Das Truthahn-Paradox und was Trader daraus lernen können
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Man stelle sich einen Truthahn vor. Jeden Tag wird der Truthahn gehegt und gepflegt und gefüttert. Ganz offensichtlich ist der Bauer, der dem Truthahn jeden Tag reichlich zu essen gibt, ein echter Tierfreund. Und auch wenn dem Truthahn andere Tiere auf dem Bauernhof zuflüstern, dass mit dem Truthahn im letzten Jahr an Thanksgiving etwas ganz Schreckliches geschehen sei, wird der Truthahn das nicht glauben wollen.
Jeder Tag und jede Fütterung bestärkt den Truthahn in der Ansicht, dass der Bauer offensichtlich nur sein Wohlergehen im Sinn hat. Das alles ändert sich allerdings am Tag vor Thanksgiving. Unser kluger Truthahn muss erkennen, dass er nur deshalb immer so reichlich gefüttert wurde, um am Ende selbst verspeist zu werden.
Das Truthahn-Paradox stammt vom Finanzmathematiker und Buchautor Nassim Nicholas Taleb, der auch das Konzept des "Black Swans", also des schwarzen Schwans, geprägt hat. Unter einem Black-Swan-Event versteht man ein stark negatives und sehr unwahrscheinliches Ereignis, das nicht vorherzusehen war.
Das Truthahn-Paradox hält auch für Trader und Anleger eine wichtige Erkenntnis bereit: Eine große Menge an Informationen kann über lange Zeit den falschen Eindruck vermitteln und Menschen (oder Tiere) in falscher Sicherheit wiegen. Der Truthahn erkennt erst ganz am Ende, dass er die scheinbare Fürsorge des ihn fütternden Menschens falsch interpretiert hat. Jede unvorhergesehene Entwicklung passiert irgendwann zum ersten Mal. Und jedes System funktioniert nur so lange, bis es irgendwann eben nicht mehr funktioniert. Aber was hat das mit der Börse zu tun? Wie sich herausstellt, sehr viel. Dies zeigen etwa die folgenden beiden Beispiele:
Beispiel Nr. 1: Im Jahr 2008 steuerte während der Finanzkrise die US-Investmentbank Lehman Brothers auf die Pleite zu. Auch rund 50.000 deutsche Anleger hatten damals Zertifikate von Lehman Brothers im Depot. Viele Anleger beruhigten sich damit, dass Lehman Brothers schon nicht zahlungsunfähig werden würde, schließlich handelte es sich um eine Institution, die schon im Jahr 1850 gegründet worden war und die zu den angesehensten Investmentbanken überhaupt gehörte. Eine solche Bank konnte einfach nicht pleite gehen, denn das war ja noch nie geschehen. Doch offensichtlich war das ein gefährlicher Irrtum. So wie der Truthahn feststellen musste, dass er nur deshalb die ganze Zeit gefüttert wurde, um am Ende verspeist zu werden, mussten auch die Anleger mit Lehman-Zertifikaten erkennen, dass das dicke Ende in der Regel am Schluss kommt... (Strenggenommen ist die Geschichte mit der Pleite von Lehman Brothers noch nicht beendet, denn diejenigen Anleger, die ihre scheinbar wertlosen Lehman-Zertifikate behielten, bekamen in den Folgejahren noch Zahlungen aus der Lehman-Insolvenzmasse.)
Beispiel Nr. 2: Das zweite Beispiel ist aktueller. Seit der Finanzkrise gab es ein Patentrezept für Gewinne am Aktienmarkt: "Buy the dip!" Dieses Motto bedeutet übersetzt so viel wie "bei Kursrücksetzern kaufen". Diese bei Tradern und aktiven Anlegern beliebte Strategie war in den vergangenen Jahren ein Garant für schnelle Kursgewinne. Denn wenn die Aktienindizes einmal stärker korrigierten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie irgendwann wieder auf neue Allzeithochs kletterten.
Der folgende Chart zeigt eine mögliche Variante der Buy-the-dip-Strategie. Gekauft wird immer, wenn der S&P 500 unter den EMA50 (dunkelblaue Linie) rutscht oder diesen (beinahe) berührt.
In einem Bullenmarkt ist "Buy the dip!" ganz offenkundig eine gewinnbringende Strategie. Aber irgendwann, wenn die Märkte wieder einen mehrjährigen Bärenmarkt beginnen, kann sich das auch ganz schnell in sein Gegenteil verkehren.
Besonders bei der Entwicklung eigener Trading- oder Anlagestrategien sollten Anleger das Truthahn-Paradox im Hinterkopf behalten. Nur weil etwas eine gewisse Zeit lang funktioniert hat, ist das kein Garant dafür, dass das auch dauerhaft der Fall sein wird. Das bedeutet nicht, dass eine Strategie wie "Buy the dip" deshalb von vorneherein eine schlechte Strategie ist. Aber Anleger sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass sich die Dinge (im Leben wie an den Märkten) verändern können und auch negative Entwicklungen, mit denen man nicht gerechnet hat und die nicht vorherzusehen waren, früher oder später eintreten werden.
Deshalb ist es sinnvoll, sich immer die Frage zu stellen, was passieren würde, wenn die eigene Strategie auf einmal völlig versagt. Ist dann das persönliche Risiko so hoch, dass man es nicht mehr tragen kann? Besonders beim Risiko- und Moneymanagement sollte man die Möglichkeit einer unerwarteten, stark negativen Entwicklung immer im Hinterkopf behalten und nur Risiken eingehen, mit denen man auch solche Szenarien halbwegs unbeschadet überstehen kann. Sonst läuft man Gefahr, selbst zum Truthahn zu werden.
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Ich nenne das "Konditionierung von Anlegern". Aber okay... ;)