Kommentar
08:13 Uhr, 12.10.2015

Zurück zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts

Es kracht an allen Ecken und Enden. Der Systemzusammenbruch wird salonfähig. Und was wird dagegen getan? – Nichts.

Die Regungslosigkeit der Welt die großen Probleme anzupacken, ist bemerkenswert. Man muss inzwischen schon fast von Verweigerung sprechen. Wäre es nicht zu tragisch, dann würde sich der Stoff für eine Satire eignen.

Nicht alle Probleme kann man schnell lösen. Einige sind wichtiger (Flüchtlinge, Syrien) als andere (VW). Man darf und muss Prioritäten setzen. Ein Problem, welches es zweifelsohne weit oben auf die Prioritätenliste schaffen würde, wurde bisher noch nicht einmal anerkannt. Es handelt sich dabei um die Gefahr, dass Teile der Welt zu einem Wirtschaftsmodell des 19. Jahrhunderts zurückkehren.

Grob vereinfacht bedeutet eine Rückkehr zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts die Ausbeutung des Faktors Arbeit. Viele Formen der Ausbeutung sind seit langem gesetzlich verboten. Das heißt jedoch nicht, dass keine Ausbeutung stattfinden kann. Es ist vielleicht nicht mehr möglich Menschen 60 Stunden zu einem Hungerlohn arbeiten zu lassen, doch dafür gibt es andere Varianten der Ausbeutung.

Persönlich sehe ich vor allem einen Trend extrem kritisch: die Überbewertung des Faktors Kapital. Dazu gehören zwei Dinge. Einerseits werden Produktivitätssteigerungen nicht mehr in Form von Reallohnsteigerungen an Arbeitnehmer weitergegeben (ausführlich habe ich das Thema vor kurzem beleuchtet: Andererseits wird durch Personalabbau, wo es nur geht, versucht noch mehr Gewinn aus Unternehmen herauszupressen, um es an Aktionäre ausschütten zu können.

Das Problem der stagnierenden Reallöhne lässt sich in einem Satz zusammenfassen: wer produktiver ist produziert mehr; ohne parallele Lohnsteigerungen gibt es jedoch immer weniger Menschen, die die zusätzliche Produktion abnehmen können. Das geht nicht ewig gut.

Das Reallohnproblem wird durch einen zweiten Faktor verschärft. Unternehmen betreiben „Value Extraction.“ Die meisten Unternehmen investieren kaum noch. Sie investieren gerade so viel wie nötig, um das Geschäft aufrechtzuerhalten. Ohne Investition und Risiko lässt sich Wachstum nicht realisieren. Um dennoch Aktionäre belohnen zu können, werden fast 100% des Gewinns ausgeschüttet. Da die Ausschüttungssumme nicht durch Wachstum erhöht werden kann, wird Personal abgebaut und Reallöhne bestenfalls stabil gehalten.

Grafik 1 zeigt die Ausschüttungen von US-Unternehmen an Aktionäre über Dividenden und Aktienrückkäufe. Demgegenüber steht ein Gewinn, der momentan noch etwas höher steht als die gesamte Ausschüttungssumme. Der Gesamtgewinn aller US-Unternehmen steht jedoch nicht für Ausschüttungen zur Verfügung. Einige der Unternehmen sind nicht an der Börse gehandelt. Vergleicht man nur börsengehandelte Unternehmen und deren Gewinn, dann wird ein Großteil des Gewinns ausgeschüttet. Im zweiten Quartal 2015 wurde seit langem wieder mehr an Aktionäre ausgeschüttet, als Unternehmen Cash erwirtschafteten. Es mussten Schulden aufgenommen werden, um die Ausschüttungen zu finanzieren.

Während Unternehmen in der Gesamtheit ihr erwirtschaftetes Cash an Aktionäre fast zu 100% ausschütten, gibt es einige Ausreißer, die besonders motiviert sind. Zu diesen Unternehmen gehört etwa Microsoft. Grafik 2 zeigt Microsoft und andere Unternehmen und stellt den Jahresgewinn den Ausschüttungen gegenüber. Unternehmen wie Target, Microsoft oder Qualcomm planen auf Jahressicht mehr auszuschütten als sie an Gewinn erwirtschaften.

Einige dieser Unternehmen haben hohe Bargeldreserven. Diese Überschussreserven werden teilweise für Ausschüttungen verwendet. Das ist bis zu einem gewissen Grad in Ordnung. Hat ein Unternehmen zu viel Kapital und Bargeld, dann kann es mitunter schwierig sein dieses Geld noch gewinnsteigernd einzusetzen. Es an Aktionäre auszuschütten macht Sinn. Problematisch ist an der Sache nun aber Folgendes: Während die Unternehmen ihre Aktionäre mit Geld überschütten werden massenweise Jobs abgebaut.

Moralisch richtig wäre es natürlich, Mitarbeiter nach Möglichkeit trotzdem zu halten, doch die Kürzungen sind nachvollziehbar und wirtschaftlich zu rechtfertigen. Was jedoch nicht zu rechtfertigen ist, ist die Tatsache, dass tausende Mitarbeiter auf die Straße gesetzt werden während Aktionäre weiter beschenkt werden.

Jeder sieht ein, dass Unternehmen, wenn sie Mitarbeiter schlichtweg nicht mehr brauchen oder ums Überleben kämpfen, Personal kürzen. Wie lässt sich aber rechtfertigen, dass trotz Verlusten weiter Ausschüttungen getätigt werden? Wie lässt sich rechtfertigen, dass Aktionäre trotz Verlusten des Unternehmens weiter Geld erhalten?
Mehr zum Thema folgt in Kürze.

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4 Kommentare

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  • AMIR
    AMIR

    Das was Sie hier beschreiben ist genau der Punkt wo alles zum Scheitern bringen könnte.

    19:13 Uhr, 12.10.2015
  • So wie der Adler fliegt
    So wie der Adler fliegt

    Analyse der Regierungspolitik durch den Präsidenten des Deutschen Arbeitgeberverbandes:

    CO2 reduzierbar – Migrantenchaos nicht - Eine Regierung als surrealer Alptraum

    Versetzen Sie sich kurz in folgendes Szenario: Sie sind als Passagier des Traumschiffs auf dem Ozean unterwegs. Plötzlich geschieht das Unglaubliche: Sie müssen fassungslos mit ansehen, wie der völlig durchgeknallte Kapitän auf hoher See und unter dem Jubel der ganzen Mannschaft Löcher in die Bordwand bohren lässt, damit sich das Wasser nicht so ausgeschlossen fühlt. Auf den angstvollen Hinweis von Ihnen und anderer Passagiere, dass das Schiff dann zwangsläufig sinke, bekommen Sie die Antwort, dass dies in keiner Weise erwiesen sei. Im Gegenteil sei sogar wissenschaftlich eindeutig geklärt, dass der Mensch Wasser dringend zum Leben brauche. Es wird Ihnen allen unterstellt, dass sie wohl fanatische Wasserhasser sind, die aus Dummheit wirren Verschwörungstheorien folgen.

    Während sich das Schiff stetig nach links neigt, werden die Restpassagiere angewiesen, nur ja nicht mit jenen "fanatischen Wasserhassern" am rechten Bordrand zu reden, die nur grundlos Panik erzeugen wollen. Auf Ihre Frage, wie das Sinken verhindert werden soll bekommen Sie die Antwort "es liegt nicht in unserer Macht, wieviel Wasser noch kommt". Zudem wird Ihnen vom Kapitän beschieden: "Den Plan kann ich nur geben, wenn ich einen habe." Aber wir schaffen das.

    Das Letzte, was Sie mitbekommen, ist die Nachricht über Bordfunk, der Kapitän sei nominiert für den Nobelpreis in Physik.

    Sie wachen schweißgebadet auf und stellen fest, der Alptraum ist real.

    http://www.deutscherarbeitgeberverband.de/aktuelle...

    14:19 Uhr, 12.10.2015
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    ... ein guter Artikel.

    Sie sprechen auch mal das Thema "Moral" an ... - sehr gut !!!

    12:00 Uhr, 12.10.2015
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Wieso ???

    Das verstehe ich nicht: wieso ist es nicht möglich, Menschen für einen Hungerlohn 60 Stunden in der Woche arbeiten zu lassen.

    Dieses Phänomen ist doch auch bei uns allgegenwärtig.

    Gehen Sie doch mal in Krankenhäuser ... - nur ein Beispiel ... - dann wissen Sie, was in Deutschland los ist ...

    11:53 Uhr, 12.10.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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