Kommentar
14:15 Uhr, 31.05.2016

Wie lange schafft es der Markt dieses Risiko zu ignorieren?

Gemessen an den vielen Unsicherheiten und Risiken schlägt sich der Markt gar nicht so schlecht. Doch gilt das noch, wenn der größte Risikofaktor von allen zurückkehrt?

Risiken gibt es zuhauf. Ein Mangel ist wirklich weit und breit nicht erkennbar, egal, wo auf der Welt. In den USA sind Unternehmen hochverschuldet, die Gewinne sind rückläufig und die Bargeldreserven werden immer kleiner. Ein Hauch von Abschwung und Zinserhöhung kann reichen, um ein Feuerwerk an Insolvenzen auszulösen.

In Europa weiß niemand, ob Großbritannien Ende Juni noch Teil der Europäischen Union ist. Auch die Eurokrise kann jederzeit zurückkehren. Es ist ja nicht so, dass Griechenland, Portugal und Italien über den Berg wären.

In Japan wirkt die Geldpolitik kaum noch. Das Land droht erneut in die Deflation abzugleiten. Anstehende Wahlen könnten den derzeitigen Ministerpräsidenten zum Rücktritt bewegen. Was danach kommt, kann niemand erahnen.

Die Ölexporteure des Nahen Ostens sind immer noch planlos und häufen Defizite an, dass einem schwindelig wird. Politisch und wirtschaftlich tickt da eine Zeitbombe. Ölpreise um 40 oder 50 Dollar reichen nicht, um sie zu entschärfen.

Der größte aller Risikofaktoren bleibt jedoch China. China ist in den vergangenen Wochen stark in den Hintergrund gedrängt worden. Man beschäftigte sich in dieser Zeit vielmehr mit der Rohstoffrallye und dem politischen Drama in Brasilien. Wie die Eurokrise, die jahrelang immer wieder zurückkehrte und dem Markt das Leben schwermachte, dürfte auch China als Thema immer wieder zurückkommen.

China steht kurz davor als Thema wieder zurückzukehren. Zu verdanken haben wir das der Währung. Nach der Schockabwertung im vergangenen Sommer und einer erneuten, drastischen Abwertung zu Jahreswechsel wurde es zuletzt still um den Yuan. Das dürfte vor allem daran liegen, dass der Yuan seit Mitte Januar nicht mehr abwertet – zumindest gegenüber dem Dollar nicht mehr. Eine leichte Relativierung dieses Trends sehen nun aber bereits.

Der Yuan wertete zwischen Mitte Januar und Anfang April auf. Das fiel zufällig mit einer Phase zusammen, in der der Dollar schwächer wurde. Wird der Dollar schwächer und will China den Yuan gegenüber seinem Währungskorb stabil halten, dann muss der Yuan gegenüber dem Dollar aufwerten. Genau das geschah bis in den April hinein.

Der Aufwertung folgte eine mehrwöchige Seitwärtsbewegung. Das hatte vor drei Wochen ein abruptes Ende. Seitdem läuft ein Rebound des Dollars gegenüber den meisten Währungen weltweit. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass China nun den Yuan abwerten muss. Genau das geschieht derzeit.

Bisher ist diese Bewegung fast unbemerkt geblieben. Die Frage ist: Wie lange noch? Als der Yuan ab November 2015 wieder abgewertet wurde dauerte es sechs Wochen bis die US-Indizes auf den Trend reagierten. Im Sommer lag die zeitliche Verzögerung nur bei wenigen Tagen. Als der Yuan Mitte Januar wieder aufzuwerten begann drehten auch die Indizes wenig später wieder nach oben. Nun wertet der Yuan seit vier Wochen ab. Wann folgen nun die Märkte?

Möglicherweise folgt der Markt kurz vor dem nächsten Zinsentscheid in den USA Mitte Juni. Die Vorlaufzeit wäre dann lang genug gewesen. Je nervöser der Markt wird, desto unwahrscheinlicher ist die Zinsanhebung am Ende. Kommt der Zinsschritt nicht, dann wird der Dollar wieder schwächer und der Yuan wieder stärker. Der Markt kann sich in der Folge wieder beruhigen.

Wer Zweifel an der Systematik hat, der kann einen Blick auf die Grafik werfen. Seit Anfang 2015 sind Dax, S&P 500 und USD/CNY hoch korreliert. Fällt USD/CNY (in der Grafik invertiert dargestellt, um den Zusammenhang besser zu verdeutlichen) beginnt mit einer kleinen, zeitlichen Verzögerung auch der Markt zu fallen.

Der Dax dient den US-Indizes als Vorlaufindikator. Da Deutschland besonders stark vom Export abhängig ist reagieren die Kurse sehr sensitiv auf das, was in China passiert. Das liegt nicht nur an einem gewissen Wettbewerb der Länder, sondern auch daran, dass China ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Unternehmen ist.

Wie es der Zufall so will korrigiert der Dax seitdem der Yuan wieder abwertet. Die US-Indizes sind davon noch recht unbeeindruckt und konnten den Dax immerhin für einige Tage mit nach oben ziehen. Wertet der Dollar jedoch in den kommenden Tagen und Wochen weiter auf, wird sich das ändern. Zumindest muss man davon ausgehen, wenn der Markt seine Einstellung gegenüber China nicht vollkommen revidiert hat. Im Normalfall braucht der Markt etwas länger, um sich an Krisenherde zu gewöhnen. Das war bei der Eurokrise ebenso wie bei der US-Zinswende. Ob es der Markt diesmal schafft, sich davon zu lösen?

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10 Kommentare

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  • tschak
    tschak

    Die Chineses haben (denke ich) rechtzeitig eingesehen, dass der Switch von Infrastructure-only auf den consumer - mittelfristig, Langfristig sowieso - JETZT die beste Strategie ist. Sehr gut gemacht, wird man wohl in 15 Jahren sagen!!

    16:28 Uhr, 31.05.2016
  • plungeboy
    plungeboy

    Am Rande sei mal noch bemerkt: das Hochziehen weiterer Ghost-Towns kann auf Dauer keine Lösung für das nachlassende Wirtschaftswachstum sein. Wenn diese Möglichkeit des Kaschierens erst einmal ausgereizt ist, dann fällt das Kartenhaus zusammen.

    16:11 Uhr, 31.05.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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