Bekannte und Unbekannte
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In den nächsten Wochen dürften die Konjunkturdaten miserabel sein, aber wen überrascht das? Gemessen an den Erstanträgen auf Arbeitslosengeld wurden in den letzten vier Wochen mehr Stellen gestrichen als im gerade zu Ende gegangenen elfjährigen Konjunkturzyklus geschaffen. So schwach die Zahlen auch sein werden, so wenig dürften sie die Märkte bewegen. Sie sind bekannte Bekannte.
Die Märkte sorgen dafür, dass sie in den Kursen abgebildet werden, ebenso wie die gewichteten Wahrscheinlichkeiten vieler bekannter Unbekannter. Fallende Unternehmensgewinne überraschen die Märkte daher ebenso wenig wie katastrophale Arbeitsmarktdaten.
Zwei bekannte Unbekannte sind das Tempo der Konjunkturerholung und die Entwicklung der Unternehmensgewinne nach der Rezession. Seit den Märztiefs haben US-Aktien über die Hälfte ihrer Verluste wieder wettgemacht. Trotz der schlimmsten Rezession, die wir je erlebt haben, sind die Aktienbewertungen gerade einmal so niedrig wie im Juni 2019. In den letzten Wochen rechneten immer mehr Investoren mit einer eher kurzen Rezession und einem anschließenden starken Gewinnanstieg. Weil wir keine Epidemiologen sind, halten wir uns mit Äußerungen zur Entwicklung der Infektionen und zum Risiko einer zweiten Welle zurück. Natürlich hoffen wir das Beste. Aber Hoffnung allein reicht nicht.
Unabhängig davon, wann die Pandemie ihren Höhepunkt erreicht und die Wirtschaft wieder geöffnet wird, steht eines fest: Das Leben wird nicht mehr so sein wie früher. Politiker und Medien, Investmentstrategen und Volkswirte haben die weltweiten Bemühungen um die Eindämmung von COVID-19 mit einem Krieg verglichen. Wir nicht. Zwar kann ein solcher Eindruck entstehen, weil plötzlich alle an einem Strang ziehen – vielen Dank an das mutige Pflegepersonal und die vielen Helfer –, aber Pandemien haben auf Dauer andere Auswirkungen auf unser Verhalten als Kriege. Die Faktoren, die nach einem Krieg meist zu einer v-förmigen Erholung führen, spielen nach einer Pandemie keine Rolle. Darauf gehen wir in einem weiteren Beitrag ein. Lassen Sie uns jetzt nur so viel sagen: Vorsichtssparen von Verbrauchern und Unternehmen sorgt für ein völlig anderes Wirtschafts- und Inflationsumfeld, als wir es aus der Nachkriegszeit kennen. Kommen wir also zurück zu unseren Einwänden und dem Thema dieses Beitrags.
Wir rechnen mit einer schwächeren Gewinnerholung als der Markt. Eine, wenn Sie so wollen, bekannte Unbekannte, die wir jetzt genau untersuchen wollen, ist die zu erwartende Verwässerung der Gewinne durch Kapitalerhöhungen.
Wenn die Konjunktur stark ist, tun viele Unternehmen alles, um sich bei Aktieninvestoren lieb Kind zu machen. Dies liegt nicht zuletzt an falschen Anreizstrukturen für viele Vorstandsmitglieder. Aber auch das ist kein Thema für heute. In den letzten zehn Jahren wollten die meisten CEOs das Working Capital steigern und nahmen dazu eine höhere Verschuldung in Kauf. In den letzten Monaten sah man dies so deutlich wie nie zuvor.
Weil es all dies auch früher schon gab, heben wir das Jahr 2008 besonders hervor. Als das Extremrisiko der internationalen Finanzkrise nachließ, ging es den Unternehmen nicht mehr so sehr um Ausschüttungen, sondern um Rekapitalisierung. Dazu wurden neue Aktien begeben – zulasten der Altaktionäre, deren Kapital stark verwässert wurde.
Heute tun die CEOs und CFOs – insbesondere von Unternehmen, die sonst vielleicht aufgeben müssten – alles, um an Liquidität zu kommen. Gewinnmaximierung ist Schnee von gestern. Jetzt geht es um die Existenz, denn der im nächsten Monat fällige Kredit muss unbedingt zurückgezahlt werden. Anders als in den letzten zwölf Jahren stehen jetzt die Bilanzen im Blickpunkt. Doch diese Rezession ist anders als 2008, und das nicht nur, weil sie von einer Pandemie ausgelöst wurde. Entscheidend für den Zusammenbruch 2008 war der überschuldete Finanzsektor, aber diesmal haben nicht Banken und REITs zu viel Fremdkapital in ihren Büchern stehen. Jetzt sind es die Industrieunternehmen, die eigene Aktien zurückgekauft haben. Die neue Rekapitalisierungswelle hat wahrscheinlich gerade erst begonnen. In den letzten Wochen haben bereits Freizeit- und Dienstleistungsunternehmen in den USA und Europa neue Aktien angeboten.
Niemand weiß, wie lange die Rezession dauert, und wir wissen auch nicht, wie stark sich die Wirtschaft anschließend erholt. Aber viele scheinen zu glauben, dass sie die vielen bekannten Unbekannten der bevorstehenden Erholung genau kennen, und rufen daher mit dem Brustton der Überzeugung einen starken Aufschwung aus. Wir wünschten uns, genauso sicher zu sein. Aber wir sind es nicht – und wir meinen, dass auch Sie es nicht sein sollten. Statt mutige Prognosen zu wagen, haben wir uns für sorgfältiges Investmentmanagement entschieden, für Anlagen in Unternehmen, deren Kapitalwachstum nicht von externen Faktoren wie den Finanzierungsmöglichkeiten abhängt. Auf einen schwarzen Schwan kann man sich nun einmal nicht vorbereiten.
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