Kommentar
07:15 Uhr, 29.05.2025

Zölle, Sell in May und NVIDIA

An der Börse ist es leider so, dass immer wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Ein Thema wird hochgekocht, viel diskutiert, die Kurse reagieren nicht selten übertrieben, doch am Ende wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Gestern habe ich die aktuelle Schuldenproblematik der USA (erneut) etwas relativiert, am 9. Mai hatte ich darauf hingewiesen, dass Anleger die US-Zölle und die damit verbundenen Handelsabkommen relativieren sollten.
An der Börse ist es leider so, dass immer wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Ein Thema wird hochgekocht, viel diskutiert, die Kurse reagieren nicht selten übertrieben, doch am Ende wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Allerdings gilt häufig auch: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.

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Trump wollte angeblich den Druck erhöhen

US-Präsident Donald Trump hat am vergangenen Freitag mit Zöllen in Höhe von 50 % auf Importe aus der Europäischen Union (EU) gedroht. "Warum das jetzt?", lautete meine Frage dazu. Die Antwort darauf hatte Trump eigentlich mitgeliefert. Aus seiner Sicht verliefen die Verhandlungen nicht zufriedenstellend. Also erhöhte er mit der Drohung offensichtlich den Druck.

Dies wurde von US-Finanzminister Scott Bessent bestätigt, der die Zollandrohung konkret als Druckmittel bezeichnete. Trump halte die Verhandlungsangebote der EU für unzureichend, so Bessent. Er hoffe daher, dass die neue Zolldrohung "der EU einheizen" werde.

Das kann man öffentlich machen, und damit die Märkte wieder einmal durcheinanderwirbeln, muss man aber nicht. Jedenfalls scheint die Drohung gewirkt zu haben, denn prompt klingelte Trumps Telefon und Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, war am anderen Ende der Leitung – mit der Bitte, bis zum 9. Juli Zeit für Verhandlungen zu lassen. Trump stimmte zu und setzte auch die neuen Zölle bis zu diesem Termin aus, wie schon zuvor die sogenannten "reziproken" Zölle.

Tatsächlich hat Trump nur die benötigten Zölle erhöht

Jetzt könnte man meinen, es hätte sich dadurch letztlich quasi nichts geändert. Die Zölle bleiben bis zum 8. Juli wie sie zuletzt waren. Doch Trump hat den Preis und somit die Verhandlungsmasse erhöht. Waren zuvor ein Basiszoll von 10 %, der aktuell sogar noch erhoben wird, sowie die befristet ausgesetzten "reziproken" Zölle von 20 % im Spiel, so wurden diese nun auf 50 % nach oben geschraubt.

Diese Eskalation seitens des US-Präsidenten ergibt aus seiner Sicht Sinn, denn er hatte als sein Ziel erklärt, durch neue Zölle Staatseinnahmen zu generieren, um für die Unternehmen im eigenen Land die Steuern senken zu können.
Trump will eben nicht nur aus seiner Sicht unfaire Zölle und weitere Exportbarrieren für US-Unternehmen bekämpfen, sondern vielmehr ein anderes Staatseinnahmesystem etablieren. Die Zölle anderer Staaten werden daher von der Trump-Regierung lediglich als Vorwand angeführt, um die Erhöhung der eigenen Import-Zölle irgendwie zu rechtfertigen.

Und weil die Schulden der USA immer weiter steigen, braucht es nun eben auch möglichst hohe Zölle. Daher werden diese während laufender Verhandlungen einfach nach oben geschraubt, um dann am Ende zwar auf einem niedrigeren, aber möglichst hohen Niveau zu landen, bei dem die anderen froh sind, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, aber die USA möglichst "mehr" einnehmen.

Zölle bremsen Wachstum

Es bleibt daher zu befürchten, dass der Welthandel zukünftig geringer ausfällt als bislang. Zölle bremsen Wachstum. Und natürlich gab es angesichts der jüngsten Zolldrohungen auch prompt neue Analysen zu deren möglichen Auswirkungen:

So wurde angeführt, dass die USA im Jahr 2024 Waren aus der EU im Wert von knapp über 600 Milliarden USD importierten. Das sind knapp 40 % mehr als die USA aus China oder Kanada importieren. Schätzungen gehen längst davon aus, dass Einfuhrabgaben das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA grundsätzlich stärker belasten als dasjenige anderer Volkswirtschaften. Aktuelle Prognosen gehen nun konkret davon aus, dass Zölle von 50 % auf EU-Waren die USA bis zu 1,5 % des BIP kosten könnten. Das BIP der EU wäre dagegen lediglich halb so stark betroffen.

Das Münchener ifo Institut befürchtet im Falle von US-Zöllen in Höhe von 50 % einen massiven Einbruch der deutschen Exporttätigkeit. "Wenn es wirklich so kommt, werden viele Unternehmen aufhören, zu liefern. Von unseren Exporten geht gut ein Zehntel in die USA. Wenn die Hälfte davon wegfällt, dann wird ein Teil in andere Märkte fließen, aber der Export insgesamt könnte um 3 bis 4 % zurückgehen", sagte der ifo-Chef am Samstag gegenüber Medien. Sinkende Exporte um 4 % würden rund 60 Milliarden EURentsprechen.

Die deutsche Wirtschaft droht erneut zu schrumpfen

2024 betrug das BIP in Deutschland 4,3 Billionen EUR. 60 Milliarden davon wären ca. 1,4 %. Das wäre nicht unerheblich. Werden die Zölle auf den Basiszoll von 10 % oder vielleicht auch "nur" auf 20 % reduziert, erscheint die Sache schon wieder deutlich weniger dramatisch. Dennoch bleibt es dabei: Zölle bremsen das Wachstum. Und da der deutschen Wirtschaft für das laufende Jahr eine (erneute) Stagnation unterstellt wird, hätten zusätzliche US-Zölle das Potential für rezessive Tendenzen.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet nach einer groß angelegten Umfrage unter 23.000 Unternehmen aus allen Branchen sogar bereits mit einer erneut schrumpfenden Wirtschaft in diesem Jahr. Das BIP dürfte demnach um -0,3 % zurückgehen, nachdem es im vergangenen Jahr um -0,2 % gesunken war, teilte die DIHK mit. Damit würde Deutschland das dritte Jahr in Folge in rezessiven Tendenzen verharren, was es seit Gründung der Bundesrepublik noch nie gegeben hat.

Immerhin: Im Februar war der Verband mit einem erwarteten Rückgang von -0,5 % noch pessimistischer. Seitdem war die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal 2025 aber überraschend mit +0,4 % zum Vorquartal deutlich starker als erwartet gewachsen.

Experten führen dies jedoch auf Vorzieheffekte zurück, mit denen die von Trump bereits seit längerem absehbaren Zölle umgangen wurden.

Da diese Zölle aber wahrscheinlich im laufenden Jahr noch Probleme machen werden, rechnet die DIHK damit, dass die deutschen Exporte in diesem Jahr um -2,5 % (2024: -1,8 %) erneut schrumpfen werden. Das wiederum ist ein deutlich schlechterer Wert als noch im Februar angenommen.

DAX: Sinkende Gewinne, steigende Kurse

Vor diesem Hintergrund ist es schon äußerst erstaunlich, dass der DAX derzeit von einem Rekordhoch zum nächsten jagt. Zumal nicht nur das Wachstum der Wirtschaft rezessive Tendenzen aufweist, sondern Umsätze und Gewinne der Unternehmen auch bereits ganz konkret unter Druck stehen.

So zeigt eine Auswertung der Unternehmensberatung EY, dass der Gesamtumsatz der DAX-Konzerne zwar im ersten Quartal 2025 noch um 3,3 % gestiegen ist, zehn der 40 Unternehmen aber einen Umsatzrückgang verzeichneten. Und der gesamte Betriebsgewinn der DAX-Konzerne schrumpfte (!) den Angaben zufolge um 8 %. 16 Unternehmen wiesen den Angaben zufolge einen niedrigeren Gewinn aus als im Vorjahr.

Sell in May

Für die Anleger war jedoch auch das offensichtlich kein Grund, sich nachhaltig von ihren Aktien zu trennen. Vielleicht bringt aber die Saisonalität ein vorläufiges Ende der Rally. Denn mit Blick auf den folgenden Durchschnittsverlauf des DAX ist ab Anfang Juni zumindest wieder mit einem Rücksetzer zu rechnen.

Die aktuelle Rally passt derweil noch zum starken Anstieg, der sich Ende Mai/Anfang Juni häufig noch beobachten lasst.

Entscheidend für den weiteren Kursverlauf dürften jedenfalls auch die Geschäftszahlen von NVIDIA sein. Denn wie ich schon Mitte Mai schrieb, hängt auch das Wohl und Wehe des DAX derzeit von NVIDIA ab. „Korrigiert der KI-Chip-Gigant, korrigiert auch der Gesamtmarkt.“ Und zwar scheinbar nur dann. In der Ersttendenz legt die Aktie nachbörslich rund 5 % zu.

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