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12:15 Uhr, 18.12.2018

Brexit: Mit „Siegen" wie diesem…

Theresa May hat die Misstrauensabstimmung überstanden. Für die Märkte ändert das nach Einschätzung der DWS-Finanzexperten leider nur sehr wenig.

Frankfurt (GodmodeTrader.de) - Wenn es um Laientheater geht, ist das Parlament von Westminster schon seit einigen Monaten nur noch schwer zu schlagen. Doch am Mittwoch, dem 12. Dezember, wurde das politische Drama auf eine neue Spitze getrieben, wie die Finanzexperten der DWS im aktuellen „CIO View“ schreiben.

Trotzdem hätten sich die Kapitalmärkte nur wenig beeindruckt gezeigt. Das Pfund sei ein wenig hin und hergeschwankt und habe den Tag ungefähr dort beendet, wo es schon am Dienstagnachmittag gestanden habe. Was Marktreaktionen angehe, sei das so ziemlich alles gewesen. Verständlich genug, wenn man bedenke, was tatsächlich passiert sei und was das für den Brexit bedeuten könnte, heißt es weiter.

In normalen Zeiten wären die Ereignisse für jeden Premierminister ein ungeheuerlicher und höchstwahrscheinlich fataler Schuss vor den Bug gewesen. „Theresa May ‚gewann‘ eine Misstrauensabstimmung mit 200 zu 117 Stimmen unter ihren konservativen Fraktionskollegen. Dazu musste sie mehr oder weniger versprechen, ihre Partei nicht in die nächste Wahl zu führen. Das entzieht ihr jedoch die Patronage, eine wichtige Machtquelle im britischen Kontext. Das Versprechen macht Theresa May effektiv zu einer lahmen Ente - und zwar zu einer schwer verwundeten“, so die DWS-Experten.

Unter den „Unterstützern" von Theresa May hätten sich viele Mitglieder ihres eigenen Kabinetts befunden, die höchstens neutral, und manchmal sogar offen skeptisch, gegenüber dem Austrittsabkommen aus der Europäischen Union (EU) gewesen seien. Die Vereinbarung sei zwischen dem Vereinigten Königreich und seinen europäischen Partnern über einen Zeitraum von 18 Monaten sorgfältig ausgehandelt worden. Es hat nur wenige Wochen gedauert, bis er vom Parlament zerpflückt worden sei, was insgesamt nur wenig überrascht habe, heißt es weiter.

„Angesichts der jüngsten Ereignisse ist es sogar fraglich, ob das Abkommen überhaupt vom gesamten Kabinett gebilligt werden wird. Dies wird von der Fähigkeit Mays abhängen, weitere Zugeständnisse aus Brüssel zu erhalten, insbesondere bei der Backstop-Regelung zur Vermeidung von Grenzkontrollen für Nordirland. Die europäischen Partner Großbritanniens haben jedoch bereits unmissverständlich signalisiert, dass sie nicht bereit sind, sich hier stark zu bewegen“, so die DWS-Experten.

Während der „Fragestunde des Premierministers" am vergangenen Mittwoch habe der Veteran der Konservativen Partei (Tory), Ken Clarke rhetorisch gefragt: „Kann die Premierministerin sich etwas vorstellen, das weniger hilfreich, irrelevanter und unverantwortlicher ist, als dass die Konservative Partei wochenlang um eine neue Führung ringt?" Es wäre sogar vorstellbar. Nämlich dann, wenn man dieses Misstrauens-Schauspiel einige Wochen später aufgeführt hätte. Die Abstimmung habe zumindest gezeigt, wie groß das Kontingent der Konservativen sei, welches fest entschlossen sei, einen harten oder, wie sie es nennen, „sauberen" Brexit herbeizuführen, heißt es weiter.

„Sollte es am 29. März zu einem harten Brexit kommen, wäre dies aus unserer Sicht wirtschaftlich verheerend. Politische Katastrophen sind jedoch möglich – etwa dann, wenn ‚britisches Pokern gepaart mit politischem Chaos‘ auf ‚gesetztestreue, unnachgiebige und zunehmend ungeduldige europäische Partner‘ treffen würde, wie wir es früher formuliert haben“, so die DWS-Experten.

Dieses „Worst-Case"-Szenario sei möglicherweise etwas unwahrscheinlicher geworden. Mit 117 sei die Zahl der Tory-Rebellen groß genug, um weiterhin viel Aufruhr zu erzeugen, aber zu klein, um die Regierungspolitik mitzubestimmen. Theresa May könne für die nächsten zwölf Monate als Tory-Führerin nicht mehr angefochten werden. Sie könnte natürlich jederzeit mit einer Misstrauensabstimmung im Unterhaus konfrontiert werden. Nehme man diese beiden Punkte zusammen, sei es wahrscheinlich, dass May weiterhin einen No-Deal-Brexit in letzter Sekunde um jeden Preis vermeiden wolle, heißt es weiter.

In ihrer Antwort an Herrn Clarke habe May auf die Frist bis zum 21. Januar verwiesen, innerhalb derer das Parlament über ihren Deal abstimmen müsste, und habe wegen dieses engen Zeitrahmens behauptet, dass der neue Parteichef – so es denn einen neuen gäbe –als erstes entweder Artikel 50 verlängern oder Artikel 50 aufheben müsste, und das würde bedeuten, Brexit entweder zu verschieben oder zu stoppen. „Es wäre ironisch, wenn auch nicht mehr völlig undenkbar, wenn May am Ende selbst eines dieser Dinge tun würde, um die Katastrophe abzuwenden. Nach einem kürzlich ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat Großbritannien das einseitige Recht, seine Brexit-Entscheidung durch Widerruf des Artikels 50 zu revidieren“, so die DWS-Experten.

Eine Verlängerung der Frist würde dagegen die Zustimmung aller anderen Mitgliedstaaten erfordern. Natürlich zähle keine dieser Optionen derzeit offiziell zum Programm von Theresa May. In den kommenden Wochen dürfte es ihre Priorität sein, Zugeständnisse von den europäischen Partnern Großbritanniens einzuholen. Wenn sich das als unzureichend erweise, was jetzt wahrscheinlich erscheine, um die Unterstützung innerhalb ihrer eigenen Partei wiederzuerlangen, werde sie sich an die Opposition wenden. Verschiedene alternative Abkommen, die sich an den Abkommen der EU mit anderen Ländern wie Kanada, der Schweiz und Norwegen orientierten, würden diskutiert, heißt es weiter.

„Das Gleiche gilt für ein zweites Referendum. Keine dieser möglichen alternativen Lösungen wird jedoch voraussichtlich bis zum 29. März greifen. Handelsabkommen sind komplizierte Angelegenheiten und erfordern in der Regel langwierige Verhandlungen, auch wenn man einen bestehenden Rahmen wie das norwegische Modell nutzt. Auch die Volksabstimmungen bedürfen einer gewissen Vorbereitung. In der Zwischenzeit haben die Märkte vielleicht wenig Grund zur Panik, aber auch wenig Grund, sich um das Thema Brexit weniger Sorgen als bisher zu machen“, so die DWS-Experten abschließend.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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