Fundamentale Nachricht
07:18 Uhr, 15.08.2018

Die Türkei im Auge des Sturms

Investoren wollen nach Einschätzung von Stuart Canning, Analyst im Multi-Asset-Team von M&G Investments, nicht die türkische Wirtschaft angreifen, sondern fordern eine höhere Entschädigung für gestiegene Risiken.

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  • USD/TRY
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    Kursstand: 6,47940 TL (FOREX) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

London (GodmodeTrader.de) - Die aktuelle Eskalation in der Türkei manifestiert lokale wirtschaftliche Probleme, die sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet haben. Der Sturz der türkischen Lira am vergangenen Freitag zählt zu den größten Währungsbewegungen eines Tages innerhalb der letzten zehn Jahre – vergleichbar mit der Abwertung des Rubels Ende 2014, der Deckelung des Schweizer Frankens, der Brexit-Abstimmung oder auch einigen der Horror-Tage 2008, wie Stuart Canning, Analyst im Multi-Asset-Team von M&G Investments, in einem aktuellen Marktkommentar zur Entwicklung in der Türkei schreibt.

Die Dramatik dieser Bewegungen spiegle sich in den Marktkommentaren wider. Die Türkei habe die Schlagzeilen in einer Art und Weise dominiert, die üblicherweise der westlichen Politik, US-Tech-Aktien oder einem Ereignis wie dem Brexit vorbehalten sei. Ein Großteil der Beobachter habe sich auf die Frage konzentriert, inwiefern Donald Trumps Twitter-Ankündigung, die US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei zu verdoppeln, die Lira-Abwertung verschärft habe, heißt es weiter.

„Dabei dürften die direkten Auswirkungen dieser Zölle begrenzt sein. Die türkischen Exporte sind relativ diversifiziert: Nur fünf Prozent der Ausfuhren gehen in die USA und nur 18 Prozent davon entfallen auf Nicht-Edelmetalle. Auch die türkische Stahlindustrie könnte sich recht widerstandsfähig zeigen und in anderen Teilen der Welt neue Kunden finden“, so Canning.

Möglicherweise seien die US-Zölle also nur ein Ablenkungsmanöver. Ein viel größeres Problem für die Türkei sei die hohe Verschuldung in Fremdwährungen, denn die Schwäche der Lira verteuere die Schulden und erschwere ihre Tilgung. In der Türkei sei vor allem der Unternehmenssektor betroffen, weniger der Staat oder die privaten Haushalte. Hinzu komme die Kopplung der türkischen Löhne an die Inflation, was erkläre, warum viele Türken nicht daran interessiert seien, ihre Gold- und Devisenbestände zu verkaufen, wie es Präsident Erdogan gefordert habe, heißt es weiter.

„Auf eine Währungsabwertung haben Schwellenländer in letzter Zeit meist mit steigenden Leitzinsen reagiert. Ziel ist es, den Inflationsdruck zu reduzieren und potenziell ausländisches Kapital zur Stützung der Währung anzuziehen. Und tatsächlich hat die Türkei ihren einwöchigen Reposatz – das wichtigste geldpolitische Instrument – im Juni von 8,00 Prozent auf 17,75 Prozent erhöht. Doch seither mehren sich die Anzeichen, dass die Zentralbank ihre Unabhängigkeit an einen Präsidenten verliert, der nichts von Zinserhöhungen hält“, so Canning.

In einer Welt offener Kapitalströme heiße das aber: Wenn die Geldpolitik daran scheitere, die Wirtschaft zu straffen, übernehme schließlich der Markt diese Aufgabe. Erdogan könne mit seiner Zentralbank um die Kontrolle der Zinssätze ringen, aber er könne nicht verhindern, dass parallel dazu seine Währung zusammenbreche. Diese Dynamik sei jetzt zu beobachten. Und zwar nicht, weil Investoren die türkische Wirtschaft angreifen wollten, sondern weil sie eine höhere Entschädigung für offenbar gestiegene Risiken forderten, heißt es weiter.

„Für aktive Anleger lautet die Frage: Wie stark wird der Markt von Stimmungen getrieben anstatt von Fundamentaldaten? Das ist im Fall der Türkei nicht ganz einfach zu beantworten. Es mag den Anschein haben, dass es bei den Lira-Bewegungen am Freitag mehr um die Stimmung als um die wahrscheinlichen Auswirkungen der Zölle ging. Aber die Währungsabwertung kann auch eine weitaus größere, grundlegende Wirkung auf die Wirtschaft haben und sich damit selbst bewahrheiten“, so Canning.

Eine mögliche Lösung: Den Kern der Eskalation vermeiden und Anlagechancen dort suchen, wo die Panik undifferenziert um sich greife – falls etwa Anleger alle Schwellenländer abstraften oder italienische Staatsanleihen nachgäben, nur weil das zu einer typischen Phase der Risikoaversion passe, heißt es weiter.

„Bislang sind die Bewertungsverschiebungen bei den meisten Anlageklassen relativ bescheiden. Bemerkenswert ist auch, dass die Renditen westlicher Staatsanleihen nur wenig zurückgegangen sind. Aber da die Situation in der Türkei derzeit so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, könnten sich durchaus noch einige Einstiegschancen entwickeln“, so Canning.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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