Kommentar
07:57 Uhr, 02.09.2015

Zinserhöhung in den USA? Jetzt erst recht!

Analysten waren sich einig: wegen der Turbulenzen an den Märkten kommt die Zinserhöhung erst einmal nicht. Dann kam die Notenbankerkonferenz in Jackson Hole. Jetzt sieht die Sache schon wieder ganz anders aus – Crash hin oder her.

Die Turbulenzen an den Märkten weltweit haben sofort einen Reflex ausgelöst. Rufe nach einer klaren Aussage, dass die Zinsen in den USA erst einmal nicht angehoben werden, wurden sofort laut. Einige gingen sogar noch einen Schritt weiter und forderten gleich eine neue Runde der Lockerung (QE 4!). Daraus wird vorläufig nichts.

Die US Notenbanker sind sich bestimmt nicht einig, soviel kann man sagen, doch eine Zinserhöhung ist deswegen nicht vom Tisch. Etwa die Hälfte der stimmberechtigten Notenbanker des Offenmarktausschusses kann sich eine Zinserhöhung bereits im September vorstellen. Die andere Hälfte ist sich unsicher und würde erst noch einmal abwarten. Wer sich Mitte September durchsetzt ist offen. Die Zinserhöhung ist wegen der Turbulenzen jedoch nicht vom Tisch. An der grundsätzlichen Einstellung der Notenbanker hat sich wenig geändert.

Der Markt sah das ganz anders. Grafik 1 zeigt die Entwicklung des S&P 500 sowie die Rendite für einjährige US Anleihen und 3-monatige Schatzwechsel. Die Schatzwechsel rentierten Anfang Juli noch bei 0,01 bis 0,04%. Nach ermunternden Konjunktursignalen stieg die Rendite auf 0,12% an. Ein solcher Anstieg macht nur Sinn, wenn eine Zinserhöhung erwartet wird.

Gleiches gilt für die Papiere mit einjähriger Laufzeit. Kauft ein Investor diese Papiere zu einer Rendite von 0,2% wie noch vor drei Monaten möglich und werden die Zinsen dann auf Sicht eines Jahres auf 0,75% angehoben, dann muss man nicht lange rechnen, um zu erkennen, dass ein solcher Deal keinen Sinn macht. Der Investor würde für ein Jahr 0,2% erhalten. Steigt nun die Fed Funds Rate, dann steigt auch die Rendite für kurzfristige Anleihen.

Anleihen und Geldmarktpapiere haben selten ein geringeres Renditelevel als die Leitzinsen hoch sind. Wäre dem nicht so, dann gäbe es für Anleger keinen Anreiz, dem Staat Geld zu leihen. Das Risiko dem Staat Geld zu leihen ist gering, aber vorhanden. Es muss einen Risikoaufschlag geben. Bleibt dieser Risikoaufschlag bei 0,2% für einjährige Papiere, dann ist es für einen Anleger attraktiver, erst einmal keine Anleihe für eine Rendite von 0,2% zu kaufen.

Ein Beispiel: ein Anleger hat Barmittel und möchte diese auf Sicht eines Jahres in Anleihen halten. Er hat die Möglichkeit heute eine Anleihe zu 0,2% zu erwerben oder in einem halben Jahr zu 0,45%. Was tut der Anleger? Er wartet ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr lang 0,45% zu bekommen ist besser als ein Jahr 0,2% zu erhalten.

Das Beispiel hat gewisse Schwachstellen. Es geht davon aus, dass der Anleger genau weiß, wann die Zinsen angehoben werden. Das weiß er natürlich nicht. Das ändert jedoch nichts daran, dass die zugrundeliegende Logik Gültigkeit hat.
Gehen Anleger von einer Zinserhöhung aus kaufen sie nicht zu jeder beliebig niedrigen Rendite Anleihen. Wird eine Zinserhöhung erwartet, muss die Rendite vor der Zinsanpassung zu steigen beginnen, ansonsten kauft niemand mehr die Papiere. Genau das konnte man in den vergangenen Wochen beobachten. Die Renditen stiegen und sicherlich nicht zu knapp.

Der Anstieg hat sich schnell relativiert. Die Schatzwechsel fielen von 0,12% Rendite auf 0,02% zurück. Die einjährigen Papiere fielen von 0,42% auf 0,33%. Anleger änderten also ihre Einstellung plötzlich, was den Zeitpunkt der Zinserhöhung anbelangt.

Nach den Äußerungen der Notenbanker können Anleger nicht von einem endlosen Verzug ausgehen. Das haben sie schnell begriffen. Die Renditen stiegen wieder deutlich an. Eine Zinserhöhung im September ist alles andere als vom Tisch und das ist auch gut so.

Die Notenbank hat schon viel zu lange gewartet. Wartet sie noch länger, dann ist es vielleicht endgültig zu spät. In der Vergangenheit wurden Zinsen angehoben, wenn sich die Konjunktur belebte. Grafik 2 zeigt einen längeren Vergleich der Fed Funds Rate, des Wirtschaftswachstums und des S&P 500. Dabei galt lange Zeit eine ganz einfache Systematik. Die Zinsen folgten mit 2 bis 3 Quartalen Verspätung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Aktienmarkt versuchte das Wirtschaftswachstum vorwegzunehmen.

Seit den 90er Jahren gilt diese Systematik immer weniger. Als Alan Greenspan Ende der 80er Jahre das Ruder bei der US Notenbank übernahm, änderten sich viele Dinge. Seine Zinspolitik entkoppelte sich immer mehr vom Wirtschaftswachstum. Ganz besonders deutlich wurde das nach dem Crash im Jahr 2000 und dem Abschwung zwischen 1999 und 2001. Die Zinsen wurden erst ein Jahr später angehoben als bisher üblich. Unter anderem die große Geduld der Fed in den Jahren bis 2006 befeuerte neuerliche Spekulation – diesmal nicht auf dem Aktienmarkt, sondern auf dem Immobilienmarkt.

Die Nachfolger von Alan Greenspan sind bisher nicht besser. Seit 2009 besteht zwischen Wachstum und Zinsen überhaupt kein Zusammenhang mehr. Das kann sich noch bitter rächen, denn viele Vermögenswerte sind inzwischen stark aufgeblasen. Sie sind hoch bewertet, vielleicht sogar schon zu hoch. Hebt die Fed die Zinsen jetzt nicht an, dann kann man mit Sicherheit sagen: wenn die Werte heute noch nicht zu hoch sind, sind sie es definitiv morgen.

Die Notenbank lässt sich dennoch viel Zeit. Oftmals hat sie davon gesprochen, große Geduld zu haben. Geduld gilt als Tugend. Wenn Geduld jedoch zur absoluten Regungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit verkommt, dann ist es keine Tugend mehr, sondern Ignoranz.

Die Notenbank hat es nicht leicht, das muss man zugeben . Ohne ihr Eingreifen 2008 und 2009 gäbe es die Welt nicht mehr so wie wir sie kennen. Da darf man sich auch nichts vormachen. Was dann folgte, war jedoch ein übertriebener Aktionismus. Bei der Notenbank und in der Politik herrschte so große Angst, dass die kleinste Unsicherheit an den Märkten mit einer Liquiditätsflut weggeschwemmt wurde.

Der dahinterstehende Gedankengang ist dabei nachvollziehbar. Sind die Marktteilnehmer und Wirtschaftsakteure verunsichert, dann investieren sie nicht. Sie bauen keine Jobs auf und beginnen ein Sparprogramm nach dem nächsten. Die Fed musste dem Markt und der Wirtschaft ein Sicherheitsnetz bieten, andernfalls wäre die Wirtschaft nicht mehr angesprungen.

Das Ganze hatte zur Folge, dass Anleger und Unternehmen inzwischen soweit konditioniert sind, dass sie ohne Sicherheitsnetz nicht mehr investieren wollen. Sie sind extrem risikoavers geworden. Die Fed hat die Volatilität aus den Märkten und der Wirtschaft genommen. Daran haben sich alle gewöhnt und haben vergessen, was Risiko überhaupt ist und das Risiko zum ganz normalen Wirtschaftszyklus gehört.

Jetzt ist die Volatilität auch ohne Niedrigzinsentzug an die Märkte zurückgekehrt. Das ist eigentlich die Chance schlechthin, noch ein klein bisschen mehr Unsicherheit zu stiften. Eine Zinserhöhung um 0,25% ist im Vergleich zu einer möglichen Rezession in China so unbedeutend, dass es darauf auch nicht mehr ankommt.

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12 Kommentare

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  • Austrochris
    Austrochris

    Man sollte das ganze nüchtern betrachten . So viel Wirbel wegen einer Zinserhoehung ist schon ein Wahnsinn . Zumal wir von einer Zinserhoehung reden und von keiner Zinswende .

    Die Fed mag die Zinsen erhoehen , vielleicht sogar gegen 1 % . Das ist dann aber schon das Ende der Fahnenstange . Darüber wird es für die Fed schwierig ja sogar unmöglich die Zinsen weiter zu erhoehen. Die Welt erstickt immer mehr in Schulden , somit ist die Gefahr von hoeheren Zinsen für die nächsten Jahre gebannt , wenn nicht sogar Jahrzehnte .

    Die Sparer werden weiter massiv enteignet, die Gehälter, Pensionen usw .

    Gute Aktien und Edelmetalle sind da wohl eine ganz gute Alternative

    15:57 Uhr, 02.09. 2015
  • sewiet13
    sewiet13

    Tja, wenn man auf etwas von "wo anders" draufschaut, dann schaut's ganz anders aus! Ist es dadurch etwas anderes: NEIN!

    Jackson Hole zeigt nur genau, wo es lang geht. Dorthin, wo ein paar Ausgewählte meinen, durch ein Minenfeld kommen zu können.

    Die Verunsicherung weicht immer stärker der Gewissheit, dass es knallen wird.

    13:18 Uhr, 02.09. 2015
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Es zeichnet sich das gleiche Szenario ab, wie wir es schon mehrfach gesehen haben: Der IWF warnt jetzt wieder medienwirksam vor einer Zinswende in den USA. Das war im Juni so und auch im März.

    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/09...

    11:29 Uhr, 02.09. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    starker Artikel wie immer von Ihnen!

    09:59 Uhr, 02.09. 2015
  • Ragazzo
    Ragazzo

    Wann hatten wir denn zuletzt eine so hohe Volatilität? Ich glaube Kurs vor dem Crash in den 30igern, oder?

    08:59 Uhr, 02.09. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Ragazzo
    Ragazzo

    Ich gratuliere zu diesem Durchblick, den sonst niemand mehr hat.

    08:55 Uhr, 02.09. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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