Kommentar
09:51 Uhr, 22.10.2014

Der Siegeszug der Internet-Deflation

Eine gängige Theorie geht so: Bei fallenden Preisen würden die Verbraucher Käufe in die Zukunft verlagern, weil die Konsumgüter dann günstiger zu haben wären. Das funktioniert bei langlebigen Wirtschaftsgütern, aber nicht bei Gütern des täglichen Bedarfs.

Kartoffeln oder Nudeln werden gekauft, wenn sie gebraucht werden. Gleiches gilt für das bei solchen Statements stets hervorgekramte Toilettenpapier.

Der preisbewusste Verbraucher sucht nach Schnäppchen. Dies ist aber kein spezielles Kennzeichen einer Deflation, genauso wenig wie das Betanken des eigenen Fahrzeugs in den Nachmittags- und Abendstunden. Die Verlagerung in die Zukunft hat ihre Grenzen dort, wo eine Notwendigkeit besteht.

Anders sieht es bei langlebigen Wirtschaftsgütern aus. Diese sind vergleichsweise teuer, ähneln einer Investition und werden häufig fremd finanziert. In einer Phase, in der es finanziell knapp wird, werden solche Anschaffungen verschoben. Die Dimension „Zeit“ lässt hier einen weiten Spielraum.

Mit Hilfe spezieller Internet-Preisvergleichsportale lässt sich der Preisverfall im Produkt-Lebenszyklus langlebiger Wirtschaftsgüter wie LCD-Fernseher, Notebooks, Smartphones oder auch von Haushaltsgeräten genau nachvollziehen. Der preisbewusste Verbraucher schlägt dann zu, wenn die Kombination aus Modellalter und Preis eine für ihn günstige Konstellation erreicht. Das deflationäre Zuwarten wird belohnt.

Und genau dies beflügelt eine deflationäre Entwicklung. Denn der preisbewusste Verbraucher lernt: Warten lohnt sich. Je länger diese Zyklen werden, desto weniger Preishoheit bleibt den Anbietern.

Apple setzt – fast als einziger Massenmarkt-Anbieter – einen Kontrapunkt: Der Kunde sehnt das neue Produkt herbei. Er ist bereit, einen Aufpreis zu bezahlen. Dies wirkt inflationär.

Doch wie viele Firmen existieren, die sich eine solche Strategie leisten können? Im Luxussegment (Uhren, Schmuck etc.) sicherlich, aber dort längst nicht überall.

Würde Apple seinen „Sex Appeal“ verlieren, würde eine wichtige, inflationär wirkende Komponente entfallen. Apple hat - im Bezug auf den Massenmarkt – nirgendwo ein Pendant.

Das Internet hat einen vergleichenden und abwartenden Verbrauchertyp geformt. Solange dieser Typus dominiert, bleibt wenig Raum für inflationäre Entwicklungen. Schließlich wird beispielsweise das US-BIP zu 70 Prozent vom Konsumenten bestimmt.

Eine weitere Negativ-Entwicklung wird durch die fehlende Lohn-Inflation verursacht. Im Laufe des Arbeitslebens konnte der Arbeitnehmer sein Häuschen finanzieren, weil die Gehaltserhöhungen (und sei es nur ein Inflationsausgleich) die nominal gleichbleibenden Hypothekenraten progressiv stärker übertrafen. Es fiel von Jahr zu Jahr leichter, den Kredit zu bedienen. Die fehlende Lohn-Inflation schränkt diesen Mechanismus ein.

Zudem gilt: Deflation macht Schulden „wertvoller“. Aus Angst vor einer solchen Entwicklung kommt die Kreditnachfrage nicht in Gang.

Ohne dass sich Europa oder die die USA offiziell in einer Deflation befinden: Man fragt sich, wie sehr die genannten Entwicklungen überhaupt eine Normalisierung zulassen.

Man könnte das Internet oder zumindest die Vergleichsportale abschaffen. Man könnte den Geist von Ebay oder Amazon zurück in die Flasche stecken. Das würde besser wirken als jedes Lockerungsprogramm der Zentalbanken. Doch ein Zurück gibt es nicht mehr.

Die US-Inflationsrate für den September wird in diesen Tagen veröffentlicht. Die US-Autofahrer zahlten Anfang September an den Tankstellen durchschnittlich 3,54 US-Dollar pro Gallone; Ende September waren es 3,43 US-Dollar. Der US-Erdgaspreis blieb im September konstant. Uns erscheint deshalb die Annahme einer unveränderten bis leicht negativen Veränderung gegenüber dem Vormonat plausibel.

Die US-Inflationsrate betrug im August 1,7 Prozent. Das liegt unterhalb dessen, was die US-Zentralbank anstrebt (2 Prozent). Die September-Inflationsrate dürfte bei 1,5 bis 1,6 Prozent liegen.

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Im Oktober kam es zu einer Beschleunigung der Abwärtsbewegung des Ölpreises. WTI Crude fiel von 91 auf aktuell 83 US-Dollar. Auch wenn noch einige Handelstage folgen, dürfte die Oktober-Inflationsrate weiter fallen, auf wahrscheinlich 1,3 bis 1,4 Prozent.

Die von der Fed stark beachtete „Konsumausgaben-Inflation“ (PCE-Inflation) würde nur noch knapp oberhalb der Ein-Prozent-Marke liegen.

Die Ein-Prozent-Marke ist wichtig, weil die US-Zentralbank üblicherweise nicht wartet, bis eine deflationäre Phase eintritt. An dieser Marke würden stimulierende Maßnahmen eingeleitet werden, um eine Deflationsspirale zu verhindern.

Eine sorgenvolle Unterstützung der Zentralbanken durch QE oder Nullzinspolitik, ohne dass rezessive Tendenzen sichtbar werden: Dies zeichnet offenbar einen „goldenen Weg“ an den US-Aktienmärkten vor. Erst dann, wenn selbst die Unterstützung durch die Zentralbank einen Verlust der wirtschaftlichen Dynamik nicht mehr verhindern kann, wird der goldene Weg zur Rutschbahn. Aber erst dann.

 Robert Rethfeld 

Wellenreiter-Invest

2 Kommentare

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  • okont
    okont

    ​Ist es wirklich so? Ich mein, wenn die Waschmaschine kaputt geht, muß heute eine neue gekauft werden, nicht erst nächstes Jahr. Außerdem, wir reden immer von einer Deflationsrate im 1-2% Bereich. Die täglichen oder wöchentlichen Angebote der Verkäufer haben einen wesentlich größeren Schwankungsbereich als die genannte Rate. Ich glaube nicht, das Ottonormalverbraucher mit dem neuen Fernseher auf nächstes Jahr wartet, weil es vielleicht 1% oder 2% billiger wird. Und bei großen Investitionen? Ja, vielleicht, aber dort habe ich das Zinsrisiko, der Investitionspreis verringert sich um oder 2%, die Zinsen steigen dafür und schon war die Warterei nonsens. Ich weiß nicht, ob die Angst vor der Deflation so ihre Berechtigung hat.

    16:18 Uhr, 22.10.2014
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