Covid-19 und das Internet der Dinge
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Welchen Einfluss wird die Pandemie auf das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) haben? Nach gängiger Meinung wird die Pandemie bekannte Trends beschleunigen, wie etwa die Automatisierung im verarbeitenden Gewerbe und die fortschreitende Digitalisierung von Gütern, Dienstleistungen und sozialen Interaktionen. Dies lässt eine glänzende Zukunft für das IoT erwarten. Wir würden den Begriff an dieser Stelle vorab als cyber-physikalische Systeme definieren, bei denen mechanische und digitale Geräte in einem Netzwerk Daten austauschen, ohne dass menschliches Eingreifen erforderlich ist. Solche Systeme können Robotik, Sensorik, Echtzeitdatenanalyse, maschinelles Lernen und Cloud-Computing nutzen, um Prozesse in Unternehmens- oder Verbraucheranwendungen vollständig zu automatisieren. IoT ist also geradezu ein Sammelbegriff für diverse Schlagwörter, die bei Zukunftsprognosen seit einiger Zeit in aller Munde sind. Ein genauerer Blick auf die Aussichten des IoT ergibt ein differenzierteres Bild.
Die Idee, auch einfache Geräte miteinander zu vernetzen, ist wohl fast so alt wie das Internet selbst. Wahrscheinlich begann alles mit einem Getränke-Automaten an der Informatikabteilung der Carnegie Mellon University in den frühen 1980er Jahren. In der letzten Dekade hat sich das IoT bereits in viele neue Bereiche ausgebreitet. "Smart Manufacturing" ermöglicht kürzere Produktionszyklen bei geringeren Lagerbeständen, kürzere Bestellzeiten, höhere Produktionsflexibilität und individuellere Produkte. Verbundene und automatisierte Fertigungsreihen können Daten austauschen und selbständig entscheiden, wie mit unerwarteten Problemen umgegangen werden soll. Zunehmend können solche Anlagen sogar Ereignisse vorhersagen, wie etwa notwendige Wartungsarbeiten – und das noch bevor die Maschine deswegen ausfallen würde. Langfristig dürften solche Entwicklungen das Produktivitätswachstum ankurbeln, und zwar nicht nur bei Großunternehmen. Schon jetzt scheinen viele Unternehmen die aktuelle Krise als Chance zu sehen, ihre Geschäftsprozesse zu überdenken.
"Smart Homes" sind ein weiterer wachsender Trend. Feuer- und Überschwemmungsmelder machen Häuser schon heute sicherer. Einige Versicherungen passen bei der Installation solcher Geräte ihre Vertragsprämien entsprechend an. In ähnlicher Weise experimentieren einige Städte, wie Cascais in Portugal, seit geraumer Zeit mit IoT-Netzwerken, um das Abfall- und Verkehrsmanagement zu verbessern. Bislang waren die Erfolge eher bescheiden. Das mag aber auch an bürokratischen Hürden in den betroffenen Kommunen liegen. Die Pandemie könnte den Einsatz intelligenter Geräte jedenfalls beschleunigen. Öffentliche Räume, insbesondere Flughäfen und Bahnhöfe, könnten zum Beispiel mit Infrarotkameras überwacht werden, um Passagiere mit Fieber zu identifizieren. Auch eine Analyse von Videomaterial zur verbesserten Einhaltung von Distanzierungsmaßnahmen in Großraumbüros wäre denkbar.
Das Coronavirus hat große Teile der Weltbevölkerung zu massiven Kontakteinschränkungen gezwungen, was zu einem beispiellosen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung geführt hat. Leider versichern uns viele Wissenschaftler, dass Covid-19 wahrscheinlich nicht die letzte zoonotische Pandemie sein wird. Das liegt unter anderem daran, dass Menschen immer mehr Naturräume beanspruchen und somit in unmittelbarer Nähe zu Tieren leben. Neue Krankheitserreger könnten sich ähnlich schnell wie Covid-19 verbreiten, sobald sich die globalen Handels- und Reiserouten wieder auf ihrem früheren Auslastungsniveau befinden.
Das IoT könnte helfen, künftige Pandemierisiken aktiv zu mildern. Covid-19 hat gezeigt, wie verwundbar wir sind. Daher spricht vieles dafür, das Wirtschaftsleben nach der Krise so kontaktlos, kontrolliert und automatisiert wie möglich zu gestalten. Eine solche Modernisierung wird umfangreiche Investitionen in die digitale Infrastruktur und Automatisierung erfordern.
Die Erfolgschancen für umfangreiche Investitionen erscheinen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. Das Weltwirtschaftsforum hat in einer Reihe von Artikeln versucht, die Auswirkungen von Covid-19 abzuschätzen. Unter anderem sagen führende Experten darin eine stärker integrierte, drahtlose und kontaktlose Wirtschaft voraus. Das fügt sich thematisch gut in das Universum modischer Ideen aus Davos.
Immerhin sorgen komplexe, globale Lieferketten ja schon seit längerem für Besorgnis. Das Trauma der jüngsten Verwerfungen wegen der Lockdowns im Frühjahr 2020 folgte unmittelbar auf den schwelenden Handelskonflikt der vergangenen Jahre, insbesondere zwischen den USA und China. Die Spannungen im Zusammenhang mit Hongkong dürften das Vertrauen in China als Produktionsstandort in westlichen Vorstandsetagen ebenfalls erschüttert haben. Das anhaltende Wetteifern um die technologische Überlegenheit könnte sich als unerwarteter Motor für eine noch schnellere Entwicklung und Einführung neuer Technologien erweisen. Kurzfristig wird es wahrscheinlich auch den Druck erhöhen, sich von komplexen globalen Lieferketten abzuwenden – und wieder näher an den Endmärkten zu produzieren.
Ob solche Produktionsverlagerungen nachhaltig sinnvoll sind, scheint vorerst offen. Zum Teil wird dies von den relativen Kosten für Kapital und Arbeit nach Covid-19 abhängen. Die Geschichte, insbesondere die der Pest im mittelalterlichen Europa, deutet auf steigende Löhne hin, da Arbeitskräfte knapper werden. Die Auswirkungen von Covid-19 könnten jedoch durchaus anders sein. Was die Finanzierung von Investitionsausgaben betrifft, so dürften die derzeitigen Bedingungen wohl vorerst günstig bleiben. Viele der neu verabschiedeten Fiskalpakete beinhalten dezidierte Subventionen für Modernisierungsmaßnahmen. Darüber hinaus haben einflussreiche Zentralbanken angedeutet, dass die Zinssätze noch einige Jahre lang niedrig bleiben werden. Letztendlich wird trotzdem jemand für die aktuellen fiskalischen Eskapaden bezahlen müssen.
Geht man davon aus, dass die Löhne in den Vereinigten Staaten und Europa hoch und Kapitalgüter billig bleiben, dann könnte es in der Tat wirtschaftlich Sinn ergeben, größere Teile der Produktion wieder in die Nähe der Endverbraucher zu verlagern und dabei verstärkt auf Automatisierung zu setzen. Während etwaiger künftiger Lockdowns würden daraus zusätzliche Vorteile entstehen. Schließlich können Maschinen abgeschaltet werden, wodurch sich vorübergehend ihre Abnutzung und Wertminderung verlangsamt, während Mitarbeiter weiterhin bezahlt oder entlassen werden müssten, nur um nach Wiederaufnahme der Produktion wieder eingestellt zu werden. Ein weiterer Faktor, der Automatisierung begünstigt, könnten sinkende Ausrüstungskosten aufgrund niedrigerer Rohstoffpreise sein. Die Rohstoffpreise (laut Bloomberg Commodity Index) liegen derzeit etwa 40 % unter ihrem 10-Jahres-Durchschnitt und waren schon vor Covid-19 relativ niedrig. Das erinnert bestechend an die Entwicklung der Rohstoffpreise vor und während der industriellen Revolution in Großbritannien gegen Ende des 18. Jahrhunderts.
Leider deutet diese historische Parallele auch auf einige Stolpersteine hin. Die sozialen Umwälzungen während der industriellen Revolution führten zu einer Gegenreaktion, welche Politik und Wirtschaft in Großbritannien und anderswo dauerhaft veränderte. Dazu gehörten Arbeiterbewegungen, die bewusst Maschinerie zerstörten – die sogenannten Maschinenstürmer aus den East Midlands. Seitdem kursieren reißerische Erzählungen über die Bedrohung von Arbeitsplätzen durch Automatisierung in vielen Ländern immer wieder, insbesondere in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.
Darüber hinaus wird die Pandemie wahrscheinlich viele kaum vorhersehbare, nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen zur Folge haben. Monumentale historische Ereignisse tendieren dazu, überdimensionale Auswirkungen auf Einstellungen und Verhaltensmuster zu haben. Nach Karl Mannheims "Soziologie der Generationen" prägen sie das Leben derer, die von ihnen beeinflusst werden oder an ihnen beteiligt sind, maßgeblich. Spätere Erfahrungen werden im Kontext dieser Ereignisse betrachtet und interpretiert, vor Allem dann, wenn die Ereignisse in der Jugend erlebt werden. Das spricht dafür, dass die Pandemie wahrscheinlich einen langen Schatten werfen wird, angesichts ihrer weitreichenden Auswirkungen auf alles von der Schulbildung über die Arbeitswelt bis hin zum Familienleben.
Schon jetzt gibt es Anzeichen für eine dauerhaft stärkere Rolle des Staates im Wirtschaftsleben. Auch die Sorge um den Klimawandel ist unter den sogenannten "Digital Natives" groß. Auf den ersten Blick ist die Verbreitung des IoT, die mit einer Zunahme elektrischer Geräte und somit einem wachsenden Energieverbrauch einhergeht, mit dem Kampf gegen den Klimawandel nicht vereinbar. Forschungsinstitute entwickeln aus diesem Grund aber bereits Methoden zur Rückgewinnung von Energieverlusten aus Wärme oder Vibration in elektronischen Schaltkreisen. Unternehmen arbeiten auch an Geräten mit der Fähigkeit, Energie aus Radiowellen und anderen gebräuchlichen Frequenzen zu gewinnen.
Am gravierendsten könnte Covid-19 die politischen Entscheidungsträger dazu veranlassen, in Zukunft im Zweifel vorsichtiger zu sein. Das gilt nicht nur für Pandemien, sondern für jegliche Katastrophe mit geringer Wahrscheinlichkeit aber dramatischen Auswirkungen. Leider hat sich das IoT bereits als sehr anfällig für Cyberangriffe mit potenziell katastrophalen Folgen erwiesen. Die allgegenwärtige Präsenz intelligenter Geräte, die alle mit dem Internet verbunden sind, würde mit einer hohen Abhängigkeit von diesem System und wohl auch mit einer potenziell gefährlichen Verwundbarkeit einhergehen. Sobald Atomkraftwerke, Staudämme und Krankenhäuser alle ans Internet gehen, wird Sicherheit notwendigerweise zur obersten Priorität. Die Gefahren des IoT wurden bereits in viel weniger sensiblen Situationen deutlich: Im Jahr 2016 startete das Botnet "Mirai" mit einer Sammlung vernetzter Verbrauchergeräte (u.a. WLAN-Router) koordinierte Angriffe auf Firmen-Websites.
In einer Welt nach Covid sind Wähler und politische Entscheidungsträger möglicherweise noch weniger bereit, derartige Gefahren zu akzeptieren. Außerdem müssen weitere Risiken bezüglich Privatsphäre, Datenschutz und der technischen Abhängigkeit von China beim Ausbau des 5G-Standards beachtet werden. Keiner dieser Stolpersteine scheint unbezwingbar. Vermutlich werden eine ganze Reihe von Anwendungen, die derzeit unter dem Etikett des IoT verkehren, zu geschäftlichen Erfolgsgeschichten werden. Schließlich können alte Systeme mindestens genauso anfällig, wenn nicht sogar anfälliger für Angriffe und Fehlfunktionen sein. Am Ende könnten jedoch eher viele verschiedene Netzwerke von mechanischen und digitalen Endgeräten die neue Norm werden, anstatt eines einzigen Internets der Dinge. Solche fragmentierten, aber dennoch miteinander verknüpften Netzwerke sind möglicherweise weniger anfällig für Cyberangriffe oder sonstige Pannen.
So oder so dürfte es einige Gewinner geben. Dazu gehören Unternehmen, die eine weitgehend kontaktfreie Wirtschaft ermöglichen. Auf der Hardwareseite reicht dies vom 3D-Druck für die additive Fertigung über assistierende Industrieroboter bis hin zu Halbleitern und Sensoren. Auf der Softwareseite umfasst es Datensicherheit und -speicherung sowie Cloud-Systeme zur Koordinierung und Überwachung von Fabrikprozessen. Auch spezialisierte Beratungsdienstleister, die Kunden beim Ausbau ihrer IT-Kompetenzen helfen, dürften profitieren. Welches Unternehmen innerhalb eines Sektors oder Segments die besten Karten hat, ist dagegen noch schwieriger als sonst einzuschätzen. Denn das hängt auch von den technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Trends nach Covid-19 ab, die erst im Laufe der Zeit klarer erkennbar werden dürften. Umso wichtiger ist es für jeden Anleger, diese Schlüsselfaktoren im Blick zu behalten.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.