Kommentar
14:40 Uhr, 17.04.2023

Wird die Aktionärsdemokratie bald noch weiter untergraben?

Aktionäre sollten sich langsam an die Vorstellung gewöhnen, dass immer mehr ihrer Rechte beschnitten werden. Die virtuelle Hauptversammlung ist eine Version davon.

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Auch nach Corona setzen zahlreiche Firmen weiterhin auf dieses Format und weisen darauf hin, dass es sich bewährt habe. Dass Aktionäre aber in virtueller Form kaum ein Diskussionsformat vorfinden, ist kritisch zu sehen. Die Auseinandersetzung über Themen in einem Raum fehlt. Eine virtuelle Hauptversammlung kann eine Präsenzveranstaltung heutzutage nicht vollständig ersetzen.

Der nächste Schritt wird noch heftiger

Doch lassen wir das Thema mit der Hauptversammlung einmal beiseite. In der letzten Woche wurde der Referentenentwurf für das Zukunftsfinanzierungsgesetz vorgestellt.

Hier heißt es: „Unser Land benötigt Investitionen in nahezu beispiellosem Umfang. Nur so kann unter den sich verändernden Bedingungen unser Wohlstand gesichert und können gleichzeitig Gesellschaft und Wirtschaft zügig auf Digitalisierung und Klimaschutz eingestellt werden. Es
ist erforderlich, die Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts zu stärken und die Attraktivität des deutschen Finanzstandorts als bedeutenden Teil eines starken Finanzplatzes Europa zu erhöhen. Insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als Treiber von Innovation soll der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden.“

Auf Seite 55 des Referentenentwurfes folgt dann der eigentliche Hammer: Um Unternehmen den Gang an die Börse schmackhafter zu machen, sollen künftig wieder Mehrfachstimmrechte möglich sein! Seit 1998 sind diese unzulässig gewesen, im Sinne von Kontrolle und Transparenz. „One share, one vote“, mit diesem Motto sollten alle Aktionäre mehr oder weniger gleichbehandelt werden. Das Aktiengesetz gab im Gegenzug die Möglichkeit vor, Vorzugsaktien zu emittieren. Auch andere Gesellschaftsformen wie die KGaA waren möglich.

Jetzt also soll es bald wieder zu einer ähnlichen Situation kommen, wie wir sie beispielsweise in den USA vorfinden. Bei Meta hält Mark Zuckerberg nur 28 Prozent der Aktien, hat aber auf der Hauptversammlung 57 Prozent der Stimmrechte inne. Geht es nach den Gesetzgebern, könnte eine Aktie in der Hand des Gründers bald wieder 10- oder 20-fache Stimmrechte gegenüber einer herkömmlichen Aktie beinhalten.

Unternehmen pro Mehrfachstimmrechte

Die Spekulation des Gesetzgebers, dass es bei einem „Comeback“ von Mehrfachstimmrechten wieder zu einem IPO-Boom kommt, ist dabei durchaus kritisch zu betrachten. Nach der Abschaffung 1998 hatten wir 1999 und 2000 eine Rekordzahl an IPOs in Deutschland gesehen.

Natürlich sind die Unternehmer und Anteilseigner der Firmen in der Mehrheit für eine solche Reform offen. Sie können mehr Aktien verkaufen, müssen selbst weniger Geld im eigenen Unternehmen binden und haben trotzdem das Sagen. Vorschreiben kann ihnen dann niemand etwas. Die Kontrollfunktion der Aktionäre wird teilweise außer Kraft gesetzt.

Es ist auf jeden Fall angedacht, den rechtlichen Rahmen auch auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Der deutsche Gesetzesentwurf enthält hier einige Abweichungen im Vergleich zur Version der EU. Demnach soll laut dem Zukunftsfinanzierungsgesetz eine Abstimmung nach einer gewissen zeitlichen Frist möglich sein, ob Mehrstimmrechtsaktien weiterhin gerechtfertigt sind oder nicht. Die EU setzt hingegen auf gesonderte Marktsegmente, um diese Unternehmen vom "Rest" zu trennen.

Kapitalerhöhungen sollen erleichtert werden

Künftig soll auch der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von 10 Prozent auf 20 Prozent des Grundkapitals angehoben werden. Freie Aktionäre könnten dann noch leichter durch die Hintertür enteignet werden! Eine Kapitalerhöhung ohne Bezugsrecht verwässert die Altaktionäre bzw. deren Anteil am Unternehmen. Der Weg, im Zuge einer Anfechtung vorzugehen, soll gestoppt werden und stattdessen ein Spruchverfahren über die Rechtmäßigkeit entscheiden.

Eine weitere Maßnahme ist auch die Verbriefung von Aktien in elektronischer Form über eine Blockchain. Hier gibt es aber noch zahlreiche offene Fragen.

Fazit: Deutsche Aktionäre haben es derzeit nicht leicht. Erst die virtuelle Hauptversammlung, jetzt folgen eventuell in absehbarer Zeit massive weitere Einschnitte in die Aktionärsrechte, um den Finanzplatz Deutschland zu „stärken“. Stärken wir den Finanzplatz aber wirklich, indem wir die Geldgeber bzw. Aktionäre schlechter stellen? Eine schwierige Fragestellung, bei der ich derzeit noch zu einem klaren Nein tendiere.

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Über den Experten

Sascha Gebhard
Sascha Gebhard
Redakteur

Sascha Gebhard hat nach einer klassischen Ausbildung zum Bankkaufmann im Laufe der Jahre bei verschiedenen Banken gearbeitet. Er absolvierte neben dem Beruf die Studiengänge zum Diplom-Betriebswirt (VWA) sowie den Finanz- und Investment Ökonom (VWA). Von 2008 bis 2016 war er als Eigenhändler auf eigene Rechnung an den Finanzmärkten aktiv. Weiterhin publizierte er für verschiedene Finanzverlage und schrieb zahlreiche Fachartikel rund um das Thema Börse. Die in den jeweiligen Diensten geführten Realgeld- sowie Musterdepots konnte stets überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften. Sein Steckenpferd ist seit jeher der deutsche Aktienmarkt, wo er bestens vernetzt ist, und eine Vielzahl an Unternehmen bereits seit mehr als 15 Jahren aktiv verfolgt. Seit 2022 ist Sascha Gebhard fester Bestandteil des Redaktionsteams von stock3. Im Premium-Service Trademate betreut er das Depot "Deutsche Aktien".

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