Kommentar
07:00 Uhr, 05.08.2025

Das große Zahlen-Rätsel

In jüngster Zeit standen wieder die Zölle der USA sowie der Hickhack darum im Mittelpunkt des Interesses von Medien und Anlegern. Aber in der Vorwoche gab es noch einige andere aufschlussreiche Ereignisse und Daten.

Da war natürlich vor allem das Fed-Meeting. Es gab - wie erwartet - keine Zinssenkung. Dennoch war das Ergebnis bemerkenswert, und zwar aus zwei Gründen: Erstens stimmten zwei Mitglieder gegen die Entscheidung, den Leitzins stabil zu halten. Laut Medienberichten geschah es zuletzt 1993, dass mehr als ein Fed-Mitglied gegen den Beschluss stimmte. (Eine der zwei Gegenstimmen kam von Christopher Waller, der als Kandidat für die Nachfolge von Noch-Fed-Chef Powell gilt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …)

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Zweitens schlug nach dem Meeting die Stimmung der Anleger um, was die kommenden Leitzinssenkungen betrifft: Vor dem Meeting wurde erwartet, dass die Fed im September die nächste Zinssenkung vornimmt. Logisch schließlich hat die Fed bisher selbst stets zwei Leitzinssenkungen für 2025 in Aussicht gestellt - trotz ihrer Zurückhaltung.

Überraschende Wende bei den Leitzinserwartungen

Doch nach dem Meeting haben die Anleger offenbar die Hoffnung auf eine Zinssenkung aufgegeben, wie die Daten zu den Fed Fund Futures des Fed Watch Tools der CME zeigen:

Quelle: CME Fed Watch Tool

Am Donnerstag verflüchtigte sich die Hoffnung weiter: Immerhin 62,3 % der Anleger rechneten nun nicht mehr mit einer Zinssenkung, fast genauso viele wie zwei Tage zuvor noch davon überzeugt waren.

Ein klares Votum für Powell

Was war geschehen? Fed-Chef Powell machte in der Pressekonferenz nach dem Meeting klar, dass eine Leitzinssenkung im September keineswegs garantiert ist. Er ließ den Ausblick offen und betonte erneut die hohe Datenabhängigkeit der Zinsentscheidungen, vor allem mit Blick auf die Stabilität des Preisniveaus sowie der Beschäftigung.

Damit sagte er zwar wenig Neues, aber die Reaktion der Anleger ist bemerkenswert: Zum einen gab es - wie gesagt - zwei Gegenstimmen. Das hätte man als Indiz lesen können, dass sich auch innerhalb der Fed der Wind dreht und Powells harte Haltung vielleicht bald nicht mehr mehrheitsfähig ist. Zum anderen versucht Präsident Trump weiterhin Powell bzw. seine Position zu schwächen.

Dass die Anleger Powell dennoch so klar Glauben schenkten, ist also ein klares Votum der Märkte für den Fed-Chef. Das müssen wir im Hinterkopf haben, falls es demnächst doch ernsthafte Versuche geben sollten, ihn aus seinem Amt zu entfernen. Die Börsianer dürften dann not amused sein …

Der Arbeitsmarktbericht brachte die Wende

Aber so weit ist es noch nicht - am Freitag drehte der Wind in Sachen Leitzinsen wieder: Die Erwartung einer Leitzinssenkung im September schnellte plötzlich auf mehr als 80 % nach oben!

Auch dafür gibt es einen klaren Anlass: den US-Arbeitsmarktbericht für Juli, der am Freitag veröffentlicht wurde. Er fiel so verheerend aus, dass Präsident Trump sofort die Chefin der entsprechenden Behörde feuerte, angeblich wegen Inkompetenz.

Nun sammelt die Statistikbehörde des US-Arbeitsministeriums nur die Daten, sie macht sie nicht. Der Grund für den Rausschmiss erscheint also konstruiert. Vielmehr sieht es so aus, als folge Trump in dieser Sache einem typischen Muster: In alten Zeiten wurden die Boten geköpft, die schlechte Nachrichten überbrachten.

Ungewöhnlich hohe Revisionen

Welche schlechten Nachrichten wurden nun überbracht? In den USA wurden im Juli nur 73.000 neue Stellen geschaffen. Volkswirte hatten im Mittel mit 104.000 gerechnet. Aber das war noch nicht alles: Die Revisionen der beiden Vormonate fielen ungewöhnlich hoch aus. Die Werte für Mai und Juni wurden von 144.000 auf 19.000 und von 147.000 auf 14.000 reduziert.

Damit wurden diese bisherigen Beschäftigungszuwächse nahezu vollständig getilgt. Dadurch sank der Drei-Monatsdurchschnitt nicht nur auf den niedrigsten Stand seit August 2024, sondern zudem auf einen Stand, der seit Beginn dieser Zeitreihe im Jahr 1939 nur in Kriegszeiten oder dem Umfelds einer Rezession erreicht wurde:

Quelle: US. Bureau of Labor Statistics, eigene Berechnungen

Vermutlich sieht Donald Trump in diesen starken Revisionen ein Zeichen für Inkompetenz. Nach Ansicht von Beobachtern waren jedoch solche Effekte zu erwarten: Die Umfragen, die monatlich für den Arbeitsmarktbericht durchgeführt werden, sind sehr arbeitsintensiv. Die neue US-Regierung hat jedoch das Personal im Regierungsapparat massiv reduziert. Es könnte also sein, dass einfach nicht genug Ressourcen bereitstanden, um die Werte gegebenenfalls zeitnah zu korrigieren (sofern die Revisionen nicht durch externe Faktoren verursacht wurden).

Kann man den Daten noch trauen?

Die Quintessenz wäre, dass man diesen (und eventuell auch anderen) Daten potenziell nicht mehr so recht trauen kann. Aber da wir keine anderen haben, müssen wir versuchen, daraus das Beste zu machen.

Und die jüngsten Zahlen sind schlecht, keine Frage. Die Deka-Bank schreibt dazu in einem Kommentar: "Mit dem nun vorliegenden Kenntnisstand hätten die FOMC-Mitglieder möglicherweise am vergangenen Mittwoch eine Leitzinssenkung vorgenommen." Womit klar ist, warum auch die Leitzinserwartungen der Anleger so schnell wieder umgeschlagen sind.

Die wirklich spannende Frage

Doch die viel spannendere Frage ist, ob diese schlechte Zahlen zugleich auf eine mögliche Rezession hindeuten.

Nun zumindest schlagen einschlägige Rezessionsindikatoren, wie die Zinsstruktur, noch keinen Alarm. Und auch einige andere Arbeitsmarktindikatoren sind noch unauffällig: Die Arbeitslosenquote ist nur von 4,1 auf 4,2 % gestiegen. Damit liegt sich absolut immer noch auf sehr niedrigem Niveau - und hat gerade einmal ein erneut den Höchstwert der vergangenen 13 Monate erreicht.

Auch das US-Wirtschaftswachstum signalisiert noch keine Rezessionsgefahr. Im Gegenteil: Ebenfalls in der Vorwoche wurde gemeldet, dass die US-Wirtschaft nach einer ersten Schätzung mit einer Jahresrate von 3,0 % gewachsen ist. Ökonomen hatten nur mit +2,4 % gerechnet.

Nach dem schwachen ersten Quartal (das allerdings durch vorgezogene Importe verzerrt wurde), war zwar allgemein mit einem kräftigen Anstieg gerechnet worden, aber diese Erwartung wurde noch übertroffen. Und das, obwohl nach den aktuellen Daten in zwei der drei Monate des zweiten Quartals praktisch keine neue Stellen geschaffen wurden.

Anleger haben es nur scheinbar einfacher

Wir sehen also seit einiger Zeit immer wieder rätselhafte Daten: Obwohl die neuen Zölle der USA inzwischen greifen, steigt dadurch die Inflation nicht (so stark) wie von vielen erwartet. Auch die Wirtschaft zeigt kein Bremsspuren - wenn man von den aktuellen Arbeitsmarktdaten absieht. Doch diese schwachen Daten schlagen sich noch nicht sichtbar nieder.

Die Ökonomen bis hin zur Fed stehen damit vor einem Zahlenrätsel, das sie lösen und in konkrete wirtschaftliche Empfehlungen und Maßnahmen umsetzen müssen, bis hin zu Zinsänderungen.

Als Anleger haben wir es scheinbar bequem: Wir können uns an den Aktienmarkt halten, der nicht allzu viele Sorgen erkennen lässt. Wobei es natürlich sein kein, dass uns auch der Markt foppt und in einer Übertreibung steckt, die vielleicht bald zu Ende geht. Aber wer hat je gesagt, dass Börse einfach ist ...

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