Fundamentale Nachricht
14:03 Uhr, 11.07.2016

„Bis später, EU, im Un-Vereinigten Königreich"

Nach einer Zeit bemerkenswerter Stabilität durch seine tausendjährige Monarchie könnte das Land der Angelsachsen DNCA-Finanzexperte Igor de Maack zufolge jetzt zum Un-Vereinigten Königreich werden.

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  • FTSE 100
    ISIN: GB0001383545Kopiert
    Kursstand: 6.649,00 € (Deutsche Bank Indikation) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Paris (GodmodeTrader.de) – „See EU later” („Bis später, EU“) titelte die Tageszeitung „The Sun“ am Morgen des Brexit-Entscheids. Die britischen Wähler hatten sich für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden und die zuletzt optimistischen Anleger auf dem falschen Fuß erwischt. Das britische Pfund und der britische Aktienindex FTSE reagierten mit umgehenden Kursverlusten, wie Igor de Maack, Fondsmanager und Sprecher des Fondsmanagementteams von DNCA Investments, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Die Verkaufswelle an den europäischen Märkten habe die Kursgewinne der jüngsten Zeit wieder zunichte gemacht, denn Risikoinvestments (Aktien, Südeuropa, Banken etc.) hätten durchweg gelitten. „Sichere Häfen“ (Gold und der US-Dollar) profitierten von der einsetzenden Risikoscheu. Das sehr knappe und beinahe unentschiedene Ergebnis sei Ausdruck des paradoxen Verhältnisses zwischen Großbritannien und der Europäischen Union, das zwischen dem Wunsch nach Abschottung, Pragmatismus sowie der Unterwanderung der technokratischen europäischen Institutionen schwanke, heißt es weiter.

„Das Referendum hat politische, wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen. Auf der politischen Seite werden sich populistische Parteien nunmehr für eine Nachahmung der Großbritannien-Entscheidung stark machen, während andere Länder im Vereinigten Königreich (Schottland und Nordirland) möglicherweise der Europäischen Union beitreten möchten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der nun einkehrenden Phase einer hohen Ungewissheit liegen auf der Hand: und zwar in Großbritannien selbst, aber trotz der anhaltenden Konjunkturerholung im Euroraum auch im übrigen Europa. Zu den finanziellen Auswirkungen zählen schwierigere Finanzierungsbedingungen für die am wenigsten kreditwürdigen europäischen öffentlichen und privaten Schuldner“, so de Maack.

In den USA halte nun selbst die Zentralbank die Aktienmärkte für teuer. Die nächste Zinserhöhung werde deshalb das Signal für positivere Trends in der US-Wirtschaft sein. Bislang aber zögere die Fed noch, und die US-Unternehmen setzten anstatt auf Direktinvestitionen lieber auf Aktienrückkäufe. Die S&P 500-Unternehmen hätten zwischen März 2015 und März 2016 mehr eigene Aktien zurückgekauft als im Jahr 2007, insgesamt seien es Papiere für 589 Milliarden Dollar gewesen. Der demokratische Kapitalismus und seine Handelskanäle (d.h. die Finanzmärkte) benötigten Zuversicht, wie der Nobelpreisträger für Volkswirtschaft Jean Tirole in seiner Arbeit „Wirtschaft für das Allgemeinwohl“ („Economie du Bien Commun“) betone, heißt es weiter.

„Solange die Anleger an ein stabiles Umfeld glauben, sind sie auch bereit, in der Hoffnung auf akzeptable Kapitalerträge ihr Vermögen zu riskieren. Europa – und besonders die Eurozone – aber haben in den letzten Jahren trotz der klaren Vorteile des gemeinsamen Marktes und der Liberalisierung von Dienstleistungen einen Großteil ihrer politischen Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der Brexit gibt diesem verbreiteten Misstrauen nur noch weitere Nahrung und könnte Ansteckungseffekte auf andere Länder ausüben, wenn die politischen Führer in Europa nicht entschieden handeln“, so de Maack.

Obwohl noch weitere Wahlentscheidungen anstünden (Parlamentswahlen in Spanien, das Referendum in Italien, Präsidentenwahlen in den USA und Parlamentswahlen in Deutschland und Frankreich), sei der Brexit für die Anlegergemeinde aber vielleicht am entscheidendsten. Der Risikoaufschlag in den europäischen Märkten sei bereits relativ hoch und könnte künftige Verluste zumindest teilweise begrenzen, während die aktuelle Zentralbankpolitik das systemische Risiko in Schach halten dürfte. Dennoch blieben die Märkte volatil, und eine erneute Hausse – oder zumindest eine Stabilisierung – der Lage sei nur dann zu erwarten, wenn die Berichtssaison gut verlaufe und/oder die Zentralbanken und die politischen Institutionen Europas entschlossen und koordiniert handelten, heißt es weiter.

„Großbritannien hingegen befindet sich bereits mitten in einer politischen Krise. David Cameron ist zurückgetreten und wird in drei Monaten sein Amt niederlegen. Eine wirtschaftliche Krise ist angesichts der Problemfaktoren (Leistungsbilanzdefizit, Immobilienblase und überproportional starker Finanzsektor) ebenfalls nicht weit entfernt. Nach einer Zeit bemerkenswerter Stabilität durch seine tausendjährige Monarchie könnte das Land der Angelsachsen jetzt zum Un-Vereinigten Königreich werden“, so de Maack.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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