht exakt dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Steigt die Inflation auch nur im zweiten Nachkommabereich an, weist Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Inflationsrate aus. So viel also zu der Behauptung, die Inflation sei zu niedrig.

In Japan ist die Inflationsrate heute in etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Die USA nähern sich dem Durchschnitt. Frankreich, Spanien und Kanada sind von diesem Durchschnitt noch ein wenig entfernt, doch mit der Stabilisierung der Rohstoffpreise ist es vermutlich nur eine Frage von Monaten, bis auch hier wieder von Normalität gesprochen werden kann.

Hinter den Kulissen baut sich indessen weiterer Inflationsdruck auf. Grafik 3 zeigt die Lage in den USA. Lohnentwicklung und Partizipationsrate der Erwerbsbevölkerung am Arbeitsmarkt gehen auseinander. Das ist ein vorübergehendes Phänomen. Es ist absehbar, dass die Löhne in den USA 2018 einen Sprung nach oben machen werden. Das wiederum wird sich durch höhere Konsumausgaben auch in den Inflationsraten widerspiegeln.

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In Deutschland ist die Situation sehr ähnlich. Auch in Kanada und Australien lässt sich das beobachten. Dies deutet alles darauf hin, dass das Ausmaß der derzeitigen Inflationsrate und die Prognosen viel zu konservativ sind. Der Markt preist Assets immer noch so, als ob die Inflation bei 0 % läge.

Das ist eine eklatante Fehleinschätzung. Man kann es Anlegern nicht verübeln. Auch die Notenbanken schätzen die Lage viel zu konservativ ein. Die Normalität bei der Inflation ist viel näher als viele denken. Das wird sich auch auf die Zinsen auswirken. Viele halten höhere Zinsen für nicht tragbar, doch das ist so nicht korrekt.

Regierungen schieben horrende Schuldenberge vor sich her. Deswegen können die Zinsen trotzdem steigen. Wichtig ist lediglich, dass die Zinsen weniger stark steigen als die Inflation. Die Realzinsen sind für die Tragbarkeit von Schulden ausschlaggebend und derzeit sind die Realzinsen sehr niedrig. Das ändert sich bei dem Inflationsausblick auch nicht, selbst wenn die Zinsen um 1 oder 2 Prozentpunkte steigen. Dieser Anstieg wird von der Inflation mehr als wettgemacht.

Zusammenfassend ergibt sich der Eindruck, dass Anleger und Notenbanker die Inflation unterschätzen und die Zinsen aus diesem Grund noch immer tief halten – zu tief. Ich erwarte hier die eine oder andere Überraschung.

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  • Löwe30
    Löwe30

    "Lohnentwicklung und Partizipationsrate der Erwerbsbevölkerung am Arbeitsmarkt gehen auseinander. Das ist ein vorübergehendes Phänomen."

    In Deutschland war dieses "vorübergehendes Phänomen" immerhin rund 24 Jahre! Siehe hier: https://www.querschuesse.de/deutschland-reallohnin...

    Zitat: "Während die Produktivität je geleisteter Arbeitsstunde von 1992 bis Q4 2016 um +39,0% zulegte, stieg der Reallohnindex (über vier Quartale gleitend) seit 1992 um +6,2%."

    Damit war die Partizipationsrate seit 1992 in Deutschland praktisch vernachlässigbar klein. Ich fürchte, sie wird in den nächsten Jahren aufgrund der EZB Politik und der Belastungen durch die wachsende EU- Bürokratie (Wenn es nach Macron geht, kommen ja etliche neue Ministerien mit tausenden Beamten dazu) und die Flüchtlingspolitik von Merkel eher geringer.

    Eine wesentliche Ursache ist übrigens die Inflationierung der Geldes durch die Zentralbanken. Die wurde ja auch von der Bundesbank vor Einführung des Euro betrieben.

    16:47 Uhr, 06.10. 2017
    1 Antwort anzeigen
  • Löwe30
    Löwe30

    Bitte nicht Inflation und Teuerungsrate gleichsetzen!

    16:21 Uhr, 06.10. 2017
  • Joey-the-bee
    Joey-the-bee

    Herr Schmale es scheint Sie setzen diesmal auf das richtige Pferd. Ihre Sprunghafte Meinung sollten Sie glätten... Ich weiß nur mit reißerischen Artikel bekommt man Klicks...Die Inflation kann keiner aufhalten

    14:22 Uhr, 06.10. 2017
  • Elchness
    Elchness

    Spanische 10-Jahre-Anleihen bringen 1,688 % Zins. Die Inflation in Spanien liegt laut Grafik in etwa gleich, vielleicht bei 1,8% oder so, ist schwer zu erkennen.

    Für Spanien gilt also, dass die Zinsen nicht weiter steigen dürfen, weil sie sonst höher als die Inflation sind.

    Und genau deshalb wird die EZB die Zinsen auch niedrig halten müssen und etwas von niedriger Inflation faseln.

    13:46 Uhr, 06.10. 2017
  • Elchness
    Elchness

    Die Lohnentwicklung könnte der Partizipationsrate demnächst folgen. Oder halt auch nicht. Es gibt kein Gesetz, dass sie das tun muss.

    Es gibt durchaus Gegenargumente: Weil vor allem Billiglohnjobs aufgebaut wurden und die werden auch nächstes Jahr nicht wesentlich besser bezahlt werden. Stattdessen könnte die Partizipationsrate auch wieder nach unten sinken, denn diese Jobs werden bei Bedarf genauso schnell gestrichen, wie sie aufgebaut wurden.

    13:41 Uhr, 06.10. 2017
  • 1 Antwort anzeigen
  • tschak
    tschak

    sehr gut recherchiert! Vielen Dank - fast schon (wieder) genial - einfache - Insights !!

    12:39 Uhr, 06.10. 2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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