Kommentar
09:42 Uhr, 12.10.2016

Wie es zum aktuellen Inflationsziel der EZB kam

"Nahe, aber unter 2 Prozent" lautet die Definition von Preisstabilität im Sinne der Europäischen Zentralbank (bezogen auf den HVPI - harmonisierter Verbraucherpreisindex)

Das war aber nicht immer so. Zu Beginn der Währungsunion hieß das Ziel schlicht: "Unter 2 Prozent"

Alles zwischen 0 % und 2 % hätte dieses Ziel erfüllt. Streng genommen liegt Preisstabilität nur bei 0 % vor. Wegen schwer erfassbarer Qualitätsverbesserungen bei Produkten geht man aber davon aus, dass die Inflation prinzipiell eher überzeichnet wird.

Erst 2003 wurde das heutige Ziel formuliert. Während man überall die Begründung lesen kann, dass damit generell die Nähe zur Deflation gemieden werden soll, muss man für die exakten Hintergründe schon genauer nachforschen.

Offiziell war der Grund vor allem der in Aussicht stehende Beitritt mittel-und osteuropäischer Länder in die Eurozone. Da diese einen ökonomischen Aufholprozess vor sich hatten, der zu höherem Wachstum und damit auch höherer Inflation in eben diesen Ländern führen würde, die EZB aber gleichzeitig eine einheitliche Geldpolitik für die gesamte Eurozone machen muss, ergab sich ein Problem.

Liegt die Inflation in den Beitrittsländern wegen hohem Wachstum deutlich über 2 %, dann muss diese in den alten Eurostaaten deutlich darunter liegen, um im Schnitt die 2 % nicht zu überschreiten. Würde man auch Inflationsraten von leicht über 0 % für die gesamte Eurozone tolerieren, hieße das schließlich sogar Deflation in einzelnen Staaten - letztlich erzwungen durch eine aus dieser Sicht zu restriktiven Geldpolitik.

Durch die härtere Formulierung des Inflationsziels - unter 2 %, aber nahe darunter - wurde dieses Problem aus Sicht der EZB entschärft. Sie gab sich selbst das Mandat, die Inflationsrate immer an der Oberkante der Range zu halten, die ursprünglich vorgesehen war (0-2 %)

Was nun spannend ist: Der Inflationsdruck der neuen Staaten kam nicht in dem Ausmaße wie man es erwartet hatte. Und im Rahmen der Finanzkrise hat sich das Bild sogar umgedreht.

Denn die Krisenstaaten waren gezwungen, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Dies geht in der Währungsunion zwingend mit niedrigen Inflationsraten oder sogar Deflation einher (ausgelöst durch niedrige Löhne). (In Spanien war das auch gut zu beobachten, inzwischen wächst die Wirtschaft dort wieder). Das außerhalb einer Währungsunion zur Verfügung stehende Instrument einer Währungsabwertung steht nun mal keinem Einzelstaat der Eurozone zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund, anderer langfristiger Überlegungen (weltweit nachlassendes Wachstum) und angesichts der nachgewiesenen Unfähigkeit der EZB, ihr selbst gestecktes Ziel zu erreichen, wird sich in Zukunft immer häufiger die Frage stellen, ob eine Rückkehr zur alten Definition nicht zeitgemäßer wäre. Unter zwei Prozent - aber nicht zwingend nahe zwei Prozent. Dies würde schlicht auch der Realität Rechnung tragen, vor der man nicht Jahrzehnte die Augen verschließen sollte.

Von der aktuellen EZB-Führung kann man einen solchen Schritt freilich nicht erwarten. Erst 2019, wenn Draghi abtritt, bestünde dafür theoretisch eine Chance. Bezeichnenderweise hat Draghi erst kürzlich just dieses Jahr als jenes genannt, in dem das Inflationsziel erstmals wieder erreicht werden soll.

Allerdings darf man auch nicht unterschlagen, dass die internationale Diskussion gespalten ist. Nicht wenige Ökonomen fordern schon seit Jahren, die Inflationsziele sogar weiter anzuheben. Dies würde eine noch aggressivere Geldpolitik rechtfertigen.

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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