Kommentar
18:15 Uhr, 29.10.2019

Zinssenkungen retten die Wirtschaft nicht

Die US-Notenbank wird die Zinsen aller Voraussicht nach am Mittwoch senken. Viel nützen wird das aber nicht. Die Eurozone macht es vor.

Zugegeben, in den USA gibt es im Gegensatz zu Europa noch Zinsen. Der amerikanische Staat zahlt für 10-jährige Anleihen 0,6 Prozentpunkte mehr als etwa Griechenland und gleich 2,2 % mehr als Deutschland. Die Zinsen können in den USA also noch sinken. Im Vergleich zu früheren Zeiten ist der Spielraum allerdings deutlich geringer.

Und irgendwann nützen fallende Zinsen auch nichts mehr. Wie das funktioniert hat die Eurozone vorgemacht. Die EZB hat die Zinsen vor wenigen Wochen noch einmal um 10 Basispunkte gesenkt. Gleichzeitig sind die Marktzinsen, die Renditen von Anleihen, weiter gesunken. Für 10-jährige Bundesanleihen erhielt der Staat zeitweise fast ein Prozent.

Die Krone der Negativzinsen hat die Schweiz auf. Für 10-jährige Anleihen waren Anleger bereit 1,15 % zu bezahlen. Selbst die Rendite 50-jähriger Anleihen fiel unter die Marke von -0,5 %. Noch zu Jahresbeginn stand die Rendite bei 0,5 %. Die Zinsen sind überall in Europa kräftig gesunken.

Der Trend hält seit Mitte 2018 an. In der Wirtschaft ist davon wenig angekommen. Tendenziell folgen die Kreditzinsen dem Marktzins. So fielen die Zinsen, die Unternehmen und Haushalte für Kredite zahlen, mit der Rendite der Bundesanleihen (Grafik 1). Seit über zwei Jahren ist der Trend allerdings gebrochen.

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Unternehmen zahlen immer noch gut 1 %. Das ist der gleich Wert, der Anfang 2017 bezahlt werden musste oder Anfang 2018. Bei Haushalten verhält es sich nicht wesentlich anders. Die Zinsen sinken noch ganz leicht. Das liegt daran, dass Haushalte häufig längerfristige Kredite für den Hauskauf haben. Unternehmen finanzieren sich häufig kurzfristiger.


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Banken geben weiter fallende Zinsen einfach nicht weiter. Das hat einen Grund. Da Banken für Überschussreserven inzwischen Geld zahlen, sinken die Margen. Um die Zinsmarge stabil zu halten, können fallende Zinsen nicht mehr weitergegeben werden. Die Zinsmargen sind seit knapp drei Jahren mehr oder minder stabil (Grafik 2).

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Obwohl die Zinsen weiter gefallen sind, bleibt die Marge stabil. Das geht nur, wenn Kreditzinsen nicht weiter fallen. Höhere bzw. stabile Kreditzinsen müssen die Negativzinsen, die Banken bezahlen, kompensieren. So kann es sogar sein, dass die Zinsen für Kredite steigen, obwohl die Zentralbank die Zinsen senkt.

Soweit ist es in den USA noch nicht. Die Zinsen für Verbraucher und Unternehmen können aber nur noch begrenzt fallen. In Europa ist der Boden inzwischen schon erreicht. Über Zinsen kann die Notenbank die Wirtschaft nicht mehr ankurbeln. Diese ist auf sich allein gestellt. Daher wird der jetzige Abschwung auch nicht so schnell vorübergehen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu 2008.

In den USA und auch Deutschland war die Finanzkrise kurz und schmerzvoll. Dieses Mal wird es nicht ganz so schmerzhaft. Dafür wird sich der Abschwung in die Länge ziehen.


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17 Kommentare

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  • Hinterfragend
    Hinterfragend

    Warum sollte die FED die Zinsen bei einem angeblichen Quartalswachstum von ca. 1,5 Prozent annualisiert senken? Das ist doch ein tolles reales Wachstum?!

    Und natürlich retten Zinssenkungen die Wirtschaft im Giralgeldsystem nicht, vor allem dann nicht, wenn sie nicht durch fiskal- und wirtschaftspolitische Massnahmen flankiert sind.

    Die Herz-Lungen-Maschine läuft noch bis der Stecker automatisch gezogen wird, obwohl noch weiter Strom = Geld durch die Notenbanken produziert wird.

    Eigentlich kann man sich jeden Kommentar ersparen, weil die Lemminge = Finanzindustrie plus Dienstleister + Medien immer noch unbeirrt Richtung Abgrund laufen.

    Von diesen Lemmingen hat mir noch kein einziger logisch schlüssig erklären können, wie der Totalabsturz verhindert werden kann. Und warum? Weil diese Lemminge keinen blassen Schimmer davon haben...Sie beten und hoffen, dass sich das System irgendwie am Laufen halten lässt und nach ihnen die Sintflut...oder von irgendwo wird ein Lichtlein herkommen.

    Dabei profitieren diese Lemminge von Systemträgheit großer komplexer Systeme und von der ökonomischen Dummheit der Menschen.

    Die Realwirtschaft hat bereits komplette Schlagseite und deckt nicht ansatzweise mehr die 3 gigantischen Blasen mit ihren spekulativen Phantasiewerten.

    Zum Glück tendiert auch das extrem komplexe System der Weltwirtschaft mittel- bis langfristig automatisch zum Gleichgewicht.

    Alleine die Tatsache, dass das weltweite reale Wirtschaftswachstum nicht mehr durch mengenmäßiges Wachstum der realen Güter, sondern fast ausschliesslich durch teilweise extrem fiktiv bewertete Finanz- und Rechtsberatungsdienstleistungen verursacht wird, zeigt die vollständig Krankheit des Systems.

    Ursächlich verantwortlich ist und bleibt für diese gigantischen Fehlanreize- und Fehlallokationen niemand anderes als die Finanzindustrie und ihre geldpolitischen Erfüllungsgehilfen.

    12:25 Uhr, 30.10.2019
  • netzadler
    netzadler

    TANSTAAFL, stupid

    09:46 Uhr, 30.10.2019
  • Schimanski
    Schimanski

    Einnahmen aus verfügbaren Einkommen nicht horten, sondern direkt wieder verwenden und einkaufen was das Zeug hält! Wenn jemand an diesem Prozess nicht teilnimmt, werden seine Ersparnisse Schritt für Schritt enteignet :-)

    08:33 Uhr, 30.10.2019
  • wolp
    wolp

    Guter Artikel, vielen Dank. Merci

    21:13 Uhr, 29.10.2019
  • molybdenum
    molybdenum

    "Banken geben weiter fallende Zinsen einfach nicht weiter. Das hat einen Grund. Da Banken für Überschussreserven inzwischen Geld zahlen, sinken die Margen. Um die Zinsmarge stabil zu halten, können fallende Zinsen nicht mehr weitergegeben werden. Die Zinsmargen sind seit knapp drei Jahren mehr oder minder stabil (Grafik 2)."

    Deswegen hat Draghi im September verkündet, dass Banken nun 6x den jeweiligen Mindestreservesatz bei der EZB ab November ohne Strafzins parken dürfen. Damit ist da schonmal ein Großteil des Drucks weg. Man zahlt zumindest mal "keine" Strafgebühren mehr. Was den Bankentreasurern schonmal eine massive Erleichterung beschert.

    https://www.finanz-szene.de/ba...

    21:08 Uhr, 29.10.2019
  • Nordlicht1975
    Nordlicht1975

    herr Schmale, Sie schreiben, die Zinsmarge wäre stabil, und posten einen Chart, der für die Haushalte am linken Ende ca 2,7 und am rechten Ende ca. 1,8 Prozent Marge zeigt. Da ist, wenn die Zahlen so stimmen ein Drittel weg. Weiterhin ignorieren Sie den Bereich der öffentlichen Kreditnehmer. Und schließlich findet die Margenentwixklung auf der Einlagenseite bei Ihnen überhaupt nicht statt. Bei wachsendem Einlagenüberhang und tonnenweise Sichteinlagen ist das Thema viel komplexer, als Sie es hier darstellen.

    20:13 Uhr, 29.10.2019
  • Arktishecht
    Arktishecht

    Es wird keine Deflation geben.......es kommt schlimmer.

    20:05 Uhr, 29.10.2019
  • 2 Antworten anzeigen
  • Floh11
    Floh11

    Da hilft nur noch der Euroschein Helikopter.

    19:18 Uhr, 29.10.2019
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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