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10:40 Uhr, 06.07.2016

Brexit: Finanzmärkte im freien Fall

Nach Meinung von Léon Cornelissen, Chefökonom bei Robeco, ist es unwahrscheinlich, dass man innerhalb von zwei Jahren bezügliches eines Handelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien ein Ergebnis sehen wird.

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  • EURO STOXX 50
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    Kursstand: 2.775,00 Pkt (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Rotterdam (GodmodeTrader.de) - Die Briten haben sich mit rund 52 Prozent der Stimmen für den Austritt aus der Europäische Gemeinschaft (Brexit) entschieden. „Das Ergebnis ist ganz anders ausgefallen, als es die Meinungsumfragen und Wettbüros hatten erwarten lassen. Und das ist natürlich ein Schock”, wie Léon Cornelissen, Chefökonom bei Robeco, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt. „Dennoch haben wir ein knappes Ergebnis. Und das bedeutet, dass Großbritannien nicht automatisch aus der EU austreten wird. Denn die britische Regierung muss sich zunächst auf Artikel 50 des Lissaboner Vertrags berufen, was den Ablösungsprozess von der EU in Gang setzen würde.“

Cornelissen erwartet jetzt, dass es in Großbritannien eine Rezession geben wird, wovor die OECD schon im Verlauf der viermonatigen Kampagne gewarnt hatte. Sie rechnet bis 2030 mit einem BIP-Rückgang um 2,7 Prozent bis 7,7 Prozent, wobei der Basisfall ein Minus von 5,1 Prozent ist. Vom Brexit-Lager wurde dies als „Angstmacherei” abgetan. „Für die britische Wirtschaft ist das zweifellos eine schlechte Nachricht”, meint Cornelissen. „Sie hatte bereits unter der Unsicherheit über den Brexit zu leiden. Dies hat sich an Großbritanniens wachsendem Leistungsbilanzdefizit gezeigt, das sich auf sieben Prozent vom BIP erhöht hat – eine enorme Zunahme für ein Industrieland. In Großbritannien könnte jetzt eine Kapitalflucht einsetzen, und das macht den Absturz des Pfundes zu einer verständlichen Reaktion.”

Investitionen würden weiter zu leiden haben. Auch das Konsumklima werde sich wegen der Turbulenzen an den Märkten eintrüben, was eine Rezession in Großbritannien wahrscheinlich mache. Das Geschäftsklima in Europa könnte wegen zunehmender Befürchtungen über einen Dominoeffekt ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden, da in weiteren EU-Ländern der Ruf nach einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft laut werden könnte, heißt es weiter.

„Das Ergebnis des Referendums dürfte weitreichende Konsequenzen für die Zukunft Großbritanniens haben, weil Schottland und Nordirland mehrheitlich für einen EU-Verbleib gestimmt haben. Während die Wähler in England und Wales für den EU-Austritt gestimmt haben, gab es in der Hauptstadt London eine deutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU. Mehrere Kommentatoren gehen jetzt davon aus, dass es im EU-treuen Schottland ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit vom Rest Großbritanniens geben wird… Der Sieg des Brexit-Lagers ist auch für Nordirland destabilisierend. Ein Zerfall Großbritanniens könnte die Folge sein. Dadurch wird die Verhandlungsposition der britischen Regierung gegenüber der EU weiter geschwächt”, so Cornelissen.

Es sei auch unklar, welche Art von Handelsabkommen eine zukünftige britische Regierung nach dem Verlassen des Binnenmarkts mit der EU werde aushandeln können. Diese Verhandlungen dürften sich sehr schwierig gestalten, und es sei unwahrscheinlich, dass man innerhalb der Zweijahresfrist nach der Berufung auf Artikel 50 ein Ergebnis sehen werde, heißt es weiter.

„Die EU wird sich sicherlich wenig entgegenkommend zeigen, weil sie den EU-Austritt weiterer Länder verhindern will. Großbritannien wird also einen Preis für das Leben außerhalb der EU zahlen müssen. Wenn sich eine neue britische Regierung für das norwegische Modell entscheidet, wäre eine Einigung mit der EU ohne Weiteres zu erreichen. Man sollte aber nicht vergessen, dass Norwegen einen Beitrag zum EU-Haushalt leistet und pro Kopf sogar mehr zahlt als Großbritannien. Norwegen muss zudem die Freizügigkeit akzeptieren, und wenn man vom Fischfang und von der Landwirtschaft absieht, ist das Land in vielen Bereichen im Grunde genommen Teil der EU. Sollte dieser Weg beschritten werden, dann würde das ganze Brexit-Referendum keine großen Veränderungen bringen, was den britischen Wählern wohl nur schwer zu vermitteln wäre”, so Cornelissen.

Ein Handelsabkommen nach dem Vorbild Kanadas wäre dem Robeco-Chefökonom zufolge wahrscheinlicher. „Es würde aber Jahre dauern, ein solches Abkommen auszuhandeln, und es würde sich nicht auf den gesamten Handel erstrecken. Die Minimallösung wäre das WTO-Modell, das aber mit vielen tarifären und nicht tarifären Handelshemmnissen verbunden und in wirtschaftlicher Hinsicht weitaus schädlicher wäre. Das Brexit-Referendum wird auf Jahre hinaus wirtschaftliche Folgen haben”, so Cornelissen.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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