Kommentar
06:33 Uhr, 21.10.2015

Die wahren Zinsen: -0,74%

Wer glaubt, die Zinsen seien noch positiv, der irrt. In den USA wird von einem Zinssatz von -0,74% ausgegangen. In der Eurozone dürften die Zinsen unter -1% liegen.

Die Zinspolitik und auch das Verständnis der Zinspolitik geraten immer mehr aus den Fugen. Bis vor kurzem dachte man noch, negative Zinsen seien unmöglich. Dänemark, Schweden und die Schweiz beweisen das Gegenteil. Erfreulich ist diese Entwicklung nicht. Nicht nur, weil es das Grauen der Sparer auf den Punkt bringt, sondern auch, weil keiner weiß, was negative Zinsen überhaupt bedeuten.

Die meisten Ökonomen und Notenbanker hatten schon große Mühe überhaupt zu verstehen, was für Konsequenzen die Nullzinspolitik mit sich bringt, geschweige denn welche Folgen Quantitative Easing (QE) hat. Inzwischen sind die Effekte von QE umstritten. Notenbanker selbst zweifeln inzwischen an, dass es überhaupt einen positiven Effekt gab.

Persönlich kann ich einen positiven Effekt erkennen. Es handelt sich dabei jedoch vielmehr um einen psychologischen Effekt als einen direkten, realwirtschaftlichen. Ohne QE hätte es sehr viel länger gedauert, bis Unternehmen und Verbraucher das Vertrauen zurückgewonnen hätten. Die Rezession wäre in eine Depression ausgeartet.

Die langfristigen Effekte von QE sind noch lange nicht verstanden und die Debatte, ob QE wirkungsvoll ist, wird noch viele Jahre weitergehen. Was sich jedoch höchstwahrscheinlich sagen lässt: QE hat die Zinsen massiv gesenkt. Anhand alternativer Leitzinsberechnungen hat QE die Zinsen sogar ins Negative gedrückt, ohne dass die nominellen Zinsen jemals dort gewesen wären.

Die folgende zeigt die tatsächlichen US Leitzinsen sowie die alternativen Zinsen für die USA, Großbritannien und die Eurozone. Die Datenreihen für Großbritannien und die Eurozone enden 2014. Für die Eurozone habe ich die Entwicklung bis heute anhand der Zinskurve geschätzt.

Die in der Grafik dargestellten alternativen Leitzinsen sind von Cyntia Wu (Universität Chicago) und Dora Xia (Universität San Diego) berechnet worden. Inzwischen gibt es mehrere Berechnungsmethoden und Institutionen, die alternative Leitzinsen veröffentlichen. 2014 stellte die Bank für internationalen Zahlungsausgleich ihre eigene Berechnungsmethode in einem Research Paper vor.

Alternative Leitzinsen berücksichtigen den Effekt von QE, indem sie die Effekte auf die Zinsstrukturkurve berücksichtigen. Vereinfacht gesagt wird gefragt wie die langfristigen und kurzfristigen Zinsen ohne QE ausgesehen hätten. Die Differenz aus beobachteten, realen Zinsen und den erwarteten Zinsen ergeben den Effekt, aus dem sich die „wahren“ Leitzinsen berechnen lassen.

Der alternative Leitzins steigt in den USA seit Ende 2014. Damals wurde das Anleihenkaufprogramm der US Notenbank beendet. Das ist allerdings nur ein Grund für die Zinswende der alternativen Rate. Schon allein die Erwartung auf eine Zinsanhebung hat für steigende Zinsen gesorgt. Das zeigt sich anhand steigender Renditen für Anleihen und der Terminkurve der Fed Funds Future. Die Fed Funds Future zeigen an, welchen Leitzins Marktteilnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft erwarten. Lange Zeit erwartete der Markt eine Fortsetzung der Nullzinspolitik. Inzwischen wird auf Sicht mehrerer Jahre ein Anstieg auf 2% erwartet.

Wie die US Notenbank selbst immer wieder betont, ist die Geldpolitik noch sehr expansiv. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vom Markt festgelegten Zinsen (Anleihen, Kredite) schon seit langem steigen. Ohne die Zinsen effektiv angehoben zu haben, hat es bereits eine merkliche Straffung der Geldpolitik gegeben. Der alternative Zinssatz lag in den USA schon einmal bei -3%. Mit -0,74% im September 2015 entspricht das einem ziemlich bemerkenswerten Anstieg von 2,26%.

Obwohl die Fed Funds Rate seit Jahren nicht angetastet wurde. hat effektiv eine Straffung der Geldpolitik stattgefunden. Diese Straffung entzieht sich größtenteils der Kontrolle der US Notenbank. Sie hätte die Straffung nur verhindern können, indem sie keine Zinswende in Aussicht stellt und dann sehr plötzlich eine Anhebung vornimmt. Diese Schocktherapie sagte bisher keinem der Notenbanker zu.

Nimmt man die alternativen Zinssätze für bare Münze, dann hat die Fed ohne aktives Zutun die Zinsen bereits um über 2% angehoben. Es ist unwahrscheinlich, dass die US Wirtschaft eine weitere Anhebung um 2 Prozentpunkte verkraftet. Die Zinswende ist damit noch nicht endgültig abgesagt, doch das Ausmaß der Zinserhöhungen dürfte sehr gering ausfallen, wenn die Notenbank keinen Zinsschock auslösen will.

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Über den Experten

Clemens Schmale
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Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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