Kommentar
14:15 Uhr, 01.05.2023

Das Wort zum Feiertag - Ein paar Punkte zum Thema Trading

Wenn man so pauschal durch die Börsenforen scrollt, fällt mir eins auf: Viele Marktteilnehmer neigen in letzter Zeit dazu, eine gehörige Portion FOMO an den Tag zu legen.

Es werden sich Handels-Setups geradezu zurecht gebogen, nur um daraus dann irgendwie irgendwas handeln zu können. Das sind natürliche Verhaltensmuster, wie sie in einem Marktgeschehen wie dem aktuellen immer wieder vorkommen und gegen die niemand gefeit ist, auch ich persönlich nicht.

Ein Markt, in dem man gefühlt ewig suchen muss, um Szenarien zu konstruieren, die es wert wären gehandelt zu werden, taugt eben gerade dazu nicht bzw. nur bedingt. Er erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Geduld und verführt geradezu dazu, in FOMO-Verhaltensmuster zu verfallen und den allerletzten Mist zu handeln, nur damit man irgendwie auch Teil dieses Marktes sein kann.

Ich selber präsentiere seit geraumer Zeit ja auch nur noch wenige Handels-Szenarien (sowohl im Service als auch im "freien Bereich") und darüber hinaus kommt auch nach und nach die Aktivität in den Musterdepots zum Erliegen. Das mache ich ja nicht, weil ich momentan keine Lust hätte, um Setups zu suchen und zu finden. Im Gegenteil die Suche danach ist in solchen Marktphasen ungleich intensiver, da man zum einen wenig(er) findet und zum anderen diese paar SetUps, die man letztlich ausmacht, sehr intensiv abwägen und prüfen muss. Bei diesem Prozess fallen dann die meisten durchs Sieb und von den paar die es schaffen, kann man froh sein, wenn die Hälfte dann zu einem Treffer wird.

Solch ein Markt sollte immer zu Zurückhaltung zwingen, denn Performance ist in Trendphasen jedweder Art ungleich einfacher und besser zu erzielen, mit deutlich weniger Zeitaufwand und weniger verbundenem Ärger als über kleine aber eine Zeit lang stetige Verluste.

5 Regeln für die Setupsuche

Hier mal noch ein paar GRUNDSÄTZE, die man bei der Suche und dem Handeln von Setups IMMER berücksichtigen sollte.

1.) Nur dort agieren, wo gerade Action ist!

Erläuterung: Das können frische Tops/Lows (samt passender Pattern wie entsprechender Kerzen und Formationen) sein oder aber auch frische Ausbrüche aus Konsolidierungen oder anderen Formationen (Flaggen, Trendkanäle, Aufwärts- und Abwärtstrends, pro- oder antizyklisch!). Ebenso gibt es spontane Bewegungen "aus dem Nichts", oftmals begleitet von Meldungen und/oder intraday Reversals. Solche Setups sorgen für hohe Aufmerksamkeit unter Tradern/Investoren und somit dafür, das hoch liquider Handel gesichert ist, was bei Einsetzen der gewünschten Handelsrichtung zu einem robusten Setup mit direkter und hoher Trefferquote führt.

2.) Finger weg von "lame ducks".

Erläuterung: Setups in einem Chart, der seit Wochen- Monaten oder gar Jahren seitwärts innerhalb einer gewissen Range und/oder Struktur läuft, sind zu vermeiden, generell sollte man solche Charts entweder ignorieren oder nur dann betrachten, wenn (siehe 1) ACTION anstehen könnte. Das bedeutet, trendlose Charts sind nur alle paar Wochen, Monate oder Jahre interessant genug, um etwa anzubieten, und zwar wenn sie die oberen oder unteren Begrenzungen ihrer Range angesteuert haben. So etwas lässt sich simpel grob über Kursalarme managen und solange sollte man sich nicht länger als nötig (also nicht mehr als ein paar Sekunden) mit solchen Charts herum quälen!

3) Der Blick nach links!

Erläuterung: BTFD (buy the fucking dip also das Kaufen von Rückläufen in stabilen Aufwärtstrends) zieht irgendwann nicht mehr! Das Kaufen von Rückläufen in starken prozyklischen Bewegungsmustern stößt irgendwann an seine Grenzen. Jede Aktie wird früher oder später von der Schwerkraft eingeholt. Deshalb ist es wichtig, Trendmonster-Charts gründlich zu analysieren und dazu ganz nach links in den Chart zu blicken, wo und wann und auf welchem Niveau das letzte übergeordnete Tief gestellt worden ist. Treten im Verlauf stabiler Aufwärtsmuster eindeutige korrektive Pattern auf (3wellig und in eher abgehackten Bewegungen zu neuen Hochs) = Finger weg bei Rückläufen! Ebenso gilt: Tauchen im Tages-, Wochen- oder Monats-Chart bereits bärische Divergenzen auf = Finger weg bei Rückläufen! Ist die insgesamt seit dem letzten Major Low zurück gelegte Strecke brutal groß (eine exakte Marke dafür kann man nicht benennen, das ist sehr individuell, denn ein Biotech-Wert oder Krypto-Asset hat andere Dimensionen in der generellen Ausdehnung und Volatilität als eher defensive Werte). Alles was mehrere hundert Prozent Strecke beinhaltet, ist generell und pauschal mit Vorsicht zu genießen. Gute Gradmesser sind fast immer die Abstände des Kurses zum EMA200 im Tages/Wochen/Monatschart sowie Selbiges in Bezug auf die Ichimoku-Wolke, wirken dieser optisch zu weit weg, locken Wolke und auch der EMA200 als Attraktoren gen Süden.

4) The trend is your friend!

Erläuterung: Das möchte ich mal etwas anders interpretieren als üblich. Jede Form von Trend endet irgendwann einmal oder wird zumindest unterbrochen. Je länger (zeitlich und preislich) solch ein Trend zuvor gelaufen ist, desto fataler sind in der Regel die Folgen. Maßgeblich für die Trendbestimmung ist bei der Betrachtung des generellen Chartbildes der Stand des Kurses zu den GDs (EMA10/38/62/100/200/423, sowie SMA20, 50 und 200) und zur Ichimoku-Wolke bzw. zum kompletten Ichimoku-Komplex. In einem stabilen Trend ist der Kurs stets in den Zeiteinheiten daily, weekly, monthly oberhalb von EMA10/38/62/100/200/423, sowie SMA20, 50 und 200) und der Ichimoku-Wolke vorzufinden! In einem unterbrochenen Trend geht er meistens daily oder weekly an und unter EMA10 verbleibt aber über SMA20 auf Schlusskurs-Basis. Das gilt auch für die Wolke, die dann entweder am oberen oder am unteren Wolkenrand ausreichend Halt auf Schlusskurs-Basis bietet. Trendunterbrechungen manifestieren sich zunächst im Tages-Chart und können aber müssen sich nicht auf die ZE darüber auswirken. Aus Trendunterbrechungen kann auch ein temporäres oder komplettes Trendende werden, hierbei schneidet oftmals als erstes Warnzeichen der EMA10 den SMA20 bärisch und die Kurse begeben sich an und unter diese beiden GDs. Auch hier geschieht das idR zuerst im Tageschart. Findet man solche Muster vor, muss man via Wochenchart die Gefährdungslage abgleichen (sind Kurse noch über den GDs und der Wolke, drohen hier bärische Schnitte in den GDs oder Indikatoren etc,.). Spätestens in einer Gemengelage, wo der Tageschart solche Signale geliefert hat, sind Long-Einstiege in Form eines BTFD deutlichen Risiken unterlegen und evtl. muss man dann komplett und für einen längeren Zeitraum umswitchen auf STFD (sell the fucking dip) man nutzt also bullische Rückläufe für einen Shorteinstieg.

5) Der Markt macht die Musik - Kenne dich und deinen Feind!

Erläuterung: Ein häufiger festzustellender Fehler bei vielen Retail-Tradern ist die nicht erfolgende Berücksichtigung des allgemeinen Marktumfeldes, ala "...ich trade doch nur Aktien, was interessieren mich die Indizes?..." oder auch umgekehrt "...ich trade doch nur Indizes, was interessieren mich die Aktien und Einzelwerte?..."

Es gibt ein schönes Zitat aus "Die Kunst des Krieges", was man in vielen Alltags-Situationen aber vor allem beim Trading anwenden kann: "...Wenn du dich und deinen Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen....".

Wer Aktien handelt, ohne das Index-Geschehen mit zu berücksichtigen und umgekehrt, kennt halt seinen Feind nicht und wird scheitern/unterliegen. In einem zähen Index-Umfeld liegt es in der Natur der Sache, dass jegliche Form von Setup im Zweifel auch zäh ablaufen wird. Zwar läuft nicht jede Aktie aus einem Index in denselben Pattern, wie der Index selber, doch wenn die Bewegungsstrukturen im Index deutlich limitiert sind, wachsen nur in Ausnahmefällen bei den darin enthaltenen Aktien die Bäume in den Himmel, gut 90 % der Werte oder mehr sind in ihrem Kursverhalten direkt oder indirekt vom Indexverlauf abhängig. Umgekehrt gilt auch, dass wenn die meisten in einem Index enthaltenen Aktien es nicht hergeben großartig zu steigen oder zu fallen (oder beides), dann wird es ein Index auch kaum schaffen, da etwas anderes daraus machen zu können. Somit sind Abgleiche zwingend erforderlich, um zum einen die generelle Richtung aber zum anderen auch die Erfolgsquote und die Erwartungshaltung an Bewegungsausdehnungen (i.d.R. dann ja auch immer Kursziele) zu ermitteln. Mit dieser (Er)Kenntnis bekommt man eine an den Markt angepasste Erwartungshaltung, die zwischen optimistisch bis pessimistisch schwanken kann und eine entsprechende Anpassung des eigenen Tradingverhaltens an diese Gegebenheiten erfordert, sprich eher großzügige oder eher nur moderate Kursziele (wichtig bei der CRV-Berechnung) und wie hoch sind die generellen Chancen und die Wahrscheinlichkeiten, dass ein Trade aufgeht oder ausgestoppt wird!

M. Borgmann

Dieser Text erschien ursprünglich gestern im Rahmen des üblichen CCB-Newsletters, bekam aber so viel Resonanz, dass ich ihn hier auch im "freien Bereich" einstelle.

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Michael Borgmann
Michael Borgmann
Technischer Analyst und Trader

Als "Kind des Neuen Marktes" kann Michael Borgmann inzwischen auf über 25 Jahre Börsenerfahrung zurückblicken und hat dabei schon früh die Anwendung der Technischen Analyse (Charttechnik) als "Mittel zum Zweck" für sich ausgemacht. Bei seinen Analysen beschränkt er sich nicht nicht auf einzelne wenige Aspekte der Materie, sondern verfolgt einen ganzheitlichen analytischen Ansatz, indem er Candlesticks, Elliott-Wellen, Fibonaccis, die Ichimoku-Methodik und diverse andere charttechnische Hilfsmittel miteinander kombiniert. In der Summe sieht er dadurch die Technische Analyse gegenüber der Fundamental-Analyse im Vorteil, da sie tagesaktuelle Chartdaten auswerten kann und somit einen deutlichen zeitlichen Vorsprung gegenüber der Auswertung zum Beispiel veralteter Quartalszahlen hat. Seit Juli 2015 betreut Michael Borgmann den Premium-Service „Centre Court Börse” (CCB) im stock3 Terminal (vormals: Guidants).

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