Aktien: Die USA sind nicht alles
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Boston / Frankfurt am Main, 21. November 2019 – Von unseren Kunden höre ich oft, wie sehr sie von den anhaltenden Mindererträgen nicht-amerikanischer Aktien in den letzten zehn Jahren enttäuscht sind. Anlageausschüsse, Treuhänder und andere Verantwortliche wollen nicht mehr länger darauf warten, dass sie ihren Rückstand gegenüber US-Titeln endlich aufholen.
Wer dennoch an nicht amerikanischen Aktien festhält, begründet das oft mit ihrer Bewertung. Günstige Bewertungen können zwar für Anlagen außerhalb der USA sprechen, aber ohne stabile Fundamentaldaten und nachhaltige Cashflows können sie die Kurse in schwierigen Marktphasen kaum stabilisieren. Die Geschichte ist voller Beispiele für Investoren, die Wertpapiere kaufen, weil sie sie für billig halten – um dann zu erfahren, dass sie noch billiger werden. Es sollte also noch mehr Argumente geben.
Ich möchte daher eine neue Sicht auf nicht amerikanische Aktien anregen. Ihr Ausgangspunkt sind die Fundamentaldaten – und nicht die üblichen Anlagekriterien wie Bewertung und Diversifikation.
Eine neue Sicht der Dinge
Beginnen wir ganz von vorn. Grundsätzlich hängen Aktienbewertungen von drei Faktoren ab:
- den erwarteten Erträgen des Unternehmens
- seinem erwarteten Wachstum
- seinen Risiken
Investieren ist einfach und schwierig zugleich. Die Fundamentaldaten bestimmen die Gewinnmargen, die Entwicklung des freien Cashflows und das Risiko – und damit letztlich die Kurse. Das ist einfach. Die Schwierigkeit liegt darin zu erkennen, wie sich die Gewinnmargen und Erträge entwickeln und wie sie in fünf Jahren oder noch fernerer Zukunft aussehen. Was bestimmt das Branchenwachstum? Welche Markteintrittshürden gibt es für neue Wettbewerber? Besteht das Risiko disruptiver Innovationen? Welche Auswirkungen können sie auf Margen und Wachstum haben? Nur selten verläuft die Entwicklung linear, und die Zukunft ist immer unsicher.
Warum aber haben US-Aktien Titel aus anderen Ländern in diesem Marktzyklus so stark hinter sich gelassen? Meist wird man die Antwort in den Fundamentaldaten finden. US-Unternehmen erzielen deutlich höhere Erträge und wachsen wesentlich schneller.
Was sollten Investoren daraus folgern?
Die Ertrags- und Wachstumsdifferenz hat in der Vergangenheit für US-Aktien gesprochen, zumal in den USA die Arbeitsmärkte wesentlich flexibler sind und das Kapital deutlich mobiler ist. Da die Märkte reibungsloser funktionieren, lassen sich Arbeit und Kapital leichter in die ertrags- und wachstumsstärksten Branchen lenken. Aber erklärt das allein die höhere Effizienz und den extrem großen Performanceabstand in diesem Marktzyklus? Und, wichtiger noch, ist er nachhaltig?
Weltwirtschaft und Erträge sind in diesem Zyklus nicht sehr stark gewachsen. Vor allem US-Unternehmen haben daher auf Einmalmaßnahmen wie Rationalisierung, Produktionsverlagerung ins Ausland, Steuerarbitrage sowie Factoring von Forderungen und Verbindlichkeiten gesetzt, um Erträge und Aktienkurse zu steigern. Entscheidend dürfte aber wohl die höhere Fremdkapitalaufnahme gewesen sein: Die Verschuldungsgrade sind gestiegen, die Zahl der Aktien hat abgenommen.
Aktienrückkäufe sorgen zwar nicht unmittelbar für höhere Margen oder Nettoerträge, aber bei einem höheren Verschuldungsgrad sind höhere Erträge möglich, wenn die Kapitalrendite über dem Zins liegt. Am wichtigsten ist aber, dass die Verringerung des Eigenkapitals in der Bilanz die berichteten Gewinne je Aktie steigen lässt und sich auch andere Finanzkennzahlen verbessern, während die Volatilität der Erträge (also das Risiko) abnimmt. Mit anderen Worten: Nicht nur die Notenbanken haben für weniger Risiko gesorgt. Auch Unternehmen haben die Schwankungen von Gewinnen und Erträgen verringert, indem sie die Zahl der umlaufenden Aktien gesenkt haben.
Das Leben ist nicht linear
Kommen wir zurück zu Abbildung 1: Der Nettoertrag von US-Unternehmen ist sozusagen linear gestiegen, in einem 45°-Winkel. Aber ist das Leben wirklich so linear? Oft passiert Unerwartetes, das zu Veränderungen zwingt. Wir alle haben schon erlebt, dass Staus, Flugzeugverspätungen oder schlechtes Wetter unseren Tagesplan gestört haben. Unerwartete Ereignisse zwingen uns auch bei Finanzanlagen dazu, unsere ursprünglichen Pläne zu ändern. Eine höhere Verschuldung sorgt für höhere Risiken, nicht lineare Ergebnisse werden wahrscheinlicher. Anleiheninvestoren nennen dies Konvexität.
Wie so oft sendet das Marktbeta zur Mitte oder gegen Ende des Zyklus ein falsch-positives Signal. Meiner Ansicht nach erscheinen Nettoertrag, Margen und Gewinnpotenzial vieler US-Unternehmen zu hoch, das Risiko hingegen unterbewertet. Für die übrigen Länder gilt das Gegenteil, da dort weniger Finanzakrobatik stattfindet.
Anlageerträge entstehen letztlich aus Unternehmensgewinnen, Wachstum und Risiken. Wie werden datengetriebene Modelle, Algorithmen und chartorientierte Investoren reagieren, wenn die Finanzkennzahlen von US-Unternehmen im Vergleich zu denen von Unternehmen aus anderen Ländern hier enttäuschen? Wenn die Vergangenheit lediglich ein Vorgeschmack ist, kann das schnell passieren.
Haussen gingen zu Ende, wenn Effizienzsteigerungen ausgereizt waren und die Bewertungen zu hoch erschienen. Ich glaube, dass US-Unternehmen außerhalb ihres Kerngeschäfts bald keine Möglichkeiten mehr haben, die Erträge zu steigern. In den USA wie in anderen Ländern dürften die zukünftigen Portfolioerträge meiner Ansicht nach daher eher von der Einzelwertauswahl als vom Beta abhängen. Mit anderen Worten: Entscheidend wird sein, welche Aktien Sie besitzen und welche nicht, unabhängig davon, wo ein Unternehmen seinen Sitz hat.
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