Kommentar
09:36 Uhr, 28.06.2022

Die Fed bekommt Hilfe

Die US-Notenbank muss sich nicht allein auf die Zinspolitik verlassen, wenn es um das Absenken der Inflation geht.

Gegen hohe Preise helfen hohe Preise. Das klingt zunächst nicht intuitiv, entspricht aber dem normalen Verlauf der Dinge. Steigen die Preise und ziehen die Löhne nicht mit (Kaufkraft sinkt), wird weniger konsumiert. Weniger Nachfrage sorgt dafür, dass die Kapazitätsauslastung zurückgeht und das Angebot die Nachfrage übersteigen kann. Das führt zu sinkenden Preisen oder zumindest einem Ende des Preisauftriebs.

Die US-Notenbank will die Nachfrage über die Zinspolitik dämpfen und das wird ihr auch teilweise gelingen. Zinsen wirken vor allem auf Investitionen. Wer für einen Kredit plötzlich 6 % statt 3 % zahlen muss, überlegt sich genau, ob die Investition noch Sinn macht oder der Hauskauf leistbar ist.

Auf die Nachfrage von Gebrauchsgütern und Dienstleistungen wirken Zinsen kaum. Hier sorgen hohe Preise automatisch für einen Rückgang. Beides wirkt derzeit stark bremsend. Dennoch sind viele Ökonomen überzeugt, dass vor 2023 keine Rezession zu erwarten ist. Zum Teil liegt es daran, dass sich die Einkaufsmanagerindizes über der Wachstumsschwelle von 50 halten (Grafik 1).

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Die aktuellen Werte sind immer noch solide und deuten Wachstum an. Der Eindruck täuscht allerdings ein wenig. Eine Komponente der Indizes hat wenig mit Wachstum und Nachfrage zu tun, sondern mit Lieferkettenproblemen. Lange Lieferzeiten lassen den Index höher erscheinen. Mit wachsender Nachfrage hat das nichts zu tun.

Tatsächlich sinkt der reale Güterkonsum bereits wieder. Gegenüber dem Vorjahr ist die Nachfrage um 2 % geschrumpft. Bei Dienstleistungen gibt es noch ein kleines Plus von einem Prozent. Da Dienstleistungen einen größeren Anteil an der Wirtschaftsleistung haben, kann das kleine Wachstum bei Dienstleistungen die Kontraktion bei Gütern noch auffangen. Es fehlt nicht viel und ein Rezessionsniveau ist erreicht (Grafik 2).

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Auch die Zinskurve rutschte kurzfristig wieder in den negativen Bereich. Es war das zweite Mal innerhalb von zwei Monaten. Inzwischen ist sie wieder positiv. Das ändert nichts daran, dass bereits eine Inversion Rezessionen ankündigte (Grafik 3).

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In einem anderen Artikel hatte ich darüber nachgedacht, ob die Rezession bzw. die Wachstumsdelle bereits wieder vorüber ist. Die Möglichkeit besteht und Hinweise dafür gibt es. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass die jüngste Abkühlung erst der Anfang ist. Hier hilft ein Blick auf die zukünftig erwarteten Auftragseingänge und Lieferzeiten (Grafiken 4 und 5: tiefere Werte sind negativ für das Wachstum).

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Zukünftig erwartete Werte umgehen das derzeitige Problem, dass die momentan längeren Lieferzeiten Einkaufsmanagerindizes zu hoch erscheinen lassen. Der Blick in die Zukunft ist sehr negativ. Im Notenbankbezirk New York wurde der tiefste Wert für die Auftragseingänge seit Umfragebeginn erreicht. Bei den Lieferzeiten erreicht der Bezirk Philadelphia den historisch tiefsten Wert.

Beide Indikatoren zeigen eine Kontraktion an. Die Zinspolitik hat damit bisher wenig zu tun. Der Industrie brechen die Aufträge weg und sobald der Rückstau aus der Pandemie abgearbeitet ist, befinden sich Unternehmen schnell in einem tiefen Loch. Beginnt die Zinspolitik dann noch im dritten und vierten Quartal zu wirken, kann man sich kaum vorstellen, dass es wieder bergauf gehen soll.

Für das Ziel der Notenbank, den Preisauftrieb zu senken, sind es gute Nachrichten. Für die Wirtschaft, Beschäftigte und Anleger ist es eine schwierige Datenlage. Für Anleger ist wichtig im Kopf zu behalten, dass die Börse in die Zukunft blickt. Kursabschläge bei US-Indizes von 20 % und mehr beinhalten bereits einen Teil der wirtschaftlichen Abkühlung. Werden Fakten geschaffen (negatives Wachstum, höhere Arbeitslosigkeit) bedeutet das nicht automatisch, dass die Kurse weiter fallen müssen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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