Kommentar
13:40 Uhr, 11.11.2015

Der "Super-Oktober" der Zentralbanken

  • In den letzten Wochen haben sechs Zentralbanken unabhängig voneinander Lockerungssignale gesendet. Eine deutete eine Zinserhöhung an.
  • So ein Big Bang ist ungewöhnlich. Er zeigt, wie schwierig die weltwirtschaftliche Situation ist.
  • Für die Finanzmärkte sind die geldpolitischen Lockerungen eine gute Nachricht. 2016 sind erneut günstige monetäre Bedingungen zu erwarten.

So etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Sieben Zentralbanken auf drei Kontinenten kommen fast gleichzei­tig und unabhängig voneinander auf die gleiche Idee. Inner­halb von zwei Wochen nehmen sie einen Kurswechsel in der Geldpolitik vor beziehungsweise machen entsprechen­de Ankündigungen.

Ÿ Angefangen hat die Europäische Zentralbank. Sie deu­tete am 22. Oktober an, die Zinsen zu senken und das Wertpapierankaufprogramm auszuweiten, wenn sich die gesamtwirtschaftliche Situation nicht bessern würde.

ŸKeine 24 Stunden später beschloss die People's Bank of China in Peking, die Zinsen herunter zu nehmen und die Mindestreservesätze zu reduzieren.

Ÿ Zwei Tage danach weitete die Schwedische Reichsbank ihr Programm des "Quantitative Easing" aus.

Ÿ Es folgten die Notenbanken Neuseelands und Australi­ens. Sie haben Lockerungsschritte diskutiert, aber noch keine entsprechenden Beschlüsse gefasst.

Ÿ Schließlich bekräftigte die Bank of Japan ihre ultraex­pansive Politik.

Um das Maß voll zu machen traf sich zur gleichen Zeit das geldpolitische Gremium der amerikanischen Notenbank. Es gab in seinem Kommuniqué Hinweise, dass es die Zinsen in diesem Jahr vielleicht doch noch erhöhen werde.

»Wenn so viele Institutionen
auf den gleichen Gedanken kommen, dann muss das nachdenklich stimmen.
Es kann nicht nur Zufall sein.«

Eine solche Koinzidenz ist ungewöhnlich. Es gab keine in­ternationale Krise – wie etwa die Lehman-Pleite im Jahr 2008 – die ein konzertiertes Vorgehen erforderlich gemacht hätte. Jede Notenbank handelte nur mit Blick auf die Lage im eigenen Land. Es ist angesichts der weiten geografi­schen Entfernungen zwischen diesen Staaten auch wenig wahrscheinlich, dass sie sich gegenseitig abgesprochen haben.

Wenn so viele Institutionen trotzdem auf den gleichen Ge­danken kommen, dann muss das nachdenklich stimmen.
Es kann nicht nur Zufall sein. Es deutet vielmehr darauf hin, dass die Notenbanken die Lage der Weltwirtschaft doch als ernster einschätzen. Sie wollen rechtzeitig gegensteuern. Man muss sich also darauf einstellen, dass die sehr lockere Geldpolitik anhalten wird. Das ist ein wichtiges Datum für die weitere Entwicklung der Finanzmärkte.

Die Reaktion auf den Big Bang

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Schon jetzt haben die Märkte massiv auf den Big Bang rea­giert. Am stärksten war das bei Aktien der Fall. Der DAX und der japanische Nikkei legten in zehn Tagen 800 Punkte zu, der amerikanische Dow 700 Punkte. Das zeigt die große Bedeutung der Geldpolitik für die Aktien. Wer diesen Markt richtig verstehen will, muss – jedenfalls in Zeiten wie diesen – nicht nur auf die Konjunktur schauen, sondern auch auf die Zentralbanken.

Bemerkenswert war, dass die amerikanischen Aktien trotz der angekündigten Zinserhöhung anzogen. Dahinter steht freilich kein monetärer Mechanismus. Es war ganz einfach die Erleichterung der Investoren, dass die amerikanische Notenbank nicht in Untätigkeit verharrt, sondern das Heft in die Hand nimmt. Wenn die Zinserhöhung dann wirklich kommt und im nächsten Jahr weitere Schritte vorgenommen werden sollten, kann sich die Stimmung am Markt drehen.

Der US-Dollar befestigte sich angesichts der unterschied­lichen Politiken in den USA und den anderen Ländern han­delsgewichtet rund um den Globus um knapp 2 %. Das war weniger als ich gedacht hatte. Offenbar ist der Markt der Meinung, dass der Dollar schon sehr hoch notiert. Jede wei­tere Aufwertung würde Ungleichgewichte in der US-Wirt­schaft hervorrufen. Die Bondrenditen haben am wenigsten reagiert. Sie sind in Europa zunächst lehrbuchmäßig zu­rückgegangen, dann aber gleich wieder gestiegen. Hier scheint die "Luft raus" zu sein.

Wie geht es nun weiter? Zunächst haben sich die Chancen auf eine Jahresend-Rallye vergrößert. Das einzige, was jetzt noch dagegen spricht ist, die Tatsache, dass derzeit fast alle mit einer solchen Entwicklung rechnen und sich entsprechend positioniert haben. In einer solchen Situation reicht ein kleiner Funke, um eine gegenteilige Reaktion aus­zulösen.

Für das Jahr 2016 ergibt sich: Die Liquidität wird hoch und die Zinsen werden niedrig bleiben. Es ist schwer vorstellbar, dass die Zentralbanken außerhalb der USA nach den jüngs­ten Lockerungen das Ruder schnell wieder herumwerfen und mit einer Normalisierung der Geldpolitik beginnen. Es gibt freilich Indizien, dass die monetäre Expansion in der Welt 2016 doch nicht ganz so hoch sein wird wie 2015. In den USA stehen die Zeichen eher auf Normalisierung. In China gehen die Währungsreserven zurück (in den letzten Monaten um USD 500 Mrd.). Das verringert für sich genom­men die Liquidität in dem Land. Eine Reihe von Schwellen- und Entwicklungsländer wird am Devisenmarkt intervenie­ren müssen, um größere Kapitalabflüsse zu verhindern. Schließlich: Auch bei den Wertpapierkäufen der Zentralban­ken gibt es Abnutzungseffekte. Je länger sie laufen und je stärker sie werden, um so weniger wirken sie in der Volks­wirtschaft.

Für den Anleger

Das monetäre Umfeld der Aktienmärkte wird 2016 gut blei­ben. Das kompensiert mögliche negative Effekte, die sich aus einer schwächeren Konjunktur ergeben. Aber die mone­tären Impulse werden aller Voraussicht nach nicht mehr so stark sein. Die Aktien werden daher vermutlich noch einmal steigen, aber nicht mehr so stark wie 2015. Hier muss man auch das erreichte hohe Niveau vieler Kurse im Kopf haben. Bei den Zinsen gibt es nicht mehr viel Spielraum nach un­ten. Hier werden sich die Renditen unter Schwankungen per Saldo seitwärts entwickeln.

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