Meine 5 Cents zu den Covid-19 Zahlen
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Prof. Dr. Christian Drosten verwies vor einigen Tagen auf das Datenmodell der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi). Danach könnte die Zahl der Infizierten innerhalb weniger Wochen auf etwa 8 Millionen ansteigen, würde man nichts unternehmen. Nach etwa 50 Tagen wäre ein oberer Wendepunkt erreicht, die Zahl der aktiven Fälle würde sinken. Je stärker die Maßnahmen sozialer Distanzierung wirken, je flacher würden sich die Fallzahlen entwickeln. Wir berücksichtigen im folgenden Chart die Extremlinie (graue Linie, „keine soziale Distanzierung“). Die Linien beginnen zeitlich jeweils an dem Datum, an dem ein Land die Zahl von 100 Fällen überschritten hatte. Danach läge Deutschland etwa 8 Tage hinter Italien zurück.
Noch verdoppelt sich die Zahl der aktiven Fälle in den meisten Ländern alle drei Tage.
China schaffte es, die Verlaufskurve - nach anfänglichem Zaudern - durch rigorose Maßnahmen und den Einsatz von medizinischen Kapazitäten aus allen Teilen des Landes abzuflachen. Die Zahl der aktiven Fälle begann ab dem 37. Tag zu fallen. Südkorea war noch schneller, weil das Land bisherige Virus-Erfahrungen nutzte und schnell die daraufhin aufgebaute Infrastruktur in Kombination mit Notfallplänen aktivierte.
Deutschland verfügte von Beginn an eine Testkapazität von 100.000 Tests pro Woche, sodass in der Anfangsphase - im Gegensatz zu Italien - nahezu jeder Fall erfasst wurde. Deshalb notierten die Fallzahlen in Italien am 23.02.2020 vermutlich deutlich höher als offiziell angegeben.
Zieht man die Zahl der Todesfälle zu Rate, verfügt Italien über einen Vorsprung von etwa drei Wochen vor Deutschland.
Wieviel Vorsprung hat Italien wirklich? Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen, also bei etwa 14 Tagen.
Wenn es richtig ist, dass die deutschen Zahlen recht nahe an der Realität sind, dann tritt dennoch eine Verzögerung von 5 bis 7 Tagen ein. Ein Infizierter bemerkt häufig die In-fektion erst nach diesem Zeitraum, und die Testergebnisse erhält man nach ein bis zwei Tagen.
Am vergangenen Wochenende (14. März) erfolgten in Deutschland erste verschärfende Maßnahmen. Die Zahl der täglichen neuen Fälle fiel am 21. März gegenüber dem Vortag von 4.528 auf 2.365. Auch wenn eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, ist dies ein erster Hoffnungsschimmer für eine Abflachung der Kurve.
Der Verlaufsvergleich verschiedener Länder, beginnend mit der Überschreitung der Fallzahl 100, zeigt für China ab dem 24. Tag einen Rückgang der neuen Fälle an. Deutschland befindet sich bei Tag 21. Italien (Tag 28) hat diesen Punkt bereits überschritten, aber auch hier verlangsamt sich der Anstieg.
Die Zahlen als den USA bleiben besorgniserregend, weil der Anstieg der neuen Fälle an Dynamik gewinnt. Florida droht aufgrund der noch vorhandenen Unbekümmertheit der Jugend und der gleichzeitig hohen Zahl älterer Menschen zu einem Epizentrum zu werden. Auch hier helfen nur „Social Distancing“, das Sperren von Stränden und Ausgangssperren.
Covid-19 begann in China. China und einzelne asiatische Länder zeigten, dass es möglich ist, die Verbreitung der Seuche zu stoppen. Ausgangssperren oder Anordnungen mit ähnlicher Wirkung wurden in weiten Teilen Europas in Kraft gesetzt. Wir nehmen an, dass auch Europa die Kurve kriegen wird, und zwar in Kürze. Aber das Umdenken braucht jeweils Zeit. In Deutschland dauerte es etwa zwei Wochen, bis fast jeder kapiert hat, dass sein Verhalten die Gesundheit anderer Personen beeinflusst. Die USA sind noch nicht ganz so weit. Im Land der großen Freiheit trifft die temporäre Beschränkung der Persönlichkeitsrechte insbesondere unter den Anhängern der republikanischen Partei auf Widerstand.
Die Hoffnung einer Abkürzung in Form von Wirkstoffen und Medikamenten wird jeden Tag größer, aber es ist ein Wettlauf gegen exponentielles Viren-Wachstum. Zwischenlösungen bis zur großen Durchimpfung sind gefragt. Bis es so weit ist, verschafft lediglich die soziale Distanzierung Aussicht auf Besserung.
Das große Experiment
Im vergangenen Jahr erschienen viele Bücher, in denen einen Crash prognostiziert wurde. Soweit mir bekannt ist, bezog sich deren Vorhersage nicht auf eine Corona-Panik, sondern auf einen systembedingten Zusammenbruch des Finanzsystems. Das Finanzsystem sei nicht in der Lage, eine nochmalige Rezession zu stemmen. Diese Ängste teilen mittlerweile viele. Eine Situation, in der eine Pandemie mit einem „Lockdown“ und drastischen Einschränkungen für die Bewegungsfreiheit der Bürger einhergeht, hatten wir im Jahr 1929 nicht, und auch nicht in der Finanzkrise 2008/09.
Anders als 2008/09 geht es darum, das vorhandene Geld rechtzeitig an die Betroffenen zu bringen. Eine große öffentliche Schuldendebatte gibt es nicht. Das mag noch kommen. Jetzt gilt es, die schwindende Liquidität auszugleichen und die Löcher zu stopfen, und zwar auf allen Ebenen (Zentralbanktransaktionen, Geldmarkt, Fiskalpolitik). Die Fed darf - im Gegensatz zur EZB und anderen - keine Unternehmensanleihen kaufen. Das wird sich wahrscheinlich ändern, Yellen und Bernanke forderten dies gestern. Die Fed plant offenbar auch, frisch emittierte US-Staatsanleihen direkt zu kaufen, ohne den Umweg über den Markt. Die EZB stellt sich darauf ein, grundsätzlich alles an den Kapitalmärkten aufkaufen zu können, es gibt keine selbstauferlegten Beschränkungen mehr.
Es ist ein großes Experiment: Weil die Ökonomie stillsteht, zahlt der Staat die Rechnungen so lange, bis die Wirtschaft wieder anspringt. Dies lässt sich sogar rechtfertigen: Wer den Lockdown anordnet (der Staat), der soll die finanziellen Folgen tragen.
Die Frage der Kollateralschäden ist nicht unberechtigt. Es werden möglicherweise Unternehmen gerettet, die schon vorher krank waren. Inflation könnte entstehen. Andererseits sind die Alternativen nicht viel erbaulicher. Wenn die Staaten nicht eingreifen, zerreißen die Arbeitsplatz-Netze. Arbeitslosenquoten von 20 Prozent stehen für die USA im Raum. Der Staat würde auch hier tief in die Tasche greifen müssen. Besser ist doch, die Unter-nehmen zu stützen – in Deutschland u.a. durch Kurzarbeitergeld – und damit Kündigungen weitgehend zu vermeiden.
Die Frage der Staatsverschuldung ist in diesem Fall untergeordnet. Die Fed hat bisher nur 11 % der US-Staatsanleihen in ihrem Portfolio, die EZB 22 %, die Bank of Japan 50 %. Ob man es mag oder nicht: In der aktuellen Situation können die Zentralbanken gar nicht anders handeln, als den Mechanismus der Schuldenübernahme durch Käufe von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen, Hypotheken und anderer Wertpapiere auszuweiten. Geld- und Fiskalpolitik müssen ineinandergreifen.
Es geht darum, eine große Depression nicht entstehen zu lassen.
Ich wage die Aussage, dass unser - natürlich nicht perfektes – Finanzsystem ausreichend flexibel ist, um diese Phase zu überstehen. Man stelle sich vor, ein Vollgeldsystem wäre eingeführt, Banken könnten keine Kredite schöpfen, Geldmengen könnten nicht ausge-weitet werden. Das wäre jetzt eine Katastrophe.
Ich bin mir sicher, dass die öffentliche Diskussion in der Aufarbeitung der Pandemie auf alle diese Themen kritisch eingehen wird. Aber jetzt brennt es, und jetzt muss etwas getan werden, auch wenn es später Kollateralschäden hervorruft. In einer Phase wie jetzt kann es nur heißen, möglichst flexibel agieren zu können.
Selbst Keynes würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen würde, wie sehr die Gren-zen der Volkswirtschaftslehre gesprengt werden. Die Lehrbücher müssen nach der Krise neu geschrieben werden.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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Sehr guter, ausgewogener Beitrag. Für die oben geäußerte These, dass die Staaten unverdrossen und massiv beibuttern spricht natürlich auch, dass niemand (also so gar niemand) ein Interesse daran hat, kürzer treten zu müssen. Wer will denn gekürzte Ausgaben? Niemand. Nur aufs Ergebnis bin ich gespannt. Kommt der realwirtschaftliche Motor wirklich wieder ins Laufen (ich zweifle, erwarte allenfalls teuer erkaufte Stagnation)? Steigen Aktien wie gewohnt wieder, Immopreise auch (könnte ich mir vorstellen)? Bleiben die Zinsen niedrig (kann man so oder so sehen)? Und was passiert mit den Ausreißern, siehe Schere physischer Edelmetallmarkt und Papier-Edelmetallmarkt die letzten Tage...hab das mal verfolgt, das ist der absolute Oberhammer, Hilfe...bin das allererste Mal wirklich gespannt, wer hier wen in den nächsten Wochen plättet. Das geht in solchen Situationen ja manchmal ratzfatz...man stelle sich vor, die Amis kommen auf den Geschmack. Und wenn das Öl im Herbst tatsächlich unter 10 USD fällt (profitiert China, so viel ist klar), ist gleich der ganze USD wg. der Fracker-Schulden m.M.n. platt. Das wäre schlecht, weil dann bräuchte man glaube ich ne einsame Insel.
Die Anzahl der COVID-19-Infizierten ist ziemlich irrelevant. Laut RKI zeigen ~80% milde Symptome. Von daher sollte man auch primär die Anzahl der Fälle mit schwerwiegenden Symptomen nennen.
Die totale Hysterie um das Thema kann ich ohnehin nicht nachvollziehen. Nach genau 2 Monaten gibt es in Deutschland 130 COVID-19-assoziierte Todesfälle. Allein durch einen Sturz zuhause sterben 446 Personen pro Monat oder beispielsweise durch COPD 1.374 Personen pro Monat. Welche Maßnahmen sollte man dann erst bei diesen Todesursachen ergreifen? Totaler Shut-Down für immer?
hahaha ..es könnte Inflation entstehen???? Witzig
In Italien gab es in der letzen Saison 18/19 25.000 Grippe Tote. In DE gab es 17/18 25.100 Grippe Tote.
Ich frage mich ob wir diese Werte incl. Corona Tote überhaupt erreichen.
Vorstellbar ist das wir durch die ganzen Maßnahmen sogar am ende deutlich darunter liegen werden.
Sollten wir nicht deutlich darüber liegen dann wär es doch zu empfehlen wenn wir nun jedes Jahr die Bürger Februar - Mai in den unbezahlten Zwangsurlaub schicken.
Jetzt schon mal fettes Danke an die Politiker.
da in Zukunft Marktbereinigen möglicherweise ausbleiben bzw. nicht so drastisch ausfallen werden, w ie es früher mal war, sehen wir hier vielleicht den Aufbruch in ein neues Geld- und vor allem Wirtschaftssystem. Gut möglich, dass am Ende ein BGE winkt.
Richtig ist zu handeln. Ob die Entscheidungen richtig sind wird sich zeigen. Nicht zu handeln wäre fatal. Es scheint so verlockend, immer neues Geld in das System einführen. Leider haben die Verantwortliche nichts gelernt aus den vergangen Jahren und Krisen.
Auch wenn wir dieses mal die Kurve noch bekommen und alle danach die Rettung feiern-Hier entsteht die nächste Blase - Titanic lässt grüßen
Spekulationen über Spekulationen
Eine Seuche würde ich es nun nicht gerade nennen,Pandemie ist relativ,wir hatten einen nassen und windigen/stürmischen Winter die Grippe-Welle gabs schon ab November.Man hat dem Kind einen Namen gegeben und die Welt spielt verrückt.Die Börse hat nicht in erster Linie unter dem Virus gelitten,sondern die crashGefahr war schon länger im Raum als der Virus.
Was in Italien zu übermässigen Todesfällen führte,da fragt man am besten die dortigen Ärzte.Hier in Deutschland melden sich Kliniker schon mit bedenken,auch der ganzen Zahlen gegenüber.
So wie es kam,geht es auch und bald werden wir nichts mehr darüber hören und lesen.
Die ganze „Retterei" hat seit 2008 lediglich dafür gesorgt, dass keine Marktbereinigungen mehr sattgefunden haben. Nun wird versucht zu retten, was vielleicht gar nicht mehr zu retten ist.
Kein Mensch kann seriös vorhersagen, wieviel Geld am Ende „erzeugt“ werden muss, um zumindest das Schlimmste abzuwenden. Das kann und wird das Vertrauen in das Geldsystem mit Sicherheit extrem strapazieren, wenn nicht gar vollends zerstören.
Der Goldpreis und vermutlich auch entsprechende Minenaktien sollten den Fortschritt des Vertrauensverlustes einigermaßen zuverlässig anzeigen.
Außerdem ist es gut möglich, dass die versprochene finanzielle Unterstützung von nahezu unzähligen „bedürftigen“ Unternehmen, Selbständigen usw. schlichtweg logistisch gar nicht schnell genug zu leisten ist. Nur die „Dickschiffe zu retten wird diesmal reichen…
Sehr guter Artikel! Und endlich mal relativ neutral geschrieben! Passiert im Moment ja auch nicht häufig.