Wo geht die Reise hin?
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In der ersten Jahreshälfte 2023 hat man mit Assetklassen viel verdient, von denen man es gar nicht erwartet hätte. Hinzu kam das überraschend starke Wirtschaftswachstum in den USA, wo man doch eigentlich in Europa und China mit einer guten Konjunktur gerechnet hatte. Aber auch mit einer falschen Positionierung konnte man Glück haben; schließlich waren die Geldmarktrenditen so hoch wie seit über 25 Jahren nicht mehr.
Auf meiner jüngsten Asienreise habe ich mit vielen Investoren gesprochen – und den Eindruck gewonnen, dass sich an der Portfolioallokation kurzfristig nicht viel ändert. Die wichtigsten Themen waren weiterhin Zinsmaximum, Kerninflation und Rezessionswahrscheinlichkeit. Es mag kein Konsens sein und klingt vielleicht auch etwas seltsam, aber es würde mich nicht wundern, wenn man mit High Yield und Wachstumsaktien weiterhin gut verdient, vor allem, wenn die Konjunkturdaten so uneinheitlich bleiben.
Im Osten: In der zweiten Junihälfte war ich auf Geschäftsreise in Australien und Asien und traf mich mit Investoren aus der Region. Alles in allem schienen sie meinen Ausblick zu teilen. Man erwartet, oder schließt zumindest nicht aus, dass die Industrieländer nach einem Jahr straffer Geldpolitik doch noch in die Rezession fallen. Das zeigt sich auch in der Portfolioallokation. Ich kann mich an keinen Gesprächspartner erinnern, der in Aktien übergewichtet ist. Anleihen gelten als interessanter, zumal der Zinsanstieg bald enden dürfte. Credits schätzte man vorsichtig optimistisch ein. Die derzeitigen Ertragserwartungen scheinen institutionellen Investoren zu reichen; vorbei sind die Zeiten, als man etwa mit Private Credit höheren Erträgen hinterherjagen musste. Am Schluss meiner Reise war ich mir sicher, dass einstweilen nicht mit großen Veränderungen der Asset-Allokation zu rechnen ist – jedenfalls so lange nicht, wie man am Geldmarkt ordentlich verdienen kann und Credits wie Aktien nicht besonders günstig scheinen.
Überraschende Aktien: Viel sprachen wir über die Aktienmarktperformance. Die meisten Investoren schienen über die hohen Erträge überrascht, zumal man doch eigentlich mit einer Rezession rechnete oder sie zumindest nicht ausschloss. Natürlich weiß man, dass die gute US-Performance viel mit Technologieaktien und dem KI-Hype zu tun hat. Die Investoren scheinen hier aufgeschlossen. Wer kein Technologieexperte ist, kennt sicher nicht alle Chancen und Risiken der neuen Technologie – aber schließt auch nicht aus, dass KI-Firmen, ihre Zulieferer und KI-Nutzer durch Produktivitäts- und Rentabilitätsgewinne überdurchschnittlich wachsen können. Allerdings wollen auch nur wenige Investoren um jeden Preis auf den KI-Hype setzen, wo doch fast alle anderen Makroindikatoren kurzfristig negativ sind.
Australische Anleihen: Meine Reise begann in Australien. Wenn Sie mein Alter kennen, wundert es Sie vielleicht, dass es mein erster Besuch war. Gerade fanden die Ashes statt, der traditionsreiche Cricket-Wettkampf zwischen Australien und England. Als England den ersten Test verlor, haben mich die Australier ein wenig gefoppt. Briten kommt in Australien vieles bekannt vor: die Sprache natürlich, aber auch die Begeisterung für Cricket und das gemeinsame Staatsoberhaupt. Aber auch in der Wirtschaft ist manches ähnlich. Die Reserve Bank of Australia (RBA) hat ihren Leitzins seit Mai 2022 angehoben, von nahe null auf 4,10 Prozent. Am Markt rechnet man mit weiteren Zinserhöhungen auf etwa 4,5% bis 5% zum Jahresende. Die Verbraucherpreisinflation ist im Dezember 2022 auf 8,4 Prozent z.Vj. gestiegen. Danach ging sie wieder zurück, auf 5,6 Prozent im Mai, und laut Konsenserwartungen wird sie 2024 in Richtung 3,0% fallen. Dann wäre sie ähnlich wie in den USA und Europa. Für australische Anleihen ist das gut. Die zehnjährige Benchmarkanleihe rentiert bei 4,12 Prozent, nur knapp unter dem Hoch vom Juni 2022. Die Inflation fällt, und die Renditen sind so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Australische Pensions- und Versicherungsfonds können sich freuen.
Die große Unbekannte bleiben aber Wohnimmobilien. Der Hypothekenmarkt ist in Australien ähnlich organisiert wie in Großbritannien; meist sind die Hypothekenzinsen auf zwei bis drei Jahre festgeschrieben. Wie in Großbritannien stehen also auch in Australien viele Refinanzierungen an, und das zu deutlich höheren Zinsen. Die Haushalte werden zur Kasse gebeten, und der Immobilienmarkt wird darunter leiden. Seit dem Höchststand Anfang 2022 sind die Hauspreise um etwa zehn bis 15 Prozent gefallen. Ein weiterer Rückgang ist nicht auszuschließen, da die Finanzierung schwieriger wird. Aber wird das eine Rezession auslösen? Dem Marktkonsens zufolge wird das BIP im nächsten Jahr nur um 0,7 Prozent wachsen, sodass eine leichte Rezession keineswegs ausgeschlossen ist – zumal auch die Rohstoffpreise dieses Jahr gefallen sind und das dem Bergbausektor schadet. Über China schreibe ich später noch mehr. Jetzt nur so viel: Wenn sich die chinesische Wirtschaft stabilisiert, hilft das sicherlich auch Australien, ebenso wie eine weltweite Lockerung der Geldpolitik im neuen Jahr. Australien ist nur ein kleiner Markt, aber australische Unternehmensanleihen bieten zurzeit über sechs Prozent Rendite. Wie anderswo auch sind Anleihen in Australien kurzfristig interessant.
China: China war die letzte Station meiner Reise. In Peking und Shanghai ging es vor allem darum, ob ausländische Investoren mehr in China anlegen oder ob die weltpolitische Lage sie davon abhält. In China ist das ein schwieriges Thema, aber wahrscheinlich ist die Weltlage schon ein wichtiger Grund für die geringe Begeisterung. Der andere Grund ist die schwache Erholung nach dem Ende von Null-COVID. Die Wirtschaft hat enttäuscht, mit Folgen für chinesische Aktien.
Schwache Erholung: Im Westen hat man die Erholung Chinas überschätzt. In meinen Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass der Lockdown dem Geschäftsklima nachhaltig geschadet hat. Anders als in vielen westlichen Ländern dauerten die Lockdowns hier länger, und es fehlten die großzügigen Staatshilfen. Haushalts- und Unternehmensfinanzen gerieten stark unter Druck. Außerdem macht der Immobiliensektor weiter Probleme, und die Unternehmen zögern mit Investitionen – denn es ist unklar, was der Staat tun wird. Viele hoffen auf Staatshilfen, doch bislang wurde nur die Geldpolitik etwas gelockert. Hinzu kommen große Strukturprobleme – Stichworte Demografie, Verschuldung und Arbeitsmarkt. Nichts davon dürfte dazu beitragen, dass ausländische Investoren China schon bald wieder positiver sehen. Vielleicht bringt die Politbürositzung im Juli neue Maßnahmen zur Förderung von Investitionen und Wachstum. Langfristig interessant wird aber sein, wie China die Energiewende meistert und auf die Beschränkungen amerikanischer Technologieexporte reagiert. Ich rechne hier durchaus mit Chancen für chinesische Aktien. Kurzfristig bleiben aber der unsichere Konjunkturausblick und die ebenso unsichere Weltlage wichtige Hindernisse.
Wenig Vertrauen: In meinen Gesprächen mit chinesischen Investoren ging es oft um ähnliche Themen: Fallen die USA in die Rezession? Wie entwickeln sich die Zinsen? Wird die Inflation strukturell steigen? Vertrauen ist zurzeit ein knappes Gut. Angesichts der Stimmung ist kaum damit zu rechnen, dass sich die gute Performance etwa von Leveraged Loans, High Yield, der NASDAQ und japanischen Aktien in der ersten Jahreshälfte wiederholen wird. Vielleicht geht sie aber auch weiter, und vielleicht werden erneut viele Anleger nicht daran partizipieren. Das gilt vor allem, wenn der Konjunktur eine weiche Landung gelingt und nächstes Jahr mit Zinssenkungen gerechnet wird.
Mehr Einkommen: Anleger dürften noch eine Zeit lang vorsichtig bleiben. Die Marktstimmung spricht für eine lange Duration am Anleihenmarkt und eine defensivere Positionierung bei Credits und Aktien. Im Juni ist der amerikanische ISM-Index für das Verarbeitende Gewerbe auf 46 gefallen, den niedrigsten Wert seit Mai 2020. Damals befand sich die Weltwirtschaft im Lockdown, und das niedrige Niveau spricht auch jetzt für eine Rezession. Aber die amerikanische Arbeitslosenquote bleibt niedrig; in den letzten 18 Monaten betrug sie um 3,5%, und in der ersten Jahreshälfte ist die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft jeden Monat um durchschnittlich etwa 260.000 gestiegen. Mehr Beschäftigung bedeutet mehr Einkommen. Mehr Klarheit über die US-Wirtschaft hätten wir, wenn entweder die Arbeitslosenquote zu steigen begänne – was für einen generellen Abschwung spräche und niedrigere Zinsen im neuen Jahr wahrscheinlicher machte – oder sich die Konjunkturindikatoren wieder verbesserten. Wir alle haben die Daten genau im Blick. Und deshalb werden Investoren ihre sicheren Geldmarkterträge nicht so leicht aufgeben.