Kommentar
02:00 Uhr, 11.02.2010

Die Fähigkeit des Querdenkens ist sehr wertvoll ...

... und dürfte Ihnen in Ihrem Leben Vorteile einbringen. Ich sehe in einem Querdenker einen produktiven Menschen. Einen Menschen, der sich abseits dessen, was als allgemeingültig und richtig gilt, Gedanken macht und versucht Besseres und Effektiveres zu schaffen. Der Querdenker als ein Mensch, der frei im Denken ist und bestehende Dinge hinterfragt und einige durchaus komplett in Frage stellt. In Frage stellen soll allerdings nicht heißen, ähnlich wie ein Antizykliker quasi reflexhaft immer eine Gegenmeinung zu formulieren. Der Querdenker bringt neue Ideen und Gedankengänge ein, die im Pool der konkurrierenden Ideen dem Gesetz der Selektion unterliegen. Erweist sich seine Idee als objektiv sinnvoll, wird sie sich durchsetzen und das Kollektiv voranbringen.

Ich als Trader sehe mich als einen Querdenker.

Autor der nun folgenden Ausführungen über das Querdenkertum ist Richard Beiderbeck. Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Beiderbeck erfolgt die Veröffentlichung. Im Grundsätzlichen gehe ich mit dem konform, wie Beiderbeck den Querdenker beschreibt. Allerdings ist mir seine Idealvorstellung eines Querdenkers zu sehr "links-elitär" gefärbt. Auch möchte ich explizit darauf hinweisen, dass etwaige andere von Beiderbeck verfaßten Texte zu anderen Themenkomplexen nicht meine persönliche Meinung widergeben. Mir geht es um das Querdenkertum ... um den wachen, aufgeklärten Geist.

So, jetzt aber zu Beiderbecks Ausführungen ...

Ein kleines Beispiel mag uns helfen: Ein Querdenker ist ein Mensch, der erkennt, daß das u hinter dem Q in Querdenker eigentlich nicht benötigt wird. Man könnte also auch Qelle, Qarantäne, Qartal schreiben und würde Platz und Druckerschwärze sparen. Darüber hat fast noch nie jemand nachgedacht, obwohl es jedermann vor Augen hat. Man könnte auch das „sch“ durch ein „sh“ ersetzen, und noch mehr Platz und Druckerschwärze sparen. Aber niemand hat Lust dazu. Denn man müsste sich umgewöhnen, die Wörterbücher und die Rechtschreibprogramme müssten geändert werden. Man sagt also: „Du hast die Lösung. Aber wo ist das Problem ?“

Die Einfälle der Querdenker werden meist als lästig und ärgerlich empfunden, man sieht sie als Störenfriede und Besserwisser an. Aber es gibt Situationen, in welcher die Leute für jede Hilfe dankbar sind, nämlich dann, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen. Dann wird der Querdenker als Retter in der Not freudig begrüßt. Und Querdenker sind auch dann gefragt, wenn sie den betriebsblinden Managern in der Wirtschaft eine Weg zeigen können, wie sie die Kosten senken, neue Kunden bringen oder den betrieblichen Ablauf vereinfachen können. Der Querdenker kann den Bossen viel Geld sparen, und so ist er in den Vorstandsetagen beliebt.

Ein Nonkonformist ist noch kein Querdenker
Wenn man jetzt das Wort Querdenker mit „ä“ schreiben würde, also Quärdänker“ wäre man noch kein solcher, sondern ein Nonkonformist; das sind Leute, die es lieben, aus der Reihe zu tanzen, weil sie gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Das ist der eigentliche Zweck ihres Nonkonformismus. Eine Änderung um ihrer selbst willen löst noch kein Problem. Dem Querdenker geht es darum, eine überraschende und einfache Lösung zu finden. Doch die scheinbar so genialen Lösungen können ihren Pferdefuß haben, und dann kehrt man reumütig zu der in Generationen erprobten Praxis zurück.

Der Querdenker – ein Querulant, Ketzer, Wichtigtuer usw. ?
Es ist schwer zu sagen, wo der Querdenker endet und der Querulant beginnt; oder der Ketzer, der Rebell, der Spinner, der Weltverbesserer, der egozentrische Rechthaber, der Wichtigtuer, der Quertreiber, der Störer, der Provokateur, der Anarchist, der Exzentriker, der Satiriker, der Clown, der Kabarettist, der Eulenspiegel, der Don Quixote, der Saboteur, der Brandstifter, der Verräter, der Nestbeschmutzer, der Sektierer, der Fundamentalist, der Extremist, der Exzentriker, der Nonkonformist, der Trendsetter, der Dandy, der Hippie, der Rocker, der Punk, der Grufty, der Zyniker, der Satiriker, der Karikaturist, der Kabarettist, der Neurotiker, der Psychopath, der Scharlatan, der Wunder und Patentlösungen verspricht, der selbsternannte Heilsbringer, der Prophet, Weltenretter und Menschheitsbeglücker. Dem wahren Querdenker geht es nicht um Ruhm und Karriere. Die setzt er auf Spiel. Ihm geht es nicht um Gewinn, sondern er stürzt sich in Unkosten, um seiner Botschaft Gehör und Anerkennung zu verschaffen und arbeitet oft jahrelang an der Ausarbeitung seiner Ideen, die vielleicht erst nach seinem Tod allgemein akzeptiert werden. Dann wird er bewundert und gepriesen, und jedermann macht sich seine Ideen zu eigen und vertritt sie mit dem Brustton der Überzeugung – wo man vorher doch nur mit Spott, Haß und Ablehnung reagiert hat.

Querdenker und Erfinder

Der Querdenker hat die Fähigkeit, das, was allen anderen als selbstverständlich und gottgegeben ansehen, in Frage zu stellen. Seine Frage lautet: „Muß das so sein – oder geht es auch anders ?“ Er sucht nach neuen Wegen und Betrachtungsweisen, weil er hofft, Probleme und Schwierigkeiten zu lösen, die vielleicht schon sehr lange die Menschen bedrücken. Der Querdenker ist verwandt mit dem Erfinder. Er sucht die oft verblüffend einfache Lösung auf ein technisches, wirtschaftliches, logistisches oder soziales Problem. Dieses Problem wird von der Mehrheit oft gar nicht erkannt, weil sie betriebsblind geworden sind.

Manche Erfindungen sind unerwünschtWo seine Erkenntnisse und Erfindungen bereits ertragreiche und gewinnbringende Geschäftsfelder austrocknen würden, z. B. ein Auto, das 30 Jahre lang hält und nur drei Liter Sprit braucht, da stößt der Querdenker und Erfinder auf wenig Gegenliebe. Wenn jemand einen Weg zeigt, in welcher es keine Kriege mehr gibt, dann macht er sich damit alle diejenigen zum Feind, die sich als Rüstungsproduzenten, als Soldaten und als überlegene Großmacht vom Krieg profitieren. Wenn jemand einen Weg zeigt, wie die Menschen ohne teure Medizin bis ins hohe Alter gesund bleiben und dann einen schnellen und schmerzlosen Tod sterben können, dann macht er sich alle diejenigen zum Feind, die ihr Geld durch Medizinbetrieb, Arzneimittel und Pflege Geld verdienen. Die Gesellschaft ist also oft gar nicht wirklich an den Lösungsvorschlägen der Querdenker interessiert, sondern betrachtet sie als Störfaktor, der die bestehenden Strukturen in Frage stellt. Und diese Skepsis der Gesellschaft ist oft auch berechtigt, denn für viele politische und soziale Probleme gibt es keine Patentlösungen, sondern jede Lösung bringt wieder neue Probleme.

Woran erkennt man den Querdenker ?

Der Querdenker hat meist viele Bücher. Die meisten hat er in Antiquariaten und Flohmärkten gekauft. Seine Wohnung ist voller Bücher. Er ist ein homme de lettres, not a illiterate person.

Um es einmal ganz vordergründig zu sagen: Ein Querdenker ist ein Mensch, der einen Computer mit einem Textverarbeitungsprogramm und einem Internetanschluß hat. Die Textverarbeitung macht es leicht, Texte zu produzieren, immer wieder zu überarbeiten, auszudrucken, fortzuschicken und ins Internet zu stellen. Deshalb hat mit der Einführung der Computer die Zahl der Weltverbesserer und Querdenker sprunghaft zugenommen.

Früher musste man seine Gedanken in Büchern niederlegen; aber es fanden sich kaum Verleger, die diese Bücher drucken wollten – zu Recht, denn die Texte waren meist langweilig, schwer verständlich und oft keineswegs originell. Die ganz Unentwegten ließen auf eigene Kosten ihre Bücher und Zeitschriften drucken, die sich dann bei ihnen zu Hause als unverkäufliche Ladenhüter stapelten. Für diese Kategorie von Querdenkern und Weltverbesserern ist das Internet jetzt wirklich ein Segen. Heute können sie ihre mehr oder weniger umfangreichen Werke ohne Druckkosten ins Internet stellen. Die Ernüchterung kommt dann, wenn sie die Zugriffszahlen auf ihre Texte zu sehen bekommen. Querdenker gehören kaum zu den Internet-Celebreties.

Andere Querdenker haben rhetorische Begabung und publizistische Energie. Sie gehen auf Tournee und halten Vorträge; wenn deren Unterhaltungswert gut ist und die Themen interessant, dann kann es den Querdenkern sogar gelingen, von diesen Vorträgen und ihren Büchern leben – wenn auch meist nicht gerade üppig. Der erfolgreiche Querdenker hat auch Einsichten in Werbestrategien und Publik Relations und schafft es bis ins die Talk-Shows. So leben einige wenige ganz gut von der Querdenkerei, z. B. Erich von Dänicken.

Warum Akademiker und Angehörige der Oberschicht so selten Querdenker sind

Unter den Menschen, die eine akademische Laufbahn durchlaufen haben und jetzt Professor, oder Geschäftsführer oder Arzt, Anwalt, Richter, Redakteur oder Architekt sind, gibt es nicht viele, die sich mit der Querdenkerei beschäftigen. Sie haben schlicht und einfach dazu keine Zeit. Die akademisch gebildete Elite in unsrem Land arbeitet meist sehr hart, und sie ist in ihre beruflichen Pflichten (und auch den sich daraus ergebenden Aktivitäten, wie zu Tagungen oder Geschäftsabschlüssen zu reisen) sehr stark eingebunden.

Die akademische Elite hat eine gute Allgemeinbildung, und durch ihre zahlreichen Reisen auch eine gute Kenntnis der Welt. Da sie auch noch mit einem hervorragenden Gedächtnis ausgestattet sind, haben sie auf vielen Gebieten ein oft erstaunliches Wissen. Aber dieses allgemeine Wissen über die Welt beschäftigt sie nicht so sehr wie ihr Fachgebiet. Deswegen ist ihr Allgemeinwissen irgendwie oberflächlich und steril. Ihr Verstand beschäftigt sich hauptsächlich mit anderen Dingen.

Der Akademiker verspürt erst eine Neigung zum Querdenker, wenn zum Außenseiter geworden ist und mit seinem beruflichen Aufstieg am Endpunkt angelangt ist.

Warum die Geschäftsleute und die Reichen und Superreichen selten Querdenker sind

Die Geschäftsleute sind oft mit ihrem Geschäft verheiratet. Da bleibt keine Zeit. Ihre Bildung ist oft auch nur auf ihr Fachwissen beschränkt. Für Bildung und Kultur bleibt oft wenig Zeit. Um in Politik und Wissenschaft neue Wege zu gehen, muß man sich erst einmal dafür interessieren.

Die Reichen und Superreichen sind mit drei Dingen beschäftigt:

1. Ihren Besitz zu mehren und zu sichern

2. Ihren Besitz zu genießen und mit denen zusammenzusein, die dazugehören (an den richtigen Orten)

3. Als Mäzen und Wohltäter der Menschheit einen kleineren Teil ihres Vermögens wieder auszugeben

Für die Reichen ist die Welt so in Ordnung, wie sie ist. Jede Veränderung kann für sie nur eine Verschlechterung bedeuten. Warum also über Veränderungen nachdenken ?

Warum es in der Unterklasse so wenig Querdenker gibt

Der Mensch in der Unterklasse ist so mit seinen täglichen Sorgen und Nöten beschäftigt, daß er einfach keine Zeit dazu hat, über irgendwelche Weltprobleme nachzudenken, geschweige denn in einen Computer zu tippen. Er konsumiert nur das, was ihm die Unterhaltungsindustrie vorsetzt.

Die Intelligenten unter ihnen werden auch einmal vom Geistigen gestreift: in Form einer Religion oder einer Ideologie. Dann landen sie je nach Umfeld im Kirchenvorstand, bei den Zeugen Jehovas, bei den Kommunisten und bei den Nazis, oder bei den Esoterikern, bei den Vegetariern, bei den Sportlern, bei der Laienbühne, im Blasmusikorchester. Sie machen sich das, was ihnen da geboten wird, kritiklos zu eigen und sind mit Leib und Seele dabei. Wenn man nichts anderes kennt, als das, was man hat und ist, dann kann man dazu kaum in kritische Distanz treten.

Die soziale Klasse des Querdenkeriats

Wo sitzen also die Querdenker ? Um es einmal nicht sehr schmeichelhaft zu sagen: Es sind Leute mit einer soliden Halbbildung. Sie haben die mittlere Reife und eine qualifizierte Berufsausbildung auf einer mittleren Ebene. Oder sie sind Menschen, die ihre akademische Laufbahn vorzeitig abgebrochen haben oder aus ihrem Elite-Job ausgestiegen sind – z. B., weil ihnen der Leistungsdruck, die Gesundheit oder die lieben Kollegen Probleme bereiteten.

Da sitzen sie nun vor ihrem Computer, fühlen sich zu großen Dingen befähigt und fangen an zu denken, zu schreiben, zu politisieren, zu missionieren. Am Anfang der achtziger Jahre waren die Grünen und die alternative Szene voll von diesen Leuten. Allein querdenkt sich’s oft schlecht, und so wurden die Grünen ein Sammelbecken für sie.

Nach ein paar Jahren stiegen sie dann bei den Grünen wieder aus, weil sie ihnen zu normal, zu spießig, zu vereinsmeierisch, zu etabliert wurden, und weil es auch zu viele dicke Bretter zu bohren gab. Man musste sich in die ganz normale Alltagspolitik einarbeiten, und nach vorne kamen die, die das gerne taten: die Ehrgeizigen und die Angepassten.

Die Querdenker erfinden oft das Rad wieder neu

Das Problem bei ihrer Halbbildung ist, daß sie oft nicht gelernt haben, ihre Gedanken kritisch zu werten und sie in eine geordnete und logische Reihenfolge zu bringen. Da fehlt die akademische Disziplin, die denen anerzogen wird, die eine Diplom- oder Doktorarbeit abliefern müssen.

Die Querdenker erfinden oft auch das Rad neu, wo sie doch ein Gang in die Bibliothek (oder heute: das Internet) darüber belehrt hätte, daß bereits in der Antike oder in der Aufklärung diese Gedanken schon lange gedacht und formuliert wurden. Es gibt auf dem Gebiet der Politik, der Religion, der Gesellschaft und der Kultur fast nichts, was nicht schon mal da war. Wirklich neue Dinge sind nur im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt, speziell den Informationstechnologien und der Gentechnik, möglich. Deshalb sollten die Querdenker hier ansetzten, statt das alte immer wieder neu zu formulieren – und das meist schlechter als im Original.

Die Frauen als Querdenker

Wenn eine Frau über Probleme nachdenkt, meint sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht die großen Weltprobleme. Ihr Problem lautet meist: Die Dinge laufen für mich nicht so, wie ich mir das wünsche. Wie bringe ich meine Umwelt dazu, sich so zu verhalten, wie ich das gerne hätte, und wie bekomme ich von ihnen das, was ich gerne hätte ?

So gesehen, sind die Frauen sehr problembewusst, und sie diskutieren mit ihren Freundinnen ständig darüber.

Eine Frau ist durchaus in der Lage, quer zu denken. Aber sie wird sich kaum an den Computer hocken und stundenlang auf die Tasten einzuhämmern. Sie greift lieber zum Telefon und ruft ihre beste Freundin an. Man trifft sich dann irgendwo und redet darüber. Oder man bleibt gleich am Telefon und quatscht sich dann eine Stunde lang aus. Der Computer wurde für die Querdenker erfunden, das Telefon für die Frauen.

Kann ein solches Wesen zum Querdenker werden ?

Ja, es kann. Wenn nämlich in ihrem Umfeld etwas passiert, das als Katastrophe hereinbricht und sie tief berührt. Das sind dann die Mütter, die im Krieg einen Sohn verloren haben. Sie haben sich nie für die Politik interessiert. Jetzt denken sie auf einmal quer und erdenken originelle Aktionen.

Da sind die Mütter, deren Kind an Krebs erkrankte und in deren Nähe ein Atomkraftwerk ist. Da fangen sie plötzlich an zu grübeln und querzudenken.

Warum das Querdenkeriat trotz seiner Schwächen und Defizite gebraucht wird

Wer sonst soll die großen wegweisenden Ideen entwickeln ? Höchstens ein paar Außenseiter unter den Akademikern und Schriftstellern. Die sind durchaus kreativ, aber ihre Kreativität beschränkt sich meist zu sehr auf ihr Fachgebiet.

Aber das Querdenkeriat ist die Klasse, in der über die Weltprobleme in einem großen, umfassenden Zusammenhang nachgedacht werden kann, und wo praxisorientierte Lösungen gefunden werden können. Der Querdenker ist nämlich nicht so weit vom Alltag der normalen Menschen entfernt wie der Wissenschaftler und der Kapitalist. Auch von den Spitzenpolitikern ist da wenig zu erwarten. Die kommen kaum zum nachdenken, ebenso alle Spitzenkräfte in Wirtschaft und Verwaltung.

Ob das Querdenkeriat dann auch in der Lage ist, seine großartigen, in die Quere gedachten Zukunftsentwürfe zu verwirklichen, steht auf einem anderen Blatt. Da müssen dann doch wohl wieder die Macher, die Könner und die Geldgeber ran.

Die willkommenen Querdenker, die eher Opportunisten sind

Obwohl die Querdenker beim Establisment äußerst unbeliebt sind, weil sie die althergebrachten Gewissheiten und den Konsens zwischen Herrschenden und Beherrschten in Frage stellen, kam vor einigen Jahren eine bestimmte Sorte von Querdenkern bei den Führern von Wirtschaftsunternehmen in Mode und erfreute sich zunehmender Beliebtheit. In den USA schätzte man sie schon lange als „horizontal thinkers“ oder „mavericks“. Der ehemalige VW-Top-Manager Daniel Goedevert bekannte sich, ein Querdenker zu sein, und Erich J. Lejeune („Mr. Chip“) gab sich als Querdenker, ebenso Roman Herzog in seiner Rede im Berliner Hotel Adlon. Als Querdenker sehen sich auch Pfarrer Fliege und Peter Hahne in seinen hanebüchenen Hahnebüchern. Aber was stellten diese selbsternannten Querdenker damals in Frage ? Meist den Sozialstaat und den allgemeinen Konsens darüber, daß er unverzichtbar sei. Die Globalisierung ist eine Revolte der hemmungslosen Profitmacher gegen das Volk.

Diese Sorte hilfreichen Querdenkern sind dem Establisment durchaus genehm. Siehe das Buch von Martin Hecht („Unbequem ist stets genehm“). Gefragt sind auch Querdenker, die gegen den Paragraphen-Dschungel und den Wildwuchs der Bürokratie rebellieren.

Die Querdenkerakademie war ein Flop

1997 ließen sich drei Repräsentanten der Hypovereinsbank in ganzseitigen Anzeigen als „Die Querdenker“ darstellen. 1995 wollten Lejeune und der Marketing-Experte Peter Kapfhammer in der niederbayerischen Provinz, in Eggenfelden, eine „Akademie für Innovation und Querdenken“ eröffnen. Kapfhammer schloß mit der Stadt Eggenfelden einen Vertrag über 800 000 DM, in welchem er sich verpflichtete, eine Querdenker-Hochschule („Akademie für Innovation und Querdenken“) zu errichten. Die Pläne zerschlugen sich, weil sich keine Investoren für das 35 Millionen-DM-Projekt fanden. So war es auch der bayerischen Staatskanzlei nicht möglich, Geld zuzuschießen. Kapfhammers Vertrag wurde vorzeitig gelöst, Kampfhammer erhielt aber 200 000 DM für „bereits erbrachte Leistungen“. Der Bayerische Bund der Steuerzahler zeigten den Eggenfeldener Stadtrat und Bürgermeister im Okt. 1995 an wegen des Verdachts auf Untreue.

Der Querdenker-Boom

1996 fand in Nürnberg ein „Event für Innovation und Querdenken (innovent)“ statt, 1997 im Hotel „Pyramide“ in Fürth das zweite „Innovent“. Das „Euroforum Deutschland GmbH“ bot Querdenker-Kurse für erfolgreiche Manager an.

Warum sind die Querdenker besonders von der Werbe-Industrie gefragt ? Werbebotschaften müssen Aufmerksamkeit erregen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wenn also ein Querdenker durch einen ungewöhnlichen Einfall eine Möglichkeit findet, Aufmerksamkeit zu erregen, dann hilft das beim Absatz und fördert den Umsatz. Der Querdenker wurde durch die vom Kapital beherrschten Massenmedien mit Respekt und Sympathie bedacht.

Es wurde ein Querdenker-Jargon entwickelt. Der Querdenker ist „unbequem“, der „schaut über den Tellerrand hinaus“, er „legt die Scheuklappen ab“, er „schwimmt gegen den Strom“, er „passt nicht in irgendwelche Schubladen“, er „spinnt mal herum“, er sagt „mal ganz ketzerisch“, er „haut auf den Tisch“, er „nimmt kein Blatt vor den Mund“, er fordert, „daß ein Ruck durch das Land gehen soll“, spricht von „verkrusteten Strukturen“, opponiert gegen „Tabus“, will „heilige Kühe schlachten“, redet von „Visionen“, hat „Zivilcourage“, befleißigt sich des „aufrechten Gangs“, „läßt sich nicht verbiegen“. Man entdeckte den Bindestrich neu: „Frag-würdig“, Spannungs-feld“. Man spricht von „Erfinderbörsen“ und kreiert Denglisch-Worte wie „Ideenscouting“, „Think und Do-Phasen“. Der Querdenker „baut Brücken“, „spielt Kundschafter“, „wirft Steine ins Wasser“ und gibt mit gewichtiger Miene Gemeinplätze und Binsenwahrheiten von sich während er offene Türen einrennt.

Die Querdenker im Dienste des Kapitals

Was war nun die revolutionäre Innovation, die diese Art von Querdenkern dem erstaunten Volk zu verkaufen hatten ? Es war die Botschaft, daß es für weniger Lohn mehr arbeiten sollte und daß der Staatsbesitz (die Post, die Bahn, die Telecom mitsamt ihrem großen und wertvollen Immobilienbesitz) privatisiert werden sollte – was eigentlich eine Enteignung des Staates durch das Kapital war. Die Filetstücke des staatlichen Immobilienbesitzes wurden verkauft, um die Zinsen für die Kredite zu zahlen, die der Staat beim Kapital hatte. Da der Besitz des Staates der Besitz des Volkes ist, wurde und wird das Volk vom Kapital enteignet. Das war die Revolution, welche die Querdenker des Kapitals mehr oder weniger unverschämt äußerten. Das war ganz im Sinne derjenigen, die die wahre Macht im Staate haben, und dazu brauchte es keinen Mut, denn es war eine Rebellion gegen die Schwachen und Ahnungslosen. Die Kreativität der „Querdenker“ äußerte sich hauptsächlich im Phrasendreschen und in der Pflege ihres Nimbus als genialische Lichtgestalt, mit deren Hilfe unser Land die Herausforderungen der Zukunft bestehen kann. Er stilisierte sich als aufrechten und unbequemen Sachwalter des Gemeinwohls, der große Opfer bringt.

Verwendete Literatur

Martin Hecht: „Unbequem ist stets genehm – Die Konjunktur der Querdenker“, Rowolt-Verlag, Hamburg 1997

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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