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08:32 Uhr, 26.06.2015

Deshalb findet der Grexit nicht statt

Chefanalytiker Bo Bejstrup Christensen von Danske Invest erwartet eine griechische Lösung, welche die europäischen Aktien steigen lässt.

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Kopenhagen/Lyngby (BoerseGo.de) - Seit im Januar in Griechenland eine neue Regierung gewählt wurde, sind wir Zeugen eines Zirkus von historischen Dimensionen. Eine Frist nach der anderen ist abgelaufen und ein Spitzengespräch nach dem anderen verlief ohne Lösung für die Herausforderungen Griechenlands, wie Chefanalytiker Bo Bejstrup Christensen von Danske Invest in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

„Jetzt geht Griechenland bald das Geld aus. Somit spitzt sich die Situation zu und die Rhetorik wird von allen Beteiligten verschärft. Die naheliegende Frage ist: Kommt es zum Grexit? Unsere Haltung ist ein klares Nein“, so Christensen.

Dafür gebe es drei Hauptgründe: Erstens würde die griechische Wirtschaft zusammenbrechen, falls Griechenland die Eurozusammenarbeit verließe. Der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi habe in der letzten Woche gesagt, dass die EZB gegenwärtig dem griechischen Bankensystem Liquidität in einer Höhe zur Verfügung stellt, die 65 Prozent des griechischen BIP entspreche. Der Grund sei einfach, dass griechische Bankkunden laufend ihre Euroguthaben abhöben, da sie einerseits befürchteten, diese könnten in eine neue griechische Währung umgetauscht werden und andererseits Angst hätten, dass künftig der Zugang zu ihren Guthaben eingeschränkt werden könnte. Daher haben sich die griechischen Banken an die EZB wenden müssen, um genügend Liquidität für den täglichen Betrieb zu haben. Diese Liquidität sei unter anderem dafür verwendet worden, um griechische Schatzwechsel und Staatsanleihen zu kaufen, heißt es.

„Falls der griechische Staat beschließen sollte, seine Verpflichtungen nicht einzuhalten, weil er kein Geld hat, wären die griechischen Banken in kürzester Zeit insolvent. Dann könnte die EZB keine Liquidität mehr zur Verfügung stellen. Die Folge wäre ein völliger Zusammenbruch des griechischen Bankensystems. Dies würde bedeuten, dass ganz normale tägliche Finanzgeschäfte wie Zahlungen im Supermarkt oder beim Bäcker, Zahlungen für Elektriker und andere Handwerker sowie Bargeldabhebungen an den Geldautomaten nicht mehr möglich wären. Kurz gesagt – die griechische Wirtschaft würde zusammenbrechen. Das wissen die griechischen Politiker selbstverständlich genau“, so Christensen.

Das zweite Argument sei im Grunde genommen rein praktischer Natur. Nähmen wir für einen Moment an, dass Griechenland das erste Problem lösen könnte und nun eine neue Währung einführen wollte. Welchen Wert hätte diese Währung? Wie viel wäre diese Währung wert, wenn damit im Ausland eingekauft werden sollte? Und wer würde ihr vertrauen? Nur sehr wenige! Wahrscheinlich nicht einmal die Griechen selbst. Was könnte man mit der neuen Währung kaufen, fragt sich der Danske-Chefanalytiker weiter.

„Überlegen Sie einmal das Folgende – Griechenland importiert über 99 Prozent des im Lande verbrauchten Erdöls. Griechenland ist bei vielen grundlegenden Produkten, wie z. B. Arzneimitteln, kein Selbstversorger. Ein noch simpleres praktisches Problem – die Banknoten müssten gedruckt und die Münzen geprägt werden. Und dies in einer Qualität, dass Fälschungen nicht zu einem großen Problem werden. Das kann Griechenland nicht. Dazu haben sie ganz einfach weder die Technologie noch den Produktionsapparat. Auch dies müsste also mit der neuen Valuta ‚eingekauft‘ werden, deren Kaufkraft im Ausland sehr begrenzt wäre. Insgesamt bedeutet dies: Falls es zum Grexit käme und eine neue Währung eingeführt würde, könnte Griechenland sich nicht mehr mit Erdöl, Arzneimitteln, ja noch nicht einmal mit den Banknoten und Münzen versorgen, die dann eingeführt werden müssten. Die Folge läge auf der Hand: ein völliger sozialer Zusammenbruch des griechischen Staates“, so Christensen weiter.

Der dritte Hauptgrund sei rein politisch. Kürzlich durchgeführte Umfragen hätten ergeben, dass eine große Mehrheit von 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung den Euro behalten und in der EU bleiben möchte. Bei einer anderen vor Kurzem durchgeführten Umfrage sei die Frage zugespitzt worden. Vor die Wahl gestellt, den Forderungen der EU und der internationalen Kreditgeber zu folgen oder aus der Eurozusammenarbeit auszutreten, hätten etwa 50 Prozent gesagt, sie würden die extremen Forderungen erfüllen wollen. Nur etwa ein Viertel würde lieber auf den Euro verzichten. Ministerpräsident Tsipras hätte somit eine deutliche Mehrheit seiner Bevölkerung gegen sich, falls er keine Lösung finden und die Eurozusammenarbeit aufrechterhalten könnte, heißt es weiter.

„Wenn wir die Dinge aus der Sicht des Auslandes betrachten, so sind drei Aspekte wesentlich. Der erste ist die geografische Lage Griechenlands. Sollten der griechische Staat und die griechische Gesellschaft zusammenbrechen, so fände dies in einer Region und zu einem Zeitpunkt statt, wo die Situation ohnedies äußerst kritisch ist. Man denke an die Situation in Nordafrika und dem Nahen Osten, an die entsprechenden Flüchtlingsströme und darf auch nicht die fehlende Stabilität in Osteuropa vergessen. Wir bezweifeln außerdem sehr stark, dass die führenden europäischen Politiker – darunter Merkel – in die Geschichte eingehen wollen, als diejenigen, die die Eurozone nicht zusammenhalten konnten. Und schließlich sprechen wir von einem Land, das unter den Euroländern zu den ärmsten gehört. Somit meinen wir, dass es auf beiden Seiten des Verhandlungstisches innen- wie außenpolitische Gründe für eine Lösung gibt“, so Christensen.

Auf der griechischen Seite gebe es zwingende wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und staatliche Erfordernisse, die zu einer Kompromissbereitschaft zwängen. Auch wenn man auf die andere Seite des Verhandlungstisches blicke, stünden für diese Seite politische und soziale Faktoren von höchster Priorität auf dem Spiel, die veranlassten, eine Lösung zu finden und Griechenland in der Eurozusammenarbeit zu halten, heißt es.

„Vorausgeschickt sei, dass wir selbstverständlich kein Insiderwissen haben – wir sind genauso verblüfft über den Ablauf wie viele andere. Aber wir meinen grob gesprochen, dass wir derzeit Zeugen eines griechischen Spiels für die Zuschauertribüne sind. Das griechische Volk fühlt sich gedemütigt und verletzt. Es sehnt sich nach einem Regierungschef, der zumindest Kampfbereitschaft zeigt. Und das macht Tsipras! Wenn dann der unvermeidliche Kompromiss geschlossen wurde – und das wird geschehen – kann Tsipras jedenfalls zurück zu seinen Wählern gehen und sagen: Entweder dies oder das totale Chaos! Wie die letzten Monate gezeigt haben, können beide Seiten eine Menge Zwischenlösungen und Rechtslücken finden, um den Prozess zu verlängern. Daher lässt sich schwer sagen, wann die letzte Frist abläuft. Doch die zugespitzte Rhetorik – insbesondere von griechischer Seite – unterstreicht, dass wir bald das Ende des Weges erreicht haben und eine Lösung unvermeidlich ist. Bis zu dem Tag, an dem eine solche Lösung gefunden ist, werden die europäischen Finanzmärkte in hohem Maße aufgrund dieser Unsicherheit agieren. Und obgleich es beliebt geworden ist, darüber zu spekulieren, wie wahrscheinlich ein Grexit wäre, meinen wir weiterhin, dass dieses Risiko sehr gering ist“, so der Danske-Experte.

Er liege jedoch nicht bei Null – leider. Die Geschichte zeige, dass Stresssituationen zu Fehlentscheidungen führen könnten. Und Tsipras stehe vor einer riesigen Herausforderung hinsichtlich großer Teile seiner parlamentarischen Basis – Parlamentsmitglieder, die, grob gesagt, gegen jeden Kompromiss mit den Gläubigern Griechenlands seien, heißt es weiter.

„Summa summarum erwarten wir kurzfristig eine größere Unsicherheit. Aber wenn erst einmal eine Lösung gefunden ist, werden sich die Märkte wieder beruhigen. Dann werden sich diese wieder auf das relativ vernünftige Wirtschaftswachstum in Europa konzentrieren, das momentan deutlich über zwei Prozent liegt. Wenn wir Recht mit unserer Erwartung behalten, dass das Wirtschaftswachstum – vor allem angetrieben durch ein gesünderes Bankensystem – auch weiterhin um die zwei Prozent liegen wird, dann werden sich die europäischen Finanzmärkte schließlich erholen und die europäischen Aktien im Herbst und bis 2016 hinein wieder steigen“, so Christensen.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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