Das Risiko steigender Zinsen für den Aktienmarkt
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Die fundamentalanalytische Logik dahinter ist, dass bei steigenden Zinsen ein höherer Diskontierungssatz angewendet wird, was letztlich zu einem Absinken der Aktienkurse führen muss. Ich habe diesen Zusammenhang im Artikel Handelsstrategien (Teil 1): Der Zinsindikator auf dem Index-Manager-Desktop diskutiert und versucht mit einfachen Rechenbeispielen greifbar zu machen.
Seit Jahren orakeln nun Marktteilnehmer und Experten schon darüber, in welchem Tempo oder zu welchem Zeitpunkt die Notenbanken weitere geldpolitischen Straffungen einleiten werden.
Die Sorge ist, dass das einerseits wenig kalkulierbare Vorgehen der Notenbanken und die andererseits möglichen Folgen einer Umkehr von der Niedrigzinspolitik zu heftigen Verwerfungen oder vielleicht sogar zu einem Crash an den Aktienmärkten führen könnten.
Trotz aller Anstrengungen werden die Anleger dabei immer wieder von den Maßnahmen der Notenbanker überrascht. Man erinnere sich nur an Mario Draghis „Whatever it takes“ - Aussage im Juli 2012, welche den europäischen Aktienmarkt in einen dreijährigen Bullenmarkt katapultierte.
Wie schön wäre es also, nicht nur kommende Zinsschritte der Notenbanken hervorzusagen, sondern gleichzeitig die Auswirkungen der Zinsentscheidungen auf den Aktienmarkt zu kennen.
Tatsächlich befragt alleine die Nachrichtenagentur Reuters in den USA regelmäßig über 100 Experten hinsichtlich ihrer Erwartungen über mögliche Zinsänderungen der US-Notenbank. Leider mit nur geringem Erfolg.
Was die Wirtschaftsnobelpreisträger Eugene Fama (gemeinsam mit Kenneth French) und Robert Shiller schon in den 1980er Jahren vermuteten, wurde auch in den letzten Jahren von anderer Seite bestätigt: Die Leitzinsen lassen sich nur schwer vorhersagen. Es sind vermutlich einfach zu viele und zu variable Komponenten, die die Entscheidungen der Notenbanken beeinflussen.
Forscher der Bank of Canada schreiben dazu in einer Studie:
„Due to the near unit-root behavior of interest rates, it is well-known that the movements of individual interest-rate series are inherently difficult to forecast, even under a multivariate dynamic term structure framework.“
Sogar unter Einsatz von "multivariablen" und dynamischen Modellen sind die Entwicklungen von Leitzinsen grundsätzlich schwer zu prognostizieren, resümieren die Analysten der kanadischen Notenbank.
Auch Experten der Fondsgesellschaft Dimensional Fund Advisors (in deren Beirat die Lehrmeister Fama und French sitzen) kommen zu dem Ergebnis:
„Research shows that changes in interest rates are largely unpredictable. This is not surprising. Current interest rates and bond prices—just like any price in a liquid and competitive market — reflect the aggregate expectations of market participants, including the expected probability of all potential actions by other market participants (like the Fed) and other market forces.“
Mit anderen Worten vereint bereits der aktuelle Leitzins die Erwartungen aller Marktteilnehmer (auch die der Fed oder EZB) und stellt damit die beste Annäherung an den zukünftigen Leitzins dar. Deshalb handelt die Zinsstrategie auf unserem Guidants-Desktop Index-Manager auch immer erst dann, wenn es zu einer Zinserhöhung oder Zinssenkung kommt und nicht schon zu dem Zeitpunkt, an dem wir glauben, dass sich die Zinsen ändern könnten.
Eine Frage bleibt aber: Wie verhalten sich denn nun Aktienkurse, wenn sich die Zinsen verändern?
Die Grafik zeigt die monatlichen Renditen US-amerikanischer Aktien zum Zeitpunkt von Leitzinserhöhungen und -senkungen im Zeitraum von 1954 – 2016.
Die Abbildung lässt bereits auf den ersten Blick erahnen, dass es kein erkennbares Verteilungsmuster der Aktienrenditen in Abhängigkeit von Notenbankentscheidungen gibt. Die Spanne von Aktienrenditen, nachdem die US-Notenbank den Leitzins erhöhte, lag im untersuchten Zeitraum zwischen -15,56 % und 14,27 %.
Senkte die Fed hingegen die Zinsen, dann lag die Spanne der Aktienrenditen ebenfalls in einem sehr weiten Feld zwischen -22,41 % bis 16,52 %. Selbst wenn es uns also gelingen würde, zukünftige Leitzinsveränderungen perfekt hervorzusagen, dann wäre dieses Wissen mit Blick auf die Ergebnisse nahezu unbrauchbar.
Sind Leitzinsen also tatsächlich ein überflüssiger Indikator für den Aktienmarkt?
Hier ist die Antwort: Ja und Nein. Denn in der Summe stiegen die Aktienkurse zwar in 60 % der Leitzinserhöhungen weiter, aber in 40 % der Fälle kam es eben auch tatsächlich zu fallenden Aktienkursen nachdem die Zinsen erhöht wurden. Und fallende Aktienkurse können im Zweifel auch mal einen Crash auslösen.
Für mich als Anleger gibt es daher 3 Schlussfolgerungen für den praktischen Einsatz:
1.) Die Leitzinsen sind kein besonders guter, aber auch kein schlechter Aktienmarkt-Indikator.
2.) Expertenprognosen über mögliche Leitzinsveränderungen sind relativ schwach in ihrer Aussagekraft.
3.) Da in 40 Prozent der Zeiträume, nachdem die Zinsen erhöht werden, die Aktienkurse tatsächlich fielen oder gar in einen Crash übergingen (z.B. 2011), macht es für mich Sinn, einen Teil meines Aktienportfolios nach den Leitzinsen auszurichten.
Wie das im Detail aussieht, das zeige ich mit einer einfachen DAX-Strategie auf dem Guidants-Desktop Index-Manager.
Viele Grüße
Jakob Penndorf
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(1) Turan Bali u.a., „Predictability of Interest Rates and Interest-Rate Portfolios“ (Bank of Canada, Juni 2006).
(2) Wei Dai, „Interest Rates and Equity Returns“ (Dimensional Fund Advisors, April 2017).
(3) „Steigende Zinsen – fallende Aktien?“ (Dimensional Fund Advisors, Juni 2017).
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Guten Tag Herr Penndorf
Vorab möchte ich Ihnen mal für Ihre überaus interessanten Beiträge danken. Es gibt nicht so viele die in diesen Foren so offen über des Verhalten und Befinden der Markteilnehmer schreiben, wie Sie es tun.
Das was Sie in Ihrem Kommentar mit "Narren des Zufalls" beschreiben ist natürlich richtig, wobei ich es nicht als Zufall bezeichnen würde, sondern als das "fibonacci-artige" Verhalten von Menschen in bestimmten Marktphasen.
Dass Sie in dieser Marktphase Ihr Portfolio absichern, ist sicherlich vernünftig. Aber ich würde das nicht an den "steigenden Zinsen" festmachen. Die Zinsen sind nach wie vor historisch tief und es gibt kaum Erfahrungen mit solchen Marktphasen. Zu Beginn der fallenden Zinsen wurde von vielen das Gespenst von ausufernder Inflation an die Wand gemalt. Es wäre eine logische Konsequenz gewesen, aber es ist nicht passiert. Zum ersten Mal wurde nachgewiesen, dass eine Gesellschaft und die dazugehörige Wirtschaft durchaus ohne Zinsen sehr gut funktionieren kann. Selbst die Banken machen gute Geschäfte, auch wenn sie klagen.
Was den befürchteten crash angeht, so kann das in jeder Marktphase passieren. Siehe Brexit, siehe Trump, auch wenn das nur sehr kurz andauerte. Für einen crash braucht es immer einen Anlass, welcher die Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt.
Es gibt demnach aus meiner Sicht sicherlich andere Parameter als die Zinsen als Kriterium heran zu ziehen, zumal steigend, fallend, niedrig, hoch ja nun keine mathematisch quantifizierten Begriffe sind, die zu Rückschlüssen führen sollten
Die Schlussfolgerungen sind mathematisch unlogisch, da die Kurse in 60% der Fälle weiter gestiegen sind. 60% Wahrscheinlichkeit rechtfertigen einen Trade, zumal es, wie in diesem Fall, um eine Trendfortsetzung geht.