Kommentar
07:31 Uhr, 07.07.2015

China: Verzweiflung pur

Verzweiflung greift um sich. Die chinesische Regierung ändert fast täglich Finanzmarktregularien, um den Aktienmarkt wieder nach oben zu hieven. Bisher scheitert sie, obwohl die Maßnahmen mehr als kreativ sind.

International sorgt China für Aufsehen. Es sind nicht die üblich schwachen Wirtschaftsdaten. Davon ist kaum mehr die Rede. Im Fokus steht nunmehr einzig und allein der Aktienmarkt, der kollabiert. Es ist ein Déjà Vu. Gesehen wurde ein solcher Zusammenbruch auch 2007.

Bis Ende Juni war nicht klar, ob es sich bei den hohen Kursverlusten nur um eine dramatische Korrektur oder die Trendwende handelte. Jetzt sieht es ziemlich eindeutig nach Trendwende aus. Grafik 1 zeigt den Shanghai Composite mit zwei Vergleichen. Der heutige und damalige Verlauf wurden übereinandergelegt. Bis vor 4 Wochen liefen die Kursverläufe von 2005-2007 und heute parallel. Seit 4 Wochen besteht eine große Divergenz. Der heutige Kursverlauf zeigte eine deutlich größere Korrektur, als es damals je gegeben hat.

Legt man den Kursverlauf der letzten Wochen über das Top aus 2007, dann stimmen die Parallelen wieder. Das Top und der darauffolgende Einbruch sind 1 zu 1 übertragbar. Die letzte Übertreibung vor dem Zusammenbruch war dieses Mal etwas weniger stark ausgeprägt als 2007, doch im Großen und Ganzen geht das alles noch als Selbstähnlichkeit durch. Immerhin gibt es einen kleinen Lichtblick. Verliert der Shanghai Composite noch ein wenig, dann sollte eine kleine Rallye einsetzen. Danach sieht es weiter düster aus.

Die internationalen Finanzmärkte lässt der Kursrutsch kalt. Im Schatten von Griechenland ist der chinesische Markt eine interessante Randnotiz, aber nicht mehr. Das ist ein Fehler, denn im Gegensatz zu damals sind die Umstände ganz andere. Die Regierung in Peking hat den Boom herbeigeführt. Sie erkannte, dass die Rallye viel zu steil war und versuchte durch Regulierung etwas Luft abzulassen. Daraus wurde nichts. Vielmehr platze die Blase.

Nur wenige Wochen nachdem die Regierung die Zügel anzog, versucht sie nun mit dem Gegenteil den Markt zu retten. Inzwischen übertrifft sich die Regierung mit Vorschlägen selbst. Neuster Geniestreich: Anleger können ihr Hab und Gut (Immobilien) für die Besicherung von Margin Konten verwenden. Denkt man darüber nach, dann ist das schon ein starkes Stück.

Derzeit gibt es in China Margin Calls am laufenden Band. Anleger haben sich mit zu hohen Hebeln übernommen und müssen jetzt notverkaufen, um die Spekulationsschulden zurückzuzahlen. Viele müssen Geld nachschießen. Die Besicherung über Besitz soll nun verhindern, dass Anleger notverkaufen müssen. Die Idee: es kommt ein Margin Call. Dieser wird dann vom Tisch gewischt, indem man beim Broker anruft und sagt: hier, nimm einfach mein Haus als Sicherheit. Nachschießen kann ich kein Geld mehr.

Soweit, so einfallsreich. Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Was macht ein Broker mit hunderten oder tausenden Wohnungen und Häusern? Was passiert, wenn der Markt nicht wieder auf die Beine kommt? Werfen dann Broker einen Tsunami an Immobilien auf den Markt?
Spielt man das gedanklich durch, dann kann das eigentlich nur noch schlimmer werden als es jetzt schon ist. Zudem sagt die Verzweiflung der Regierung viel über deren Kompetenz aus. Einerseits scheint sie ihr eigenes Volk nicht zu verstehen, andererseits scheint sie machtlos, wenn sich der Markt gegen den Willen der Regierung stemmt. Was bedeutet das für zukünftige Ernstfälle? Etwa, dass die Regierung nichts machen kann und z.B. die ganze Wirtschaft in der Rezession versinkt?

Die bisher beschlossenen Maßnahmen reichten nicht aus, um den Crash aufzuhalten. Das Ruder noch herumzureißen wird schwierig, doch der Wille, es zu versuchen, ist groß. Chinesische Broker wollen nun Stützungskäufe vornehmen. Insgesamt sollen es an die 19 Mrd. Dollar sein, die sie investieren wollen. Was mit den Brokern passiert, wenn sie auf diese 19 Mrd. einen Verlust von 30% einfahren ist nicht bekannt.

China steht früher oder später ein Deleveraging bevor. Das Kreditwachstum der letzten Jahre war erschreckend hoch. Es sprengt jeglichen Rahmen. Eine Reduktion der Kredite oder zumindest eine deutliche Reduktion des Kreditwachstums ist früher oder später notwendig. Je früher damit begonnen wird, desto weniger schmerzhaft wird es. Der aktuelle Fall rund um den Aktienmarkt zeigt jedoch, dass die chinesische Regierung solche Prozesse amateurhaft managt. Bereits die Restrukturierung der Schulden der Lokalregierungen war mäßig erfolgreich und endete in der Erpressung von Banken. Die Sache ist damit allerdings noch nicht ausgestanden. Die Umschuldung ist noch nicht über den Berg. Da kann noch viel schief gehen.

Ein weiterer stark kontrollierter Markt ist der Währungsmarkt. China managt seine Währung seit vielen Jahren. Bisher ist das geglückt, doch die aktuellen Geschehnisse lassen erahnen, dass man an der Fähigkeit Veränderungen erfolgreich durzuführen zweifeln muss. Man muss sich darauf einstellen, dass eine Liberalisierung der Währung möglicherweise schief geht und große Verwerfungen stattfinden.

Der Wechselkurs zum Dollar ist seit Monaten de facto unverändert. Weil der Dollar gegenüber anderen Währungen stark gewonnen hat, hat letztlich auch die chinesische Währung eine enorme Aufwertungsrunde hinter sich. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS – Bank for International Settlements) geht von einer realen Aufwertung von 13% aus. Das ist letztlich eine Art geldpolitische Straffung. Das steht der Lockerung der Notenbank diametral gegenüber.
Lockern kann die Notenbank nur, wenn sie den Wechselkurs freigibt. Das wiederum kann eine Kapitalflucht zur Folge haben. Die Währung würde vermutlich innerhalb kurzer Zeit 15 bis 20% abwerten. Hier könnte ein Stein ins Rollen kommen und die chinesische Regierung wäre machtlos, zumindest aber müssten Investoren befürchten, dass die Regierung eine solche Entwicklung nicht effektiv kontrollieren kann.

Wer diese Überlegungen für überzogen hält, der muss sich lediglich vor Augen führen, was die Regierung bisher alles versucht hat und trotzdem scheiterte. Vergangene Woche gab es ein hohes Volumen auf der Käuferseite für größtenteils staatliche Titel. Dazu zählten Aktien von PetroChina, Sinopec und China Chemical Corp. Die Aktien schnellten nach oben. Es wird vermutet, dass eine staatliche Stelle Geld für Käufe freigemacht hat. China verfügt ja grundsätzlich über mehrere Vehikel (Sozialfonds, Staatsfonds), die das ermöglichen. Anscheinend können jedoch selbst direkte Interventionen den Markt nicht drehen.

Am Donnerstag gab die Regulierungsbehörde bekannt, dass sie Fälle von Marktmanipulation vermutet. Als Folge wurden am Freitag mehrere hundert Aktien teilweise vom Handel ausgesetzt. Auch das konnte den Kursverfall des Gesamtmarktes nicht stoppen.

Die Dimension ist wirklich außergewöhnlich. Die Aufsicht stellt den Handel mit Aktien unter dem Vorwand von Manipulationsverdacht ein, ganz nach dem Motto, was man nicht handeln kann, kann nicht fallen. Das sind Verzweiflungstaten erster Güte.

Die Manipulationsvorwürfe fußen übrigens auf Analystenkommentaren, unter anderem von Morgan Stanley. Der US Investmentbank wird vorgeworfen, mit ihren Analysen den Abwärtstrend verursacht zu haben. „Bösartig“ wie Morgan Stanley ist, haben sie fahrlässigerweise darauf hingewiesen, dass ihrer Meinung nach chinesische Aktien kaum noch Luft nach oben haben und ein Top bevorsteht. Wenn unter freier Meinungsäußerung aus dem Ausland Marktmanipulation verstanden und die Propagandamaschinerie deswegen angeworfen wird, dann ist China definitiv noch nicht reif für auch nur die kleinste Liberalisierung der Wirtschaft. Wir können gerade live miterleben, wie China nach der vorsichtigen Öffnung und Liberalisierung über Jahre hinweg die Geschichte innerhalb von Tagen zurückdreht.

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9 Kommentare

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    Alles stinkt momentan geradezu nach Deflation und Depession. Wogin man auch riecht. Mir tun die Entwicklungslaender besonders leid. Der letzte in der Kette leidet am meisten. Fuer EUSA Haelt sich mein Mitleid in Grenzen.

    16:21 Uhr, 07.07. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die Chinesen sind eben auch Zentralplaner, nur noch etliche Nummern größer, wie in Brüssel, Berlin und Paris.

    Es wird spannend sein zu beobachten, was für geistreiche Maßnahmen der chinesischen Regierung noch einfallen um einem Desaster zu entgehen.

    11:20 Uhr, 07.07. 2015
  • 1 Antwort anzeigen
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Kein Wort darüber, wer wohl die Gewinne gemacht hat? Ich meine, immer dann, wenn ein Markt auf so hohem Niveau einbricht, hat jemand Kasse gemacht. Und es ist doch klar, dass die Chinesen sauer darüber sind, wenn dies Ausländer waren. Letztlich ist es ein Stück Nationaleinkommen, das auf diese Weise ins Ausland wandert. Betrifft Deutschland in gleicher Weise. Nur, dass unsere Politiker das beschmunzeln. Warum wohl? Aus Kompetenz?

    08:23 Uhr, 07.07. 2015
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Danke Herr Schmale. Gute Analyse......nur. Wenn China abwertet haette das einen enormen Einfluss auf die gesammte Weltwirtschaft. Die Maerkte wuerden ueberall schlagartig einbrechen und China die Welt mit noch billigeren Waren fluten. Erfreulich waehre ein Crash in China wohl fuer Niemanden. Das Aussenhandelsdefizit der USA wuerde wohl ins gigantische steigen. Der Oelpreis wuerde wohl bis 35$ sinken. Dann wuerden Milliardenkredite der Frakingindustrie ausfallen.Wer weiss schon wieviele US Gelder in China stecken? Eine globale Rezession und Deflation wuerde dem System den Rest geben , das gesammte Kartenhaus einstuerzen. Wie sehen Sie das?

    07:51 Uhr, 07.07. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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