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17:12 Uhr, 16.01.2019

Brexit: Erhebliche Verunsicherung an den Märkten

Die deutliche Ablehnung des Abkommens dürfte nach Einschätzung von Pieter Jansen, Seniorstratege Multi Asset bei NN Investment Partners, zu einer Verschiebung des EU-Austrittstermins führen.

Den Haag (GodmodeTrader.de) - Das britische Parlament hat über die von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Übergangslösung abgestimmt, die Vorkehrungen für den Austritt Großbritanniens aus der EU im März beinhaltet. Die Abstimmung war eine schwere Niederlage für die Regierung, 202 Abgeordnete haben für und 432 gegen den Deal gestimmt. Das ist die deutlichste Abstimmungsniederlage, die eine britische Regierung in den vergangenen Jahrzehnten erlitten hat, wie Pieter Jansen, Seniorstratege Multi Asset bei NN Investment Partners, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Auch wenn die Abstimmungsniederlage nicht unterwartet komme, erhöhe sie die Unsicherheit an den Märkten. Formal habe die britische Regierung nun drei Tage Zeit, um sich einen alternativen Deal einfallen zu lassen. Von nun an habe das Parlament eine größere Kontrolle über den Brexit-Prozess. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass der vereinbarte Deal nur auf wenig Unterstützung stoße und das Parlament nicht gerade an einem Strang ziehe. Sowohl Brexit-Hardliner als auch EU-Anhänger hätten gegen den Deal gestimmt. Deshalb könne man sich nur schwer vorstellen, wie die Regierung mit einer Alternative aufwarten solle, die sich deutlich vom aktuellen Deal unterscheide und ernsthafte Erfolgsaussichten im Parlament habe, heißt es weiter.

„Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass die Abgeordneten Alternativen für die Durchführung des Brexits entwickeln, die einen sanften Übergang im März garantieren. Somit sinkt durch die Ablehnung des Deals im Parlament die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien tatsächlich im März 2019 aus der EU austreten wird“, so Jansen.

Es gebe nun mehrere mögliche Optionen. Erstens stelle sich die Frage, was mit Theresa May passiere. Das Scheitern des Deals sei eine große Niederlage für sie, aber in ihrer ersten Reaktion scheine es, als ob sie nicht zurücktreten wolle. Stattdessen scheint sie ein Misstrauensvotum abwarten zu wollen. „Wir gehen davon aus, dass May das Misstrauensvotum überstehen wird. Trotz der internen Differenzen der Konservativen werden sie wohl dennoch hinter May stehen, statt eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbin zu riskieren. Das dürfte auch für die DPU gelten, da ihre Politik im diametralen Gegensatz zu Labour steht“, so Jansen.

Wenn das Misstrauensvotum jedoch Erfolg habe, müsse die Regierung zurücktreten. Damit wären Parlamentswahlen so gut wie sicher. Eine Wahl würde ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen und zu einer Verzögerung des Brexits führen – oder je nach Wahlkampf und Wahlergebnis zu gar keinem Brexit. Auch wenn May das Misstrauensvotum überstehe, ist es möglich, dass die Regierung und das Parlament mit keiner erfolgreichen Alternative aufwarten könnten und Mays Deal Gegenstand eines Referendums werde, so dass die Bevölkerung über das Abkommen entscheiden könne – oder über den Brexit insgesamt, je nachdem, wie die Referendumsfrage formuliert werde, heißt es weiter.

„Wenn das Referendum so formuliert würde, dass die Bürger zwischen Mays Deal und keinem Deal entscheiden müssen, dürfte Mays Deal mit der EU schließlich doch durchgehen. Wenn das Referendum die Entscheidung stellt zwischen Mays Deal oder keinem Brexit (oder verschiedenen anderen Optionen), wäre der Ausgang weniger sicher. Aber in jedem Fall würde ein Referendum eine Verzögerung bedeuten, die eine Verschiebung des Austrittszeitpunkts aus der EU bedeuten würde“, so Jansen.

Eine letzte Möglichkeit sei, dass die Regierung und das Parlament sich nicht über die weiteren Schritte einigen könnten. Das sei vermutlich das größte Risiko. Die Zeit werde verstreichen und letztlich werde die Frist im März eintreffen. Wenn der aktuelle Deal im Parlament scheitere und nichts dafür getan werde, um einen harten Brexit zu verhindern, werde Großbritannien ohne Abkommen aus der EU austreten, was zu heftigen Turbulenzen und einer großen Verunsicherung führen würde, heißt es weiter.

„Wir gehen nicht davon aus, dass es zu diesem letztgenannten Szenario kommen wird. Es wäre nun sinnvoll, wenn die britische Regierung/das britische Parlament mit der EU einen Aufschub der Frist vereinbaren würde, vielleicht um ein weiteres Jahr. Wenn dies nicht gelingt, hätte die britische Regierung immer noch die Möglichkeit, die Auslösung von Artikel des 50 EU-Vertrags, der den Austritt eines Mitgliedsstaats aus der Europäischen Union regelt, zu widerrufen. Ein EU-Gerichtsbeschluss hat vor kurzem diese Option bestätigt. Wir sind der Meinung, dass Option mit der verheerenden Abstimmungsniederlage der britischen Regierung gestern wahrscheinlicher geworden ist“, so Jansen.

Was die Märkte anbelange, sei in den kommenden Wochen eine erhebliche Verunsicherung zu erwarten. Schwäche prognostiziere man insbesondere für den Pfund-Wechselkurs und für britische Aktien, vor allem aus Branchen, die in erster Linie vom heimischen Markt abhingen. Zudem sei davon auszugehen, dass die Renditen britischer Staatsanleihen zurückgingen, heißt es weiter.

„Dabei ist zu beachten, dass Anleger in Großbritannien bisher nicht untergewichtet sind, was darauf hinweist, dass sie keine große Schwäche bei britischen Aktien erwartet haben. Deshalb haben britische Aktien Luft, bei schlechten Nachrichten deutlich nachzugeben. Die Märkte sollten sich unserer Ansicht nach stabilisieren, wenn sich eine gangbare Lösung manifestiert hat oder wenn es klar wird, dass der Stillstand einen Aufschub der Verhandlungen und der Austrittsfrist herbeiführen wird“, so Jansen.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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