Kommentar
07:15 Uhr, 13.09.2023

Ab wann darf man den Glauben an die Zinskurve aufgeben?

Wenn 15 Monate nach Inversion der Zinskurve in den USA immer noch keine Rezession da ist, kann man dann die Zinskurve getrost ignorieren?

Nicht nur gefühlt wartet die Welt schon lange auf eine Rezession. Inzwischen sind es 15 Monate. Die durchschnittliche Haltedauer unter Anlegern ist deutlich kürzer. Man kann den Zeitraum aus dieser Perspektive als lang bezeichnen. Zudem gibt es in 70 Jahren zuverlässiger Zinsgeschichte elf Inversionen, von denen immerhin eine ein Fehlsignal war. Eine Rezession folgte nach der Inversion 1966 nicht (Grafik 1).

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Die Trefferquote ist hoch, aber nicht unfehlbar. Auch andere Argumente gegen die Aussagekraft der Zinskurve lassen sich finden. Kurzfristige Renditen sind derzeit hoch, weil sie sich am Leitzins orientieren. Tiefere Renditen bei Anleihen mit langer Laufzeit lassen sich damit erklären, dass eine Rückkehr zum Niedrigzinsumfeld erwartet werden könnte. In diesem Fall ist die Differenz zwischen langen und kurzen Laufzeiten nicht negativ, weil sich eine Rezession ankündigt, sondern eine Rückkehr zum Status vor der Pandemie: niedrige Inflation, niedriges Wachstum, niedrige Zinsen.

Das sind gute Überlegungen, doch bestätigen lassen sie sich erst im Nachhinein. Nach einer Inversion der Zinskurve müssen Anleger häufig warten. Vor der letzten Rezession waren es 13 Monate. Wahrscheinlich wäre es ohne Pandemie länger gewesen. Wartedauern von 15 bis 26 Monate sind nicht unüblich (Grafik 2). Wer jetzt schon die Geduld verliert, hat die unerträglich lange Ankündigung vor der Finanzkrise nicht miterlebt.

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Längere Wartezeiten könnten in Zukunft noch üblicher werden. Notenbanken werden bei der Steuerung der Wirtschaft immer besser. Viele Rezessionen kündigten sich lange vorher an. Wirklich ausgelöst wurden sie von Schocks. Hätte die US-Notenbank im März die Bankenkrise nicht im Keim erstickt, befänden sich die USA wohl bereits in einer Rezession.

Selbst der Aktienmarkt verläuft in diesem Zyklus nicht vollkommen unerwartet. Nach einer Inversion können Aktien häufig noch monatelang steigen. Grafik 3 zeigt dazu den Verlauf ab dem Tag der ersten Inversion mit folgender Rezession. Zum Teil begann der Markt erst zwei Jahre später mit einer nachhaltigen Korrektur.

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Es gibt keine Garantie, dass die Inversion dieses Mal tatsächlich eine Rezession ankündigt. Das lange Warten ist jedoch kein Argument. Die Wartezeit ist in diesem Zyklus nicht ungewöhnlich. Normal ist hingegen, dass die Zuverlässigkeit der Zinskurve nach einem Jahr angezweifelt wird.

Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann dass der Kursverlauf den größtmöglichen Schmerz für die größtmögliche Anzahl an Anlegern verursacht. Das geschieht dann, wenn alle die Weisheit der Zinskurve für tot erklären. An diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt. Kurzfristig ist das positiv.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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