Kommentar
16:39 Uhr, 29.08.2017

Draghis "bahnbrechende" Rede in Jackson Hole

Mit großer Spannung wurde die Rede von Mario Draghi erwartet. Er lieferte, nur nicht das, was die meisten erwartet hatten.

Die Augen der Finanzwelt waren am vergangenen Freitag auf Jackson Hole gerichtet. Die wohl wichtigsten zwei Notenbanker der Welt hielten ihre Reden. Sowohl Janet Yellen als auch Mario Draghi lieferten dabei hochinteressante Einblicke. Diese hatten allerdings überhaupt nichts mit der Geldpolitik zu tun.

Man gewann bei den Reden fast den Eindruck, als wollten die Notenbanker das Thema Geldpolitik absichtlich aussparen. Sie machten einen extrem weiten Bogen darum herum. Das war wohl auch besser so. Es hätte den zuletzt etwas nervösen Markt nur auf dumme Gedanken bringen können.

Trotzdem waren die Reden nicht uninteressant. Yellen verteidigte die Regulierung und stellte sich somit indirekt gegen Trump. Draghi tat es ihr gleich. Er redete über die Vorzüge einer offenen Wirtschaft, des internationalen Handels und enger internationaler Zusammenarbeit. Das sind alles Positionen, die die US-Administration derzeit gar nicht vertritt.

Draghi brachte die Probleme, die wir aktuell haben, auf den Punkt. Im Kern geht es bei den Problemen immer noch um ein Übermaß an Schulden. Immerhin entstand die Finanzkrise wegen Überschuldung der Privathaushalte. Das wurde durch zu laxe Regulation ermöglicht. Am Ende türmten sich die Verluste bei Banken, die durch Staaten gerettet werden mussten. Die Schulden wurden letztendlich von Staaten übernommen.

Gleichzeitig sank die Wirtschaftsleistung. Die Verschuldung, also die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, sprang nach oben. In Deutschland lag die Verschuldung 2008 bei 65 %. Ein Jahr später erreichte sie 73 % und 2010 dann 81 %. In den USA ging es von 68 % auf 82 % und 92 % nach oben. Spaniens Verschuldung stieg von 40 % auf 60 % und erreichte 2014 ein Hoch bei 100 %. Den Vogel schossen vermutlich Irland und Griechenland ab. Irland hatte 2007 eine Verschuldung von 24 %. Innerhalb von 5 Jahren wurden daraus 120 %. In Griechenland ging es von 100 % auf 170 % nach oben, bevor ein erster Schuldenschnitt vorgenommen wurde.

Kurz gesagt: die Krise hat richtig reingehauen und die meisten Staatshaushalte in so marodem Zustand hinterlassen, dass es keinen Spielraum mehr gibt. Die Schulden müssen wieder abgebaut werden, sonst steht die nächste Finanzkrise vor der Tür. Am wenigsten schmerzhaft ist ein Schuldenabbau, indem nicht gespart wird, sondern indem die Wirtschaft wächst.

Das ist leichter gesagt als getan. Wirtschaftswachstum ist die Summe aus Beschäftigungs- und Produktivitätswachstum. Ersteres kann man nur bedingt beeinflussen. Grafik 1 zeigt dazu das Wachstum der erwerbsfähigen Bevölkerung in ausgewählten Ländern und Ländergruppen. Dieses Wachstum sinkt und ist in Europa so gut wie nicht vorhanden.


Bevölkerungswachstum löst die Schuldenproblematik nicht. Was bleibt, das ist die Produktivität. Das Produktivitätswachstum sinkt seit vielen Jahren (Grafik 2). Die USA können derzeit um gerade einmal 1,2 % wachsen, Deutschland knapp 1 %.

Zuletzt wuchs die Wirtschaft trotzdem schneller. Eine Volkswirtschaft kann schneller wachsen als ihr langfristiges Potential. Senkt eine Wirtschaftskrise das BIP unter das Potential, kann beim darauffolgenden Aufholen höheres Wachstum erzielt werden.

Deutschland wächst schon eine ganze Weile über Potential. Das BIP liegt inzwischen fast 4 % über diesem Potential. Das deutet daraufhin, dass sich das Wachstum in Zukunft wieder deutlich verlangsamen wird. Die USA und viele andere Länder haben die Lücke, die die Krise gerissen hat, wieder geschlossen. Selbst in Italien und Spanien fehlt nicht mehr viel.

Man kann es auch so sagen: das Wachstum wird sich in den kommenden Jahren deutlich verlangsamen. Die Schuldenberge sind aber immer noch sehr hoch. Will man diese durch Wachstum abbauen, muss die Produktivität gesteigert werden. Das ist die einzige Chance, die Staaten haben, um einen Zusammenbruch zu vermeiden.

Ein solches Wunderwerk fällt nicht vom Himmel. Es braucht harte Arbeit. Dazu gehört auch die Öffnung der Grenzen und mehr internationaler Handel, nicht weniger.

PS: Draghis Rede war natürlich nicht wirklich bahnbrechend. Sie war aber recht solide und zeigte gut auf, dass eine protektionistische Politik auch nicht die Lösung ist.

Clemens Schmale

Sie interessieren sich für Makrothemen und Trading in exotischen Basiswerten? Dann folgen Sie mir unbedingt auf Guidants!

Eröffne jetzt Dein kostenloses Depot bei justTRADE und profitiere von vielen Vorteilen:

  • 25 € Startguthaben bei Depot-Eröffnung
  • ab 0 € Orderprovision für die Derivate-Emittenten (zzgl. Handelsplatzspread)
  • 4 € pro Trade im Schnitt sparen mit der Auswahl an 3 Börsen & dank Quote-Request-Order

Nur für kurze Zeit: Erhalte 3 Monate stock3 Plus oder stock3 Tech gratis on top!

Jetzt Depot eröffnen!

3 Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen
  • 1 Antwort anzeigen
  • vespa
    vespa

    Zum Thema der Produktivitätssteigerung würde mich interessieren wie Ihre Ansätze hier sind.
    Pauschal von einer notwendigen Steigerung der Produktivität zu sprechen ist einfach.

    Diese aber in der realen Welt mit MENSCHEN die arbeiten, umzusetzen halte ich für schwer. Wenn man sich die Steigerung der Produktivität, die Anzahl der Minijobs und der eher schlecht bezahlten Arbeitsverhältnisse in Deutschland anschaut, dann frage ich mich ernsthaft, WO das herkommen soll?

    Ihre Antworten dazu würden mich interessieren.

    Prinzipiell kann ich Ihre Schlussfolgerung aufgrund der Statistiken nachvollziehen und finde diese auch in Ordnung.

    Aber runtergebrochen auf das tägliche Leben bzw. eben die Bundesrepublik und die Arbeitnehmer fehlt mir hier der Bezug.

    19:14 Uhr, 29.08. 2017

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

Mehr über Clemens Schmale
  • Makroökonomie
  • Fundamentalanalyse
  • Exotische Basiswerte
Mehr Experten