Angleichung der Hypothekenzinsen spiegelt veränderte Risikoeinschätzung wider
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Seit etwa Mitte der 90er Jahre lagen die nominalen Hypothekenzinsen in Deutschland deutlich oberhalb jener im Rest der Eurozone – ein Phänomen, das Beobachtern der europäischen Bankenmärkte jahrelang Rätsel aufgegeben hat. Seit einiger Zeit, genauer: seit Mitte/Ende 2006, nähert sich das deutsche Hypothekenzinsniveau jedoch an das EWU-Mittel an und unterschreitet dieses sogar seit dem letzten Jahr um etwa 50 Basispunkte. Über die Gründe der innereuropäischen Zinsunterschiede wurde lange diskutiert. Dabei haben sich insbesondere drei Erklärungsansätze herauskristallisiert, die an der Effizienz der nationalen Bankensysteme, der Wettbewerbsintensität auf den jeweiligen nationalen Bankenmärkten und dem Pricing der Risiken ansetzen.
Demnach können die höheren Baufinanzierungszinsen in Deutschland erstens die höheren Verwaltungs- und Bearbeitungskosten der deutschen Banken widergespiegelt haben, wobei letztere wiederum aus betriebswirtschaftlicher Ineffizienz herrühren. Das deutsche Dreisäulensystem mit privaten Banken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen beziehungsweise Landesbanken verhindert säulenübergreifende Zusammenschlüsse von Finanzinstituten. Dadurch gibt es sehr viele Banken, die sehr klein sind und somit kaum Größenvorteile nutzen können. Deutsche Banken sind deshalb im Mittel ineffizienter als ihre Konkurrenten im europäischen Ausland.
Einem zweiten Erklärungsansatz zufolge sind die höheren Immobilienkreditzinsen in Deutschland auf die besondere Wettbewerbsstruktur des deutschen Bankenmarktes zurückzuführen. So wird argumentiert, dass in Deutschland auf Grund der zersplitterten Bankenlandschaft ein sehr intensiver Wettbewerb um Einlagen stattfindet. Deutsche Kreditinstitute müssen ihren (Spar-)Kunden vergleichsweise hohe Guthabenzinsen zahlen, welche sie über höhere Kreditzinsen an die Kreditnehmer weitergeben.
Die Wettbewerbsintensität der deutschen Bankenbranche wird auch mit einem weiteren Argument als Grund der höheren Hypothekenzinsen in Deutschland aufgeführt. Allerdings ist hier nicht die angeblich hohe, sondern die angeblich niedrige Wettbewerbsintensität Ausgangspunkt der Überlegungen. Aufgrund der Tatsache, dass sich einzelne Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Regel auf ihr lokales Geschäftsgebiet konzentrieren, stehen diese nicht in direkter Konkurrenz zueinander. Gerade das Bankgeschäft in ländlichen Regionen Deutschlands wird daher von wenigen Banken dominiert. Diese sind nur unterdurchschnittlichem Preisdruck ausgesetzt und können deshalb im europäischen Vergleich relativ hohe Hypothekenzinsen durchsetzen.
Der dritte Erklärungsansatz setzt an der Rolle an, die die Risikoprämie beim Pricing von Hypothekenkrediten spielt. Zum einen wird argumentiert, dass die hohen Hypothekenzinsen daraus resultieren, dass deutsche Banken eine höhere Risikoprämie veranschlagen. Das kann zwei Gründe haben. Erstens kann das Kreditrisiko in Deutschland tatsächlich höher sein als im europäischen Ausland. Ursache hierfür könnte die bis vor einiger Zeit schwächere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sein, welche die Kreditinstitute seit dem Ende des Einheitsbooms gezwungen haben kann, von vergleichsweise hohen Kreditausfällen auszugehen. Im Gegensatz dazu agierten die Banken in einigen anderen Euroländern, beispielsweise Spanien und Irland, seit Mitte der 90er Jahre in einem sehr positiven konjunkturellen Umfeld.
Zweitens könnte sich eine höhere Risikoprämie auch daraus ergeben, dass Kreditrisiken in Deutschland in der Vergangenheit realistischer bewertet wurden. Mit anderen Worten: die Risikobewertung in den anderen Ländern der Eurozone war lange Zeit zu optimistisch. Dass deutsche Kreditinstitute die Lage realitätsnäher bewerteten als die Banken in den anderen europäischen Ländern wird darauf zurückgeführt, dass die negativen Erfahrungen der Banken hierzulande in Folge des Boom– und Bust-Zyklus nach der Wiedervereinigung die Branche hat vorsichtiger werden lassen. Gleichzeitig hat der Eurokonvergenz-Prozess in einigen Euroländern einen deutlichen Rückgang der Nominalzinsen mit sich gebracht. Obwohl die Realzinsen nicht in demselben Umfang gesunken sind, entstand der Eindruck, dass sich die Verbraucher höhere Hypothekenkredite leisten konnten. Dies verleitete die Banken zu einer relativ optimistischen Risikoeinschätzung.
Alle drei Erklärungsansätze für die überdurchschnittliche Höhe der deutschen Kreditzinsen in der Vergangenheit sind stichhaltig. Dass sich die Baufinanzierungszinsen in Deutschland ausgerechnet im Zuge der Subprime-Krise an den europäischen Durchschnitt angenähert haben, stützt jedoch insbesondere den letztgenannten Argumentationsstrang, der auf die Risikoprämien abzielt. Vor allem die spanischen Banken konnten in den vergangenen Jahren mit historisch niedrigen Ausfallraten kalkulieren; möglicherweise sind sie aufgrund des lang andauernden Aufschwungs bei der Berechnung der Risikoprämien auch weniger vorsichtig gewesen. Mit dem Übergreifen der Immobilienkrise auf Europa sehen sich die Banken andernorts aber höheren Ausfallraten gegenüber, die sie zu einer Risikobewertung zwingen, die so realistisch ist, wie diejenige der deutschen Banken in den vergangenen Jahren ohnehin schon war. Im Ergebnis haben die deutschen Hypothekenzinsen ihren „Vorsprung“ gegenüber dem europäischen Mittel eingebüßt.
Quelle: Deutsche Bank Research
Autoren: Stefan Schäfer und Philip-Colin Richards
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