Kommentar
16:47 Uhr, 15.09.2014

Womit wirklich keiner rechnet

Die Société Générale bringt jedes Quartal eine Sammlung von Ereignissen heraus, die sie als Schwarze Schwäne sieht. SG redet aber nicht nur über unerwartete, negative Ereignisse, sondern auch über Weiße Schwäne, also positive Überraschungen.

Die französische Bank benutzt das Konzept des Schwarzen Schwans, um ihre wirtschaftlichen Szenarien schöner zu verpacken. Jede Bank gibt regelmäßig Szenarien zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung heraus. Einige präsentieren eine hundertseitige Power Point Präsentation, andere, wie sie SG, präsentieren eine Grafik mit Schwänen. Der Inhalt hat leider kaum etwas mit der Idee des Schwarzen Schwans zu tun. Immerhin, die Idee ist gut.
Zur Verteidigung der SG muss man sagen, dass es auch wirklich schwer ist, Schwarze Schwäne zu definieren. Man kann sie nicht vorhersagen. Das widerspricht natürlich nicht der Möglichkeit, Szenarien zu entwerfen, mit denen wirklich kaum jemand rechnet. Weil die SG in ihren Szenarien ziemlich oberflächlich bleibt, habe ich mir ein paar Gedanken zum Thema gemacht. Bevor ich allerdings einige Szenarien vorstelle, will ich doch kurz auf die der SG eingehen.

Der größte Schwarze Schwan für die SG ist eine harte Landung Chinas, sprich ein Wirtschaftsabschwung in China, der Schockwellen aussenden könnte. Dazu gehören die Unsummen an Kredit, die teils so gut wie nicht gedeckt sind. Die harte Landung Chinas hätte weitreichende Konsequenzen. Von einem Schwarzen Schwan kann man aber wirklich nicht reden. Seit mehr als 2 Jahren wird darüber gerätselt, ob Chinas Wirtschaft einen unschönen Abschwung erleben wird oder nicht. Unerwartet käme hier also gar nichts. Per Definition ist ein Schwarzer Schwan aber etwas Unerwartetes.

Als zweiter Schwan wird Stagnation und niedrige Inflation in Europa angeführt. Dazu muss man nicht viel sagen. Es ist kein Szenario, es ist Realität.
Das dritte Szenario muss man ernst nehmen. Es geht um einen schnellen Anstieg der Zinsen in den USA. Die Fed hat sich sehr angestrengt, eine zu heftige Reaktion der Märkte zu vermeiden. Dennoch ist die Fed nicht allmächtig. Käme es zu einem raschen Anstieg der Zinsen auf dem Geld- und Anleihemarkt, dann würde das vor allem Schwellenländer arg in Bedrängnis bringen. Aber auch hier muss man sagen: ein solcher Verlauf der Dinge wird seit 15 Monaten diskutiert.
Als vierten Punkt führt die Société Générale eine weitere Eskalation des Ukrainekonflikts an. Das wäre zweifellos katastrophal. Ob es nun wirklich noch jemanden vollkommen aus dem Nichts überraschen würde, sei dahingestellt.

Société Générale beschäftigt sich auch mit den guten Seiten. Zu den weißen Schwänen gehört eine stärker als erwartete Erholung der USA. Das ist schon fast ein langweiliges Szenario. Viel interessanter ist die Möglichkeit einer Fiskalunion in Europa. Hierhin sieht SG das größte, positive Überraschungspotential und traut Europa ein 1,5%-iges Mehrwachstum pro Jahr zu. Als dritten Weißen Schwan sieht die Société Générale den Einstieg Chinas in die geldpolitische Lockerung und damit die Lockerung des vierten, großen Wirtschaftsraums nach den USA, Europa und Japan.

Den letzten Weißen Schwan der Société Générale finde ich persönlich interessant. Eine groß angelegte Lockerung erwartet kaum jemand. Die Regierung wird die Wirtschaft nicht abstürzen lassen – so viel ist klar. Sie reagiert momentan aber zwischen Rosskur und weiter wie bisher. Eine echte Lockerung wie in Japan wäre schon eine Sensation.

Meine Ideen für positive und negative Überraschungen sehen ganz anders aus. Aus aktuellem Anlass muss Schottland mit auf die Agenda. Zerfällt Großbritannien, dann gibt das Separatisten überall in Europa Aufwind. Würden aus 28 EU Ländern plötzlich 28 EU Länder und 7 neue Staaten, dann würde das die Stabilität massiv gefährden. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass die Stabilität dann gar nicht mehr zu gewährleisten ist. Europa würde in eine tiefe wirtschaftliche Depression fallen. Die EZB kann dann auch nicht mehr helfen. Würde Europa zersplittern, dann kämen wir um einen Reset (Währungskollaps, Kollaps der Staaten) nicht umher.

Nummer 2 auf meiner Liste sind Unruhen bzw. Aufstände in den USA. Der Aufschwung täuscht über die Ungleichverteilung von Vermögen hinweg und auch darüber, dass die Gesellschaft noch immer zwischen Weißen und Schwarzen gespalten ist. Man stelle sich nur vor, ein Vorfall wie in Ferguson (Polizei erschießt vermutlich unbewaffneten Schwarzen) würde sich innerhalb kurzer Zeit mehrfach im Land wiederholen. In Ferguson kam es zu Auseinandersetzungen. Würde das im ganzen Land passieren, stehen die USA lange Zeit still.

Für eine gute Nummer 3 konnte ich mich nicht so recht entscheiden. Es wurde eine 10%-ige Vermögensabgabe in der Eurozone auf ausnahmslos alle Vermögen, um die Schulden abzubauen. Momentan fühlen sich alle pudelwohl. Eine solche Abgabe, würde sie z.B. am nächsten Freitag Abend verkündet werden, dürfte die meisten auf dem falschen Fuß erwischen.

Auf der positiven Seite sehe ich nicht nur ein Ende des Ukrainekonfliktes, sondern gleich eine großangelegte Versöhnung der zwei Blöcke. Ganz nach der Idee der EU (um Krieg in Europa zu vermeiden) gehen die EU und Russland ein sehr weites und umfassendes, wirtschaftliches Bündnis ein (mindestens Freihandelszone).
Nummer 2 wäre für mich eine endgültige Stabilisierung bzw. das Ende der diversen Konflikte im Nahen und Fernen Osten. Dazu gehört die Lösung des Gaza Konfliktes, ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien, eine Stabilisierung des Irak und Afghanistans. Man kann es auch so zusammenfassen: endlich ein Ende der Gewalt! Das würde der ganzen Region und letztlich auch der Welt einen ordentlichen Schub nach vorne geben.

Nummer 3 ist vielleicht ein wenig einfallslos. Ein Absinken des Ölpreises unter 50 USD wäre trotzdem eine positive Überraschung und von den wenigsten erwartet. Öl ist und bleibt das Hauptimportgut vieler Länder. Würde plötzlich 40% weniger bezahlt werden müssen, dann steigert das das zur Verfügung stehende Einkommen erheblich. Die Menschen hätten sehr viel mehr Geld für anderes zur Verfügung. Wachstum dürfte deutlich anziehen.

Clemens Schmale

2 Kommentare

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    ​Die Vermögensabgabe. Hm. Thomas Piketty würde wohl heimlich die Sektkorken knallen lassen ;-)

    23:54 Uhr, 15.09.2014
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    ​sehr interessanter und aufschlussreicher Artikel... leider wird der "echte" schwarze Schwan im Verborgenen bleiben, denn sonst hätte er eine andere Farbe...

    19:53 Uhr, 15.09.2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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