Wissensartikel
15:55 Uhr, 08.10.2013

„Die EZB hat Zeit gekauft, die Politik hat sie nicht genutzt“

Dr. Daniel Stelter, seit 1990 bei der Boston Consulting Group unter Vertrag, gilt als einer der führenden Managementberater in Europa. Wir haben ihn um eine Einschätzung der aktuellen Lage gebeten und gefragt, wie sich Anleger angesichts der ungewissen Zukunft der Eurozone positionieren sollten.

Herr Stelter, warum kann sich die Politik auch im sechsten Jahr der Schuldenkrise zu keiner ernsthaften Lösung der Problematik durchringen?

Vielen Politikern fehlt schlichtweg das Verständnis für die Dimensionen des Problems und jene, die es verstehen, scheuen sich die Wahrheit zu sagen, denn die ist für uns alle sehr bitter. Über Jahrzehnte hinweg haben die Staaten der westlichen Welt über ihre Verhältnisse gelebt. Doch nicht nur Staaten, sondern auch private Haushalte und Unternehmen haben immer mehr Schulden gemacht. Seit 1980 hat sich die Verschuldung der westlichen Welt von 160 % des BIP auf mehr als 320 % des BIP verdoppelt. Real haben sich die Schulden der Unternehmen mehr als verdreifacht, der Staaten mehr als vervierfacht und die der privaten Haushalte mehr als versechsfacht. Haben wir in den 1960er Jahren für jeden neuen Dollar Schulden immerhin noch 60 Cent als zusätzliches Wachstum bekommen, so ist diese Rate auf jetzt 10 Cent gefallen. Schulden können aber nicht auf Dauer schneller wachsen als das Einkommen. Da ist die Pleite nicht weit. Das bedeutet aber nichts anderes als das auch die Gläubiger Geld verlieren werden. Alleine in der Eurozone werden 3-5 Billionen Euro an Schulden nicht ordentlich bedient werden können. Das ist nicht populär, also spielt die Politik auf Zeit und hofft, tiefe Zinsen würden das Problem entschärfen. Doch das wird nicht gelingen.

Warum können die Schuldner nicht einfach sparen und zurückzahlen so wie es die Bundesregierung fordert?

Aus Sicht der Gläubiger wäre dies natürlich die beste Alternative. Doch was für einzelne Unternehmen, private Haushalte und auch Staaten geht, geht nicht für 50 % der Weltwirtschaft. Wenn ein Land wie Spanien oder Portugal die Gesamtverschuldung senken will, so geht dies nur mit einem Handelsüberschuss. Dieser setzt Wettbewerbsfähigkeit voraus und auch die Bereitschaft der bisherigen Überschussländer – wie Deutschland – entsprechende Defizite zu machen. Letztlich führt der Versuch des „heraus sparens“ nur zu einer schweren Wirtschaftskrise, wie wir sie in den überschuldeten Ländern beobachten können, mit der Folge, dass die Wirtschaft schrumpft und die Schulden weiter steigen. Irving Fisher hat diese Abwärtsspirale schon in den 1930 Jahren beschrieben.

Verbleibt nur die Möglichkeit der Inflation, um die Schulden zu entwerten?

Genau das wird von vielen gefordert, so zum Beispiel vom IWF. Das moderne Wort dafür lautet financial repression womit gemeint ist, dass die Zinsen unter die Wachstumsrate der Wirtschaft gedrückt werden, wobei „Wachstum“ im heutigen Umfeld überwiegend Inflation wäre. Doch das Problem ist viel zu groß, um so gelöst zu werden. In Irland würde es beispielsweise selbst bei der Annahme eines negativen Zinses von 5 % rund 20 Jahre dauern bis die Schulden auf einem tragbaren Niveau wären. Das ist völlig illusorisch. Zudem ist es in einem Umfeld von zu vielen Schulden schwer, Inflation zu erzeugen. Denn Schuldenabbau und Rezession wirken eher deflationär. Inflation kriegen wir vermutlich nur, wenn breite Teile der Bevölkerung das Vertrauen in Geld verlieren – nur dann wird sie erheblich sein.

Was steht den Wählern nach der Bundestagswahl vom 22. September bevor?

Wir nähern uns dem Tag der Wahrheit. In Griechenland aber auch darüber hinaus. Die derzeitige Ruhe an der Krisenfront verdanken wir letztlich nur Herrn Draghi, der mit seinem Versprechen, alles zu tun um den Euro zu retten, die Märkte beruhigt hat und der europäischen Politik, die alle Probleme unter den Teppich kehrt bis zur Wahl in Deutschland aus Angst, wir könnten gegen die Rettungspolitik stimmen. Nach der Wahl werden die Probleme wieder aufbrechen: die EZB hat Zeit gekauft, die Politik hat sie aber nicht genutzt. Die Schulden wachsen weiterhin schneller als die Wirtschaft und große Teile Europas bleiben in einer tiefen Rezession. Dann werden die Forderungen nach Eurobonds, Fiskalunion und Schuldenerlassen –nicht nur für Griechenland sondern auch für Portugal, Irland und Spanien - wieder auf den Tisch kommen. Die Politiker haben keine Lust, ihren Bevölkerungen mehr zuzumuten, einmal abgesehen davon, dass das heraus sparen ja nicht funktioniert. Da wird der Druck auf die Gläubiger wachsen, einen Beitrag zur Lösung zu leisten. Neben der Beteiligung bei der Bankensanierung wie in Zypern wird es vor allem darum gehen, bei den vermeintlich reicheren Ländern Solidarität einzufordern. Und das wird teuer für uns.

Inwieweit verschärfen – neben der allgemeinen Verschuldung – die ungedeckten Verbindlichkeiten der Zukunft wie Rentenansprüche und steigende Gesundheitskosten einer alternden Gesellschaft die schwierige Lage von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?

Die ungedeckten Verbindlichkeiten aus den Versprechen der Politik für künftige Renten- und Gesundheitsleistungen sind gigantisch. Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich klaffen hier Lücken von vier bis achtmal BIP! Selbst im vermeintlich soliden Deutschland liegt bei ordentlicher Rechnung die Staatsverschuldung nicht bei 80 % sondern bei über 400 % des BIP. Dies unterstreicht noch einmal wie fatal die Überschuldung der westlichen Welt ist. Hinzu kommt, dass eine alternde Gesellschaft zu weniger wirtschaftlichem Wachstum führt, wir also aus unserem Problem nicht herauswachsen können. Bliebe die Hoffnung, das BIP pro Kopf durch Investitionen in Bildung und Kapitalstock zu erhöhen. Doch genau das erfolgt nicht. Im Gegenteil fallen wir was die Bildung der nachfolgenden Generation betrifft im internationalen Maßstab zurück und investieren nicht ausreichend in Infrastruktur und Maschinen. In Europa wird der Investitionsrückstau der Unternehmen auf 800 Mrd. Euro geschätzt.

Wie lange kann die Politik die Probleme noch aufschieben?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Bis jetzt ist es immer wieder gelungen, das Schuldengebäude durch noch mehr Schulden und billiges Geld zu stabilisieren. Japan zeigt, dass man in der Tat den Einsturz des Gebäudes sehr lange aufhalten kann. Es wird interessant sein zu beobachten, wie es in Japan endet: in Pleite oder Währungsreform. Ich glaube allerdings nicht, dass wir in Europa ähnlich lange wie Japan auf Zeit spielen können. Dazu sind die Kulturen zu unterschiedlich und wir haben es mit verschiedenen Ländern zu tun. Die Krise wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen und entweder findet die Politik den Mut uns zu sagen, dass wir als Gläubiger verzichten müssen und organisiert eine Schuldenrestrukturierung oder es gibt einen großen Knall. Die nächsten 3 bis 5 Jahre werden spannend.

Was wird zukünftig aus dem Geldvermögen der Bundesbürger?

Wenn Sie optimistisch sind und daran glauben, dass die Politik des Durchwurstelns erfolgreich ist, werden wir über negative Realzinsen heimlich enteignet. Der Vorteil wäre, dass es der größte Teil der Bevölkerung nicht merkt. Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass dies funktioniert. Bleiben hohe Inflation, Pleiten und Besteuerung als Alternativen. In jedem Szenario werden Sparer verlieren. In Wirklichkeit ist der Verlust bereits eingetreten, wir merken es nur noch nicht. Wie im Märchen ist der Kaiser – also der Schuldner – nackt und kann nicht mehr zahlen. Doch wir tun noch so als könne er es.

Wie können sich Anleger erfolgreich schützen? Kann ihnen das überhaupt gelingen?

Gehen wir die Szenarien durch: gegen Pleiten kann man sich durch sorgfältige Auswahl der Schuldner schützen und die einfache Regel, nicht zu viel Geld bei einem Schuldner und einer Bank zu halten. Idealerweise auch international gestreut. Gegen Inflation kann man sich durch den Kauf von Sachwerten wie Immobilien, Aktien und auch Gold schützen. Jedes Depot sollte diese beiden Gefahren abdecken. Doch auch für den Fall einer Deflation wie in Japan sollte man sich wappnen, weshalb es nicht sinnvoll ist, alles in Sachwerte zu stecken. Bedenken Sie auch die negative Wirkung der demographischen Entwicklung auf den Immobilienmarkt in einigen Teilen Deutschlands. Gegen das Risiko der Besteuerung kann man sich legal nicht schützen, außer man wandert aus. Ich bin überzeugt, dass es in jedem Szenario zu einer Belastung von jenen kommen wird, die ihr Vermögen unbeschadet durch die Krise gebracht haben.

Gibt es noch wirklich sichere Geldanlagen?

Nein. Es gibt aber die Sicherheit, dass das was als sicher gilt, auf jeden Fall einen Verlust bringt. Denken Sie an die negativen Realzinsen auf Anleihen guter Schuldner. Die Sparer werden so oder so verlieren. Die sicherste Anlage ist, in die eigenen Bildung und die der Kinder zu investieren und sich ansonsten ein schönes Leben zu machen.

Die Fragen stellte Helge Rehbein.

Dr. Daniel Stelter hat sich als Senior Partner und Managing Director im Berliner Büro der Boston Consulting Group (BCG) einen Namen gemacht. Zusammen mit dem Krisenexperten David Rhodes analysierte er seit 2008 in der BCG-Publikationsreihe Collateral Damage Ursachen und Folgen der Finanz- und Schuldenkrise. Im Frühjahr 2013 veröffentlichte Stelter mit Co-Autoren das Buch „Die Billionen-Schuldenbombe – Wie die Krise begann und warum sie noch lange nicht zu Ende ist“ (Wiley, 2013, 19.90 Euro). Daniel Stelter lebt mit seiner Familie in Berlin.

(geschrieben von Helge Rehbein)

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