Fundamentale Nachricht
13:01 Uhr, 16.12.2021

Den Kurven folgen

Die kommenden sechs Monate dürften nach Einschätzung von Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers, sowohl bezüglich der Pandemie als auch für die Inflationsentwicklung entscheidend sein.

Es ist schwer vorstellbar, dass die realen Renditen so stark ansteigen, dass die nominalen Anleiherenditen weit über die Höchststände dieses Jahres hinausgehen – insbesondere, wenn mehrere Länder wieder zu Lockdowns tendieren.
Deshalb ist es schwer, gegenüber Anleihen allzu pessimistisch zu sein.

Nur wenn die Inflation so hartnäckig wäre, dass die Notenbanken sie wirklich zu unterdrücken versuchten, würden die realen Renditen so stark ansteigen, dass sie den Erträgen von Anleihen und Aktien großen Schaden zufügen.
Die kommenden sechs Monate dürften sowohl bezüglich der Pandemie als auch für die Inflationsentwicklung entscheidend sein.

Wieder Homeoffice

Um auf die Bedrohung durch die hohen Corona-Infektionsraten und der noch unbekannten Gefahr durch die Omikron-Variante zu reagieren, kündigte die britische Regierung vergangene Woche Maßnahmen an, die erneut in Richtung Lockdown gehen. Auch in anderen Ländern wurden weitere soziale Beschränkungen eingeführt. Das ist weit entfernt von den kompletten Lockdowns im Frühjahr 2020, aber es erinnert daran, dass sich die Weltwirtschaft noch nicht normalisiert hat. Im Verlauf des nächsten Quartals wird es zu zusätzlichen Störungen bei Konsumausgaben, Beschäftigung, Reisen, Freizeitkonsum und der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen kommen. Auch der Druck auf die Gesundheitssysteme und die damit verbundenen politischen Auswirkungen könnten zunehmen, vor allem, wenn die Wähler durch die Pandemie und ihre Auswirkungen ermüdet sind.

Entscheidungen

In den vergangenen Monaten drehte sich die Diskussion in Wirtschaftskreisen um die Umkehrung der COVID-bedingten Stimulierungsmaßnahmen. 2022 zeichnet sich als das Jahr der Zinserhöhungen und der fiskalischen Zurücknahme ab. Die höhere Inflation ist die makroökonomische Kraft, die diese politischen Erwartungen antreibt. Doch was nun? Die Zinsen anheben, um die Inflation zu bekämpfen? Oder im akkommodierenden Modus bleiben, um etwaige neue negative Auswirkungen des Coronavirus auszugleichen?

Wendepunkt

Die meisten Szenarien lassen sich aus der aktuellen Bewertung des Anleihemarktes ableiten. Für 2022 sind fast drei Zinserhöhungen durch die Federal Reserve (Fed) eingepreist, für Großbritannien fast vier und für die Europäische Zentralbank (EZB) wird mit weniger als einer Zinserhöhung im kommenden Jahr gerechnet. Der Vorsitzende der Fed, Powell, hat kürzlich eine restriktivere Haltung signalisiert. Zusätzlich haben seit dem 30. November die US-Märkte sowohl im Aktien- als auch im Rentenbereich schlechter abgeschnitten (EuroStoxx 1,98 Prozent gegenüber S&P 500 0,32 Prozent; deutscher Bundesanleiheindex zehn Jahre plus 0,81 Prozent gegenüber US-Schatzanleiheindex 10 Jahre plus 0,40 Prozent). Wachstums- und technologielastige Aktien haben sich unterdurchschnittlich entwickelt, während Value-Titel, Europa und die Schwellenländer eine Outperformance erzielten.

Gemischte Signale

Am vorderen Ende der US- und britischen Renditekurven wurde bereits viel eingepreist, und die Märkte haben darauf reagiert. Im weiteren Verlauf der Renditekurve ist es jedoch nicht so eindeutig. Die Benchmark-Renditen sind im Vergleich zum Zeitpunkt von Powells Umschwenken unverändert bis niedriger. Im Allgemeinen bewegen sich die Renditen innerhalb der Bandbreiten, in denen sie während des Jahres 2021 gehandelt wurden. Die Botschaft des Anleihemarktes lautet, dass die Notenbanken zwar mit der Straffung ihrer Geldpolitik beginnen könnten, doch das Wachstum der globalen Wirtschaft wird sich verlangsamen und die Inflation nachlassen. Die langfristigen Zinsen müssen somit nicht steigen.

Anhaltende Konfusion

Diese Schizophrenie wird wohl nicht verschwinden. Das bedeutet, dass der Besitz von Anleihefonds in absehbarer Zeit keine sehr negativen Renditen bringen wird. Es ist schwer vorstellbar, dass die Notenbanken die Zinsen anheben, wenn die Zahl der Corona-Fälle weltweit steigt. Um auf das Niveau der US-amerikanischen und europäischen Anleiherenditen zu kommen, das im vergangenen geldpolitischen Straffungszyklus (2015-2018) erreicht wurde, müssten die realen Renditen enorm steigen (280 Basispunkte in den USA und 115 Basispunkte in Europa). Wir haben kein einziges überzeugendes Argument gesehen, das einen solchen Anstieg bewirken würde.

Rechnen wir nach

Die realen Renditen sind (in einem strukturell rückläufigen Trend) in den USA in jedem der drei vergangenen Straffungszyklen gestiegen - aber nicht eins zu eins mit den Fed Funds. Rückblickend ist festzustellen, dass die realen zehnjährigen Renditen bei jeder Erhöhung der Fed Funds Rate um ein Prozent nur um 0,15 Prozent gestiegen sind. Wenn die Fed das Fed-Funds-Ziel um 200 Basispunkte anhebt, werden die realen zehnjährigen Renditen auf dieser Grundlage um 0,3 Prozent steigen. Geht man davon aus, dass die Break-Even-Inflation bei 2,4 Prozent liegt, so ergibt sich eine Nominalrendite bei zehnjährigen Treasuries von 1,7 Prozent.

Das pessimistische Szenario

Pessimistisch gegenüber Anleihen zu sein, erfordert die Überzeugung entweder einer aggressiveren Fed, eines Anstiegs der realen Renditen, wie wir ihn nur während des Taper-Tantrums 2013 gesehen haben, oder eines Anstiegs der Breakeven-Inflation, der darauf schließen lässt, dass die Fed die Kontrolle über die langfristigen Inflationserwartungen verloren hat. Wer von einer dieser Aussagen überzeugt ist, sollte bei Anleihen bleiben, vor allem bei Unternehmensanleihen, wo mehr Carry möglich ist. Für die europäischen Anleihemärkte stehen die Aussichten auf deutlich höhere Renditen sogar noch schlechter.

Schwierigeres Umfeld zu Jahresbeginn 2022

Meiner Meinung nach wird der Jahresbeginn 2022 chaotisch werden. Abgesehen von der Corona- und Inflationsproblematik gibt es wachsende geopolitische Bedenken in Bezug auf Russland und die Ukraine sowie die Haltung Chinas gegenüber Taiwan. In Europa besteht die Möglichkeit, dass sich die Entwicklungen in Großbritannien, wo die Regierung an mehreren Fronten angegriffen wird, zum Schlechten wenden. Außerdem stehen im Frühjahr die französischen Präsidentschaftswahlen an. Weniger klare Wachstums- und Inflationsaussichten als 2021 und mehr politische Ungewissheit führen sicherlich zu einem schwierigeren Ertragsumfeld. Die Renditen der Aktienindizes lagen in 2021 zwischen 20 Prozent und 30 Prozent. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies wiederholt.

Die Virus-Kurve in Q1 ist entscheidend

Wenn sich herausstellt, dass die Omikron-Variante nicht so schwerwiegend ist und zum finalen Endspiel in Bezug auf das Coronavirus beitragen kann, werden die Aussichten eher expansiv sein. In den kommenden Wochen könnte es im Zusammenhang mit der neuen Variante zu einer großen Welle neuer Fälle kommen und dann zu einem raschen Rückgang im Laufe des Jahres 2022. Aber solche Dinge brauchen Zeit, wie wir bei früheren Wellen gesehen haben. In diesem optimistischeren Szenario werden die Zinsen steigen und der Fokus wird auf der mittelfristigen Kontrolle der Inflation liegen. Für die Marktentwicklung wird dann entscheidend sein, wie die Weltwirtschaft reagiert. Wir haben ein starkes Momentum beim Wachstum, bei den Auswirkungen der politischen Maßnahmen und in der Gewinnentwicklung der Unternehmen. Was bisher in den Zinsen eingepreist ist, dürfte nicht allzu schädlich sein. Die Anleiherenditen könnten steigen (ungeachtet des Problems der Realrenditen), und das könnte wieder ein positives Signal für zyklische Werte sein. Ich erwarte, dass Aktien aus Europa und den Schwellenländern besser abschneiden. Und schließlich hat die in dieser Woche angekündigte Lockerung der Geldpolitik chinesische Aktien zum Markt mit der besten Performance gemacht.

Jahr der Entscheidung für die Inflation

Für die Inflation wird das neue Jahr wegweisend: Kehren wir zu dem vor der Pandemie herrschenden Inflationsniveau von zwei Prozent oder niedriger zurück? Oder haben wir uns auf ein höheres Niveau begeben? Inflationsgebundene Märkte in den USA preisen derzeit eine Fünfjahres-Inflationsrate ein, die über dem gleitenden Fünfjahresdurchschnitt der realisierten Teuerungsrate liegt. Stellt dies eine erhöhte Inflationsrisikoprämie dar? Wahrscheinlich. Im schlimmsten Fall sind die Notenbanker der Ansicht, dass sie die Inflation brechen müssen – dann würden die realen Renditen steigen und das Wirtschaftswachstum würde negativ reagieren. Das ist ein mögliches Ergebnis. Wir sollten aber noch abwarten, was die zukünftigen Daten bringen.

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