Kommentar
13:23 Uhr, 02.06.2021

Aber die Inflation sinkt doch!

Man liest sehr viel über steigende Inflation. Inflation ist aber mehr Definitionssache als viele denken. Das macht die aktuelle Lage unvorhersehbar und die Sache für Notenbanken nicht leichter.

Dabei waren es gerade die Notenbanken, die aus der Inflation etwas machten, was sich kaum noch definieren, geschweige denn steuern lässt. Die eine Inflation gibt es nicht. Inzwischen gibt es mindestens acht verschiedene Inflationsraten, die in die Überlegungen der US-Notenbanker einfließen. Alles geht auf den Inflationsschock der 70er Jahre zurück. Ab 1972 konnte man nicht übersehen, dass die Inflation steigt. 1973 geschah aber etwas Unvorhergesehenes. Der Jom-Kippur-Krieg führte zu einem Ölembargo und der Ölpreis stieg entsprechend. Kostete Öl im Sommer 1973 noch 3,5 Dollar je Barrel, waren es sechs Monate später über 10 Dollar. Die US-Notenbank stellte sich damals eine sehr berechtigte Frage. Soll die Geldpolitik nun straffer werden, obwohl der steigende Ölpreis nichts mit der Geldpolitik oder der heimischen Wirtschaft zu tun hat? Es handelte sich ja immerhin um einen externen Schock. Geldpolitik hatte damit wirklich nichts zu tun.


Man kam zu dem Schluss, dass es nicht korrekt wäre, den Ölpreisanstieg einfach in den Daten so hinzunehmen. Es würde zu den falschen Schlussfolgerungen führen. Kurzerhand wurde der Ölpreis aus den Daten herausgerechnet. Dabei blieb es nicht.

Ökonom Stephen Roach, der damals bei der Fed arbeitete, beschrieb das Thema unlängst in einem Artikel. Wären die damaligen Entscheidungen nicht noch immer so folgenreich, kann man die Entwicklung durchaus als komisch empfinden. Es blieb nämlich nicht dabei, dass der Ölpreis aus den Daten herausgerechnet wurde. Es folgten andere Waren, die exogenen Schocks unterlagen, darunter Nahrungsmittel.

Noch heute findet der resultierende Warenkorb Anwendung als Kerninflation (Warenkorb exklusive Energie und Nahrungsmittel). Rohstoffe sind anfällig für Schocks und die Geldpolitik danach zu richten, erscheint nicht sinnvoll. Das Problem an der Sache: Wo beginnen berechtigte Einschnitte in die Berechnung der Inflation und wo hören sie auf?

In den 70ern wurde viel gerechnet. Am Ende blieb vom ursprünglichen Warenkorb nur noch ein Drittel übrig. Selbst dieses Drittel stieg zeitweise um mehr als 10 %. Auch heute gibt es viele Indizes und viele neue Preisindizes, die den Eindruck vermitteln, dass Inflation überhaupt kein Problem ist.

So wird ein Preisindex auf Waren mit unflexiblen Preisen berechnet (Grafik 2). Der zugrundeliegende Warenkorb beinhaltet z.B. Preise für den Internetzugang und Bildung. Das sind Preise, die sich für gewöhnlich nicht schnell ändern. Eine Kernrate davon gibt es auch. Das wirft Fragen auf. Wieso braucht es eine Kernrate von Preisen, die per Definition schwerfällig sind und sich kaum ändern?


So werden immer mehr Indizes entworfen, die alle eine etwas andere Story erzählen. Am Ende gibt es so viele Inflationsindikatoren, dass man nicht weiß, was nun eigentlich die Wahrheit ist. Die Wahrheit ist dabei eigentlich einfach. Der Durchschnittsbürger muss essen, trinken, tanken usw. Der Warenkorb unterscheidet sich je nach Person. Manche haben ein Auto, andere nicht. Generell ist es jedoch irreführend, immer mehr Waren herauszurechnen, die Menschen tagtäglich benötigen.

Derzeit sehen Notenbanken Preisanstiege als vorübergehend an, weil exogene Schocks dafür verantwortlich gemacht werden können. Wer kann schon ahnen, dass ein Engpass an Halbleitern für Preissteigerungen sorgte? So läuft die Notenbank Gefahr, nur exogene Schocks zu sehen und dabei das Offensichtliche zu übersehen: die Preise steigen.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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