Kommentar
18:10 Uhr, 11.03.2025

Chinesische generative Modelle könnten die KI beschleunigen

Die Vorstellung dreier neuer chinesischer Modelle generativer künstlicher Intelligenz hat den Technologiesektor in Aufruhr versetzt. Der Aktienkurs eines Korbs von KI-bezogenen Aktien in den USA geriet an den ersten beiden Tagen nach dieser Meldung deutlich unter Druck.

Diese Entwicklung verdeutlicht, welche Kapitalströme von den US-Technologie-Giganten bisher in die KI geflossen sind und welche Investitionen laut Goldman Sachs Global Investment Research erforderlich sein werden, um die Technologie in Zukunft zu skalieren. Es bleibt abzuwarten, wie genau einige der neuen Modelle trainiert wurden, und es stellen sich Fragen zu den Datenquellen. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass die Entwicklungen in China die Kosten für den Betrieb von Chatbot-Apps (sie zählen zu den sogenannten Agenten) senken könnten, die für alles Mögliche verwendet werden können, von der Programmierung von Software bis hin zum Schreiben von Sonetten, und dass KI-Anwendungen allgemeiner verfügbar werden.

„Für uns ist klar, dass eine Senkung der Kosten für KI-Modelle die Akzeptanz deutlich erhöhen wird, da die Modelle dann in Zukunft viel billiger zu nutzen sind“, sagt Ronald Keung, Leiter des Internet-Teams von Goldman Sachs Research in Asien. „Einige dieser chinesischen Modelle haben die Branche dazu gebracht, sich nicht nur auf die Steigerung der Leistung, sondern auch auf die Senkung der Kosten zu konzentrieren.“

Im Interview spricht Keung über die neuen generativen KI-Modelle in China, über die Kosteneinsparungen, die sie ermöglichen, und die Durchbrüche, die sie bewirken könnten. In dem Maße, wie die Kosten sinken und die KI-Modelle intelligenter werden, so Keung, könnten wir dem Ziel einer allgemeinen künstlichen Intelligenz einen kleinen Schritt näher kommen – einer KI, die in allen menschlichen Wissensbereichen Spitzenleistungen erbringt.

Was ist an den jüngsten KI-Entwicklungen in China wichtig?

Ronald Keung: Letzte Woche wurden drei chinesische KI-Modelle auf den Markt gebracht, und diese Woche wurden zwei multimodale Text-Bild-Modelle vorgestellt. Während die meiste Aufmerksamkeit auf das neue Modell von DeepSeek gerichtet war, liegen die anderen Modelle in Bezug auf Leistung und Kosten pro Token (ein Token ist eine kleine Texteinheit) in etwa auf demselben Niveau.

Die Kosten für das Inferencing (die Phase nach dem Training, in der ein KI-Modell mit Inhalten arbeitet, die es noch nie zuvor gesehen hat) sind in China im letzten Jahr um mehr als 95 Prozent gesunken. Wir gehen davon aus, dass diese deutlich niedrigeren Inferenzkosten die Verbreitung von generativen KI-Anwendungen vorantreiben werden.

Einige der in der letzten Woche vorgestellten Modelle konzentrieren sich auf Deep-Thinking-Modi oder logisches Denken. Das bedeutet, dass der Chatbot jeden seiner Schritte durchläuft, wenn Sie eine Frage stellen, und dass er Ihnen sagt, was er denkt, bevor er zu einer Antwort kommt. Das dauert etwa 5 bis 20 Sekunden für jede Frage.

Der Prozess macht Sinn, wenn man sich ansieht, wie Menschen interagieren – wenn Sie mir eine Frage stellen und ich Ihnen innerhalb von Millisekunden eine sofortige Antwort gebe, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich sie nicht durchdacht habe. Diese Modelle denken, bevor sie sprechen.

Die Leistungen dieser Modelle scheinen sich dadurch stark verbessert zu haben. Das liegt vor allem daran, dass sie ihre eigenen Antworten bewerten, bevor sie eine endgültige Antwort geben.

Werden diese Entwicklungen die Art und Weise, wie Kapital in KI investiert wird, verändern?

Ronald Keung: Die chinesischen Akteure haben sich darauf konzentriert, die niedrigsten Kosten zu erzielen und vielleicht auch zu versuchen, die gleichen Aufgaben mit möglichst wenigen Chips zu erledigen. Ich glaube, in der letzten Woche hat man sich auch verstärkt mit der Frage beschäftigt, ob Edge Computing populärer wird, was es kleineren KI-Modellen ermöglichen könnte, auf Ihrem Telefon oder Computer zu laufen, ohne dass eine Verbindung zu großen Rechenzentren besteht. Ich denke, das sind alles Themen, mit denen sich die Anleger in Hinblick auf die Frage beschäftigen, wie sich die KI-Landschaft entwickeln wird.

Für uns ist klar, dass die Senkung der Kosten für KI-Modelle die Akzeptanz deutlich erhöhen wird, da die Modelle dann in Zukunft viel billiger zu nutzen sind.

Sowohl unsere Forschungsteams in China als auch unsere Teams in den USA gehen davon aus, dass dieses Jahr das Jahr der KI-Agenten und -Anwendungen sein wird. Die gute Nachricht ist, dass einige dieser chinesischen Modelle die Branche dazu gebracht haben, sich nicht nur auf die Steigerung der Leistung, sondern auch auf die Senkung der Kosten zu konzentrieren. Das sollte die Akzeptanz von künstlicher Intelligenz immer weiter steigern.

Wie viel billiger sind die KI-Modelle in China im Vergleich zu den etablierten KI-Anbietern in den USA?

Ronald Keung: Wenn es darum geht, wie viel die Unternehmen pro Nutzung des Modells berechnen, was auf einer Pro-Token-Basis gemessen wird, sind die Gebühren deutlich niedriger. Am vergangenen Wochenende lag der Preis für ein chinesisches KI-Modell bei 14 Cent pro Million Input-Token. Das ist nur ein einstelliger Prozentsatz des Betrags, den ein entsprechendes Denkmodell eines großen US-Technologieunternehmens verlangt.

Es ist klar, dass die Preise infolgedessen zu sinken beginnen. Wir haben bereits gesehen, dass einige große US-Technologieunternehmen ihre Preise angepasst haben und einige ihrer kostenpflichtigen Modelle sogar kostenlos anbieten. Ich denke also, dass der Wettlauf um die Effizienz weitergehen wird.

Ihre Kollegen vom US-Tech-Team haben gesagt, dass die Marktreaktion durch die Höhe der für die Skalierung von KI erforderlichen Investitionen, die Rendite der bereits ausgegebenen Gelder und das künftige Investitionstempo bestimmt wird. Wie stehen Sie zu diesen Fragen in Bezug auf chinesische Unternehmen?

Ronald Keung: Ich denke, das trifft eher auf US-Unternehmen zu. Die großen chinesischen Internetgiganten haben ihre Investitionsausgaben im vergangenen Jahr um 61 Prozent erhöht – allerdings von einem niedrigen Niveau aus.

Die börsennotierten chinesischen Unternehmen haben in den letzten zwei Jahren insgesamt nicht so viel für Investitionen ausgegeben. Stattdessen haben sie sich sehr auf die Aktionärsrendite konzentriert. Erst im Jahr 2024 begannen die Ausgaben dieser Unternehmen wieder zu steigen. In absoluten Zahlen geben chinesische Internetunternehmen jedoch nur einen Bruchteil dessen aus, was ihre globalen Pendants ausgeben, sodass es weniger Fragen nach dem Return-on-Investment gibt, den sie von hohen KI-Ausgaben erwarten können.

Der Fokus der Investoren auf KI hat sich auf die USA konzentriert. Glauben Sie, dass diese neue Entwicklung in Zukunft zu einem größeren Interesse der Investoren an chinesischen Unternehmen führen wird?

Ronald Keung: Es ist noch ein bisschen früh, um das zu sagen. Insgesamt befindet sich die chinesische Internet-Basis immer noch in einer mehrjährigen Bewertungslücke gegenüber den US-Konkurrenten.

Die Geopolitik wird weiterhin für Unsicherheiten sorgen. In Anbetracht einiger US-Chip-Verbote und der genauen Prüfung chinesischer Unternehmen sind die Anleger meiner Meinung nach immer noch relativ risikoscheu, was China betrifft.

Die Top-Ideen unseres Teams für Investitionen in das Internet-Thema in China waren in diesem Jahr Unternehmen mit Inlandsengagement und soliden Ertragsprofilen, die in der Lage sind, von der Ankurbelung des Binnenkonsums zu profitieren. Meiner Meinung nach hat der chinesische Aktienmarkt die Möglichkeit, dass diese Unternehmen global tätig werden, noch nicht eingepreist, obwohl viele dieser Apps in den letzten Monaten weiterhin zu den meistgeladenen Apps gehörten.

Wird dieser Durchbruch es kleineren Unternehmen ermöglichen, in Zukunft KI-Modelle einzusetzen? Oder glauben Sie, dass sich die Technologie weiterhin in den Händen einiger weniger großer Unternehmen befinden wird?

Ronald Keung: Es stellt sich die Frage, ob die KI-Modelle selbst von einigen wenigen Akteuren beherrscht werden oder ob sie zunehmend zu einem Massenprodukt werden. Aber das ist nur die Ebene der Modelle. Es gibt auch eine Infrastruktur- und Datenverarbeitungsebene, bei der ich denke, dass die höhere Akzeptanz dieser neuen Modelle eine höhere Cloud-Nachfrage bei den Hyperscalern (den größten Cloud-Computing-Unternehmen) auslösen wird. Davon dürften die führenden Anbieter profitieren.

Auf der Anwendungsseite wird es wahrscheinlich viele Überraschungen geben. Verschiedene Unternehmen probieren aus, wie sie diese Technologie einsetzen können. Das könnte bedeuten, dass sie ihr Werbegeschäft durch eine bessere Anzeigenplatzierung unterstützen. Oder die Unternehmen könnten eine KI-Assistenten-App entwickeln, die Ihnen bei allen erdenklichen Aufgaben hilft: von der Buchung eines Flugtickets bis hin zu der Frage, wann und wo Sie sich mit Ihren Freunden treffen können. Wir sind der Meinung, dass eine soziale App mit Transaktionsmöglichkeiten größere Erfolgschancen bei der Integration von KI-Assistenzfunktionen hätte.

Aber ich denke, es bleibt abzuwarten, ob die KI-Landschaft stärker fragmentiert sein wird oder ob es wie in der Internet-Ära sein wird, als einige wenige wirklich große Anwendungen dominierten. Wird KI einige völlig neue Anwendungen mit sich bringen? Oder sind es die bestehenden Akteure, die davon profitieren?


Beispiele von Hebelprodukten auf Aktien von KI-Entwicklern und Anwendern

Nvidia

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Microsoft

Aktuelle Analysen und Trends aus dem Finanzsektor finden Sie auch im kostenlosen KnowHow-Magazin von Goldman Sachs unter www.gs.de


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Quelle: Dieser Beitrag erschien am 30. Januar 2025 auf www.goldmansachs.com unter dem Titel „China’s AI development could speed up AI adoption“ im Bereich Insights/Articles. Bitte beachten Sie, dass die darin getroffenen Aussagen keine Anlageempfehlungen darstellen.


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