Wissensartikel
09:10 Uhr, 21.08.2017

Anleihenanalyse mit Hilfe einer Risikomatrix

Wie findet man eigentlich eine gute Unternehmensanleihe? Die Frage ist bei näherer Betrachtung gar nicht so einfach zu beantworten. Es kommt wie so oft auf den Blickwinkel an.

Was zeichnet eine gute Unternehmensanleihe aus: eine hohe Rendite? Ein solides Unternehmen? Eine gute Bewertung durch eine Ratingagentur?

Wir sehen also, dass es durchaus verschiedene Perspektiven dazu geben kann.

Unternehmensanleihen bieten grundsätzlich eine höhere Rendite als Staatsanleihen oder andere gesicherte Termineinlagen (z.B. Festzinsen), da die Anleihen (und ihre Bewertung an der Börse) in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens stehen.

Einfach gesprochen: Unternehmensanleihen sind riskanter, weil einzelne Firmen pleite gehen können.

Dafür gibt’s dann höhere Zinsen als bei der Bank (deren Einlagen theoretisch in einem Sicherungsfonds geschützt sind) oder bei einer Staatsanleihe, z.B. der Bundesrepublik Deutschland.

Die Beschaffung von frischem Kapital am Anleihemarkt ist für Unternehmen eine gute Alternative zu Bankkrediten, um z.B. eine neue Produktionslinie oder eine Übernahme zu finanzieren.

Schon im 17.Jahrhundert gab die Ostindien-Kompanie Anleihen aus, um ihre Reisen vorzufinanzieren. Der Online-Händler Amazon besorgt sich derzeit mit Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren frisches Kapital in Höhe von 16 Milliarden Dollar, um die Supermarktkette „Whole Foods“ zu übernehmen. Da Amazon von der Börse als ein besonders sicherer Schuldner eingeschätzt wird, muss das Unternehmen gerade einmal einen Renditeaufschlag von 1,45 Prozent gegenüber US-Staatsanleihen zahlen.

Ein wirtschaftlich angeschlagenes Unternehmen muss daraus folgend für eine Refinanzierung am Kapitalmarkt tendenziell höhere Zinsen zahlen, als ein solventer Schuldner mit wachsenden Umsätzen und hohen Gewinnen.

Oder um es mit den Worten Mark Twains zu sagen: „Ein Bankier ist ein Mensch, der seinen Schirm verleiht, wenn die Sonne scheint, und ihn sofort zurückhaben will, wenn es zu regnen beginnt.“

Hier greifen also ganz fundamentale Marktgesetze.

Das ist wie bei der Autoversicherung. Desto teurer oder diebstahlgefährdeter mein Schlitten auf der Straße ist, desto höher die jährliche Risikoprämie, die der Versicherer von mir verlangt.

Für einen potenziellen Anleiheinvestor bedeutet das, dass eine hohe Rendite nicht unbedingt ein gutes Kriterium für eine gute Anleihe ist.

Auch hier kommt wieder meine Philosophie zum Tragen, dass die Rendite allein oft kein gutes Argument für oder gegen eine Anlageentscheidung ist, da zu viele Variablen ausgeblendet werden.

Mit der nachfolgenden „Risikomatrix“ für Unternehmensanleihen möchte ich allen interessierten Lesern Denkanstöße geben, wie man sich einen eigenen und professionellen Investmentprozess für Unternehmensanleihen entwickeln könnte.

Das Grundprinzip

Um eine umfassende Bewertung zu einem Wertpapier abgeben zu können, muss ich in meiner Analyse so viele wie mögliche Informationen verarbeiten.

Da eine einzige Variable keine ausreichende Information bietet oder scheitern kann, versuche ich möglichst viele Argumente in eine "Risikokette" zu bringen.

Wie ich auf dem Guidants-Desktop „Index-Manager“ zeige, kann man so eine Risikomatrix soweit treiben, dass am Ende ein selbständiger Investmentprozess mit klaren Handelsanweisungen entsteht.

Soweit will ich hier heute (noch) nicht gehen.

Ich analysiere mittels eines objektiven und subjektiven Bewertungsprozesses das Risiko-/Rendite-Profil einer Anleihe, schaue mir die fundamentale Situation des Unternehmens an und stelle das im Falle einer Fremdwährungsanleihe noch in den Kontext der aktuellen Situation am Währungsmarkt.

Am Ende kommt erstmal nur eine Gesamtbewertung heraus, die, wenn wir eine Vielzahl von Anleihen analysiert haben, einen besseren Entscheidungsprozess ermöglicht.

Lassen Sie uns anfangen:

1. Das Rating

Man mag von Ratingagenturen halten, was man will (und auf die Aussagekraft oder Prognosegüte ist definitiv kein Verlass), aber wenn ein Unternehmen ein Rating von einer großen Agentur hat, dann ist das auf jeden Fall ein Sicherheitsmerkmal für mich als Investor. Ratings kosten nämlich Geld, erfordern einen Mehraufwand für das Unternehmen und sorgen damit letztlich für etwas mehr Transparenz.

In meiner Risikomatrix sage ich, dass ich überhaupt erst Punkte vergebe, wenn ein Unternehmen den Status des „Investmentgrade“ hat, also ab BBB- (S&P), Baa3 (Moodys) und BBB- (Fitch). Ist das Rating im „Speculative Grade“, also unterhalb oder hat das Unternehmen gar kein Rating von einer Ratingagentur, dann gibt es 0 Punkte. Ansonsten aufsteigend 1-10 Punkte, je nach Rating.

2. Das Rendite-Profil

Grundsätzlich möchte ich natürlich mit einem Anleiheinvestment eine Rendite erzielen.

Daher habe ich in meiner Risikomatrix die Sache etwas auf den Kopf gestellt und vergebe eine höhere Punktzahl, wenn die Rendite der Anleihe hoch ist und/oder die Laufzeit kurz ist. Das läuft meiner eigentlichen Philosophie etwas entgegen, ist aber für den Auswahlprozess entscheidend. Denn letztlich sagt mir schon der Kupon und die am Markt gepreiste Rendite, ob das Profil der Anleihe eher konservativ oder offensiv ist. Das brauche ich also nicht doppelt einfließen lassen, bzw. bringt es keinen Mehrwert in der Aussage.

In meiner Risikomatrix sage ich also, dass eine kurze Laufzeit von z.B. unter einem Jahr ganze 10 Punkte verdient oder dass ein Kupon von 5 Prozent entsprechende 5 Punkte erhält.

In der Summe werden also kurzlaufende Anleihen mit einer höheren Rendite favorisiert.

3. Die fundamentale Situation

Natürlich möchte ich als Anleiheinvestor nicht in ein Unternehmen investieren, das z.B. kurz vor der Pleite steht. Da kann die Rendite noch so hoch sein.

Entsprechend komme ich an einem Blick in einen letzten Geschäftsbericht des Unternehmens nicht vorbei. Auf der Webseite eines Unternehmens findet man unter „Investor Relations“ alle Informationen, die man benötigt, um diese Felder auszufüllen. Für einen ersten Überblick reicht oft auch eine fundamentale Datenbank, z.B. der Aktienscreener von Guidants.

Hier folge ich der Logik, dass ein wirtschaftlich florierendes Unternehmen eine tendenziell höhere Punktzahl am Ende erreicht, als ein angeschlagenes oder ein sich im Umbruch befindendes Unternehmen. Die Auswahl der Faktoren ist rein subjektiv, man könnte hier noch eine Vielzahl anderer Kriterien einbauen und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

4. „Weiche“ Faktoren

Dieser Teil der Matrix ist für mich einer der wichtigsten Entscheidungsgeber, denn es ist mein Risikopuffer, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ändert.

Hier gehe ich davon aus, dass ein Marktführer-Unternehmen mit einem einfachen Alltagsprodukt (z.B. Zahnpasta) eine wirtschaftliche Flaute tendenziell besser übersteht, als ein Nischenunternehmen in einem komplexen Wettbewerbsumfeld (z.B. Technologiesektor).

Für das Ausfüllen dieser Felder gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, denn letztlich ist es eine subjektive Einschätzung durch mich als Analysten. In der Summe macht es aber keinen großen Unterschied, ob ich für z.B. „Weltbekannte Marke“ 5 oder 7 Punkte vergebe. Das ist der Vorteil wenn man mehrere Strategien und Indikatoren miteinander kombiniert, da meine Entscheidung nicht abhängig von einer einzigen Einschätzung ist (die manchmal richtig oder falsch sein kann).

5. Fremdwährungsanleihen

Besonders spannend ist der letzte Teil vor allem für alle, die in Fremdwährungsanleihen investieren möchten.

Hier folge ich einem simplen, aber effizienten Bewertungssystem für Währungspaare, wonach ich im historischen Chartvergleich günstige Auslandswährungen mit einer höheren Punktzahl belohne und teure Fremdwährungen „bestrafe“. Wie genau meine sehr einfache Währungsanalyse funktioniert, das habe ich im Artikel Eine einfache Euro-Dollar-Strategie für Aktienanleger beschrieben.

Zusammenfassung

Am Ende summerie ich alle Punkte und erhalte mit der Gesamtpunktzahl ein erstes Ergebnis, wie attraktiv ein Investment in dieser Unternehmensanleihe ist.

Je näher die Gesamtpunktzahl an der Summe von 150 Punkten (160 Punkten bei Fremdwährungsanleihen) ist, desto „besser“ wird die Unternehmensanleihe von meinem Modell eingeschätzt.

Ganz wichtig ist es an dieser Stelle, jetzt nicht einfach auf Basis der Gesamtpunktzahlen loszukaufen.

Denn wie wir eingangs schon besprochen haben, handelt es sich bei diesem Modell um noch kein abgerundetes Investmentmodell, sondern eher um eine quantifizierte Risikoeinschätzung.

Daher habe ich in der Überblicksseite aller von mir analysierten Unternehmen die Funktion eingebaut, die Ergebnisse nach den einzelnen Subfaktoren zu sortieren.

Habe ich später 50, 100 oder mehr Anleihen in meinem Modell eingepflegt, kann ich mir dann mit einem Blick bspw. die besten Fremdwährungsanleihen oder die Anleihen mit den besten Ratings anzeigen lassen.

Danach könnte man anfangen diese Aussagen miteinander zu kombinieren, z.B. mit einer Aufforderung: Zeige mir alle attraktiven Fremdwährungsanleihen, deren Unternehmen in Punkt 3 und Punkt 4 unter den Top 20 Prozent sind.

Am Ende bekomme ich einen Entscheidungsprozess, der nicht nur professionalisiert ist, sondern auch fernab von dem Investieren des „Glaubens und Orakelns“ steht.

Lassen Sie uns zum Schluss noch ein Beispiel machen.

Nehmen wir die Deutsche Bank Anleihe mit der WKN A2BN78, Laufzeit 2022, die in Norwegischen Kronen emittiert wurde. (NOK DB 22 (101,52 % 0,02 %))

1. Rating

Die Deutsche Bank hat ein Rating von gleich allen drei großen Ratingagenturen.

A- von S&P,
A3 von Moodys und
A von Fitch.

Ich kann hier in Summe bereits 13 von 40 möglichen Punkten vergeben.

2. Rendite

Die Anleihe läuft bis zum 22.September 2022. Mit etwas über 5 Jahren Laufzeit befindet sich die Anleihe im mittleren Bereich. Dafür gibt es 6 Punkte.

Die aktuelle Rendite, bei einem Einkauf der Anleihe liegt bei 2,18 Prozent p.a. Dafür gibt es 2 Punkte.

Gemeinsam mit dem Nominalwert und dem Kupon gibt es in Summe 15 von 40 Punkten für das Rendite-Profil der Anleihe.

3. Unternehmenssituation

Die Deutsche Bank ist ein Finanzinstitut. Die Berichte von Finanzdienstleistern zu lesen ist eine besondere Herausforderung, da hier ein spezielles Geschäftsmodell vorliegt. Da ich aber nur relativ einfache fundamentale Daten einbeziehe, ist das machbar.

In Summe gibt es nur 8 von möglichen 30 Punkten für die fundamentale Situation der Deutschen Bank. Vor allem die fehlende Gewinnsteigerung bringt keine Pluspunkte.

4. Faktoren

Bei meiner persönlichen Einschätzung der „Soft-Facts“ für die Deutsche Bank punktet das Unternehmen bei der Marke (8 von 10 Punkten). Ansonsten ist das Bankgeschäft ein relativ komplexes und landet daher in Summe nur bei 22 von 50 möglichen Gesamtpunkten.

5. Fremdwährung

Die Anleihe läuft in Norwegischen Kronen.

Das heißt für mich im Falle eines Investments, dass ich mein Vermögen von Euro in Norwegische Kronen tausche. Da die Norwegische Krone derzeit aber sehr günstig steht – gemessen am historischen Vergleich seit 1999, bekommt die Anleihe hier sogar 9 von 10 Punkten aus Chance-Risiko-Gesichtspunkten.

Zusammenfassung

Mit 67 von 160 Punkten landet die Deutsche Bank Anleihe im mittleren Bewertungsfeld.

Die schwache fundamentale Situation des Unternehmens, dazu die Komplexität des Geschäftsmodells und das entsprechend schwache Rendite-Profil kosten wertvolle Punkte. Positiv ist die überschaubare Laufzeit der Anleihe und besonders interessant ist die Währungskomponente.

Ohne diese Sondersituation wäre die Anleihe uninteressant. (1)

Bei Fragen bin ich gerne für Sie da!

Viele Grüße
Jakob Penndorf

PS: Da sich der Ausdruck der Einzelanalyse schlecht als Bild darstellen lässt und die Auflösung zu klein wird, können Sie unter diesem Link die Analyse als PDF ansehen.

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(1) Kein Investment Advice, keine Anlageempfehlung. In diesem Artikel genannte Wertpapiere dienen ausschließlich zu Ausbildungszwecken.

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Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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