Fundamentale Nachricht
13:36 Uhr, 12.06.2020

Wenn sich die Türen öffnen, kehren die Menschen zurück

Sonal Desai, CIO von Franklin Templeton Fixed Income, untersucht einige der wichtigsten Indikatoren für die Wirtschaftstätigkeit im Nachgang der Pandemie. Sie präsentiert Daten zu den Veränderungen im Verhalten der US-Verbraucher, die darauf hindeuten, dass die Menschen gern zu ihrem normalen Leben zurückkehren würden.

Was mir am meisten auf der Seele und auf dem Herzen liegt, ist der Schmerz, unter dem unser Land in diesen Tagen leidet, und der Schmerz, den unsere afroamerikanischen Gemeinschaften, Kollegen und Freunde erleben und schon viel zu lange erleben mussten. Es ist für uns alle an der Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken, was wir tun können, um unser Land auf einen besseren Weg zu bringen – angefangen bei allem, was wir direkt kontrollieren können, an unserem Arbeitsplatz und in unserem täglichen Leben.

Die von COVID-19 ausgelöste Wirtschaftskrise, die wahrscheinlich eine der schlimmsten der letzten 100 Jahre sein wird, hat die schwächsten Teile der Gesellschaft unverhältnismäßig stark getroffen. Sie hat die Ungleichheit und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die auch den jüngsten Protesten und Unruhen zugrunde liegen, noch verschärft. Wir nähern uns nun einem entscheidenden möglichen Wendepunkt in der Wirtschaftskrise. In etwas mehr als drei Wochen geht eines der schlimmsten Quartale in der US-Wirtschaftsgeschichte zu Ende, und wir werden bis Ende Juli abwarten müssen, bis wir vom US Bureau of Economic Analysis (BEA) eine erste Schätzung zum Ausmaß der Kontraktion erhalten. Wir gehen derzeit davon aus, dass sie sogar noch schlimmer sein könnte als unsere bisherige Schätzung eines Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts um fast 30 % im zweiten Quartal.

Teile der US-Wirtschaft haben jedoch begonnen, sich wieder zu öffnen. Die verschiedenen Bundesstaaten bewegen sich in sehr unterschiedlichem Tempo: Georgia hat bereits Ende April die Wiedereröffnung von Friseursalons, Fitnessstudios, Restaurants und Theatern erlaubt – mit räumlicher Distanzierung und anderen Sicherheitsvorkehrungen. Texas hat Anfang Mai ähnliche Schritte unternommen. Andere Bundesstaaten wie New York, New Jersey und Teile Kaliforniens sind noch immer größtenteils abgeriegelt und folgen einem sehr viel langsameren Zeitplan.

Die Erlaubnis zur Wiedereröffnung von Unternehmen ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit. Die entscheidende Frage war von Anfang an, ob die Verbraucher sich nach einer Lockerung der Beschränkungen in Restaurants, Einkaufszentren und Büros wieder wohl fühlen würden. Dies wird bestimmen, wie schnell (und in einigen Fällen: ob) Unternehmen wieder zur Rentabilität zurückfinden können und wie schnell Arbeitnehmer wieder eingestellt werden. Jegliche Prognose der bevorstehenden wirtschaftlichen Erholung beruht auf Annahmen darüber, ob und inwieweit sich das Verhalten der Menschen ändern wird: Werden wir uns wieder wohl fühlen, in einem voll ausgebuchten Flugzeug zu fliegen? Werden wir bereit sein, in einem Restaurant zu essen, das nur halb voll ist? Dreiviertel voll?

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich der Aufschwung entwickelt, hat Franklin Templeton Fixed Income einen High-Frequency Activity Tracker entwickelt, der Daten von Google Mobility sowie von Homebase verwendet. Diese Daten beginnen allmählich, eine Reihe interessanter Erkenntnisse zu liefern:

  • Die Menschen kaufen mehr ein – und zwar vor Ort.
    • Die Zeit, die Menschen in Lebensmittelgeschäften und Apotheken einkaufen, hat in den letzten vier Wochen deutlich zugenommen, und in Staaten wie Ohio, Washington, Texas, Georgia und Illinois ist sie wieder (oder fast wieder) auf ein normales Niveau zurückgekehrt. Sogar in Staaten wie Pennsylvania, New York und New Jersey, wo sie immer noch etwa 10 % unter dem Ausgangswert liegt, war die Verbesserung in den letzten vier Wochen erheblich. (In einigen Bundesstaaten gab es im Vergleich zum Niveau vor zwei Wochen einen gewissen Rückschritt, der allerdings vielleicht auf die jüngste Welle sozialer Unruhen zurückzuführen ist.)
    • In den Bereichen Einzelhandel und Freizeit lässt sich eine sehr viel größere Differenzierung zwischen den einzelnen Bundesstaaten ausmachen. In New York und New Jersey liegt das Aktivitätsniveau immer noch 40 % unter dem Normalwert – eine Verbesserung gegenüber dem vor vier Wochen festgestellten Niveau von -50 %, aber immer noch extrem schwach. In Ohio, Texas und Georgia hingegen sind wir inzwischen wieder zu ca. 10-15 % unter dem normalen Niveau zurückgekehrt.
  • Das Verkehrswesen erwacht wieder zum Leben. Die Nutzung der Nahverkehrssysteme hat sich gegenüber den Tiefstständen, die während der Hochphase der landesweiten Abriegelungen zu beobachten waren, deutlich verbessert, wobei Staaten wie Ohio, Texas und Georgia eine markante Besserung erkennen lassen. Der Rückgang in den letzten beiden Wochen (mit Ausnahme von Texas und Florida) war wahrscheinlich auf die Auswirkungen des langen Wochenendes am Memorial Day Ende Mai zurückzuführen und nicht unbedingt durch COVID bedingt. New York und New Jersey liegen trotz einiger Verbesserungen immer noch mehr als 50 % unter der Norm, und auch Washington, Kalifornien und Florida hinken hinterher.

  • Die Menschen kehren allmählich an ihre Arbeitsplätze zurück. Hier ist die Verbesserung geringer, und die meisten Bundesstaaten liegen immer noch fast 35-45 % unter dem Ausgangswert, wobei New York und New Jersey immer noch um mehr als 45 % zurückliegen. Die USA insgesamt liegen etwa 40 % unter dem Ausgangswert, eine Verbesserung um 10 Prozentpunkte gegenüber den Tiefstständen. Wie bei den Nachverkehrssystemen war der Rückgang in den letzten beiden Wochen jedoch wahrscheinlich auf das lange Wochenende Ende Mai zurückzuführen.
  • Im Restaurant zu essen ist wieder in. Vor vier Wochen waren die meisten Restaurants im gesamten Land gesperrt. Bei den Reservierungen über das OpenTable-System stand im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 100 % zu Buche. Einen Lichtblick bot Texas, und selbst dort gingen die Reservierungszahlen im Vergleich zum Vorjahr um 85 % zurück. Die jüngsten Daten (Stand: 1. Juni) zeigen ein sehr viel ermutigenderes Bild: In Oklahoma, Texas, Alabama, South Carolina, Arizona, Kansas und Indiana sind die Reservierungen „nur“ 55-65 % niedriger als vor einem Jahr; in Kentucky, Utah, Colorado, Oregon, Tennessee und New Mexico liegen sie 70-80 % niedriger; in Rhode Island sind sie nur um 10 % zurückgegangen; New York, das Gebiet um Washington DC, Michigan und Illinois liegen immer noch fast 100 % bzw. Kalifornien 90 % unter dem Vorjahreswert.

  • Stundenweise Beschäftigte beginnen, vom Trend zu profitieren. Daten von Homebase zeigen, dass sich die Beschäftigung von Arbeitnehmern auf Stundenbasis in Florida und Ohio und zu einem gewissen Grad auch in Texas und Georgia deutlich verbessert hat. Weniger ermutigend ist die Tatsache, dass in den meisten Staaten (mit Ausnahme von Ohio) in den letzten Wochen keine oder nur geringe Verbesserungen zu verzeichnen waren.

Alles in allem halte ich diese Daten für ermutigend. Wir können natürlich nicht davon ausgehen, dass sie den Beginn eines neuen Trends darstellen. Die Lage wird sich weiterentwickeln. Viel wird davon abhängen, ob der Trend bei den Infektionen weiter nachlässt oder ob neue Infektionsherde zutage treten. Außerdem ist entscheidend, welche Beschränkungen die Bundesstaaten den verschiedenen Geschäftsaktivitäten auferlegen und in welchem Tempo diese Restriktionen wieder gelockert werden. All diese Faktoren werden sich unmittelbar auf die Logistik der Unternehmen auswirken, aber auch dazu beitragen, die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen zu prägen. Wir müssen die Situation genau beobachten und ein breiteres Spektrum von Daten nutzen.

Vorerst scheinen diese Daten jedoch zu signalisieren, dass die Menschen gewillt sind, zu einem normalen Leben zurückzukehren. Sie erwarten, dass angemessene Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, aber wenn sie das Gefühl haben, dass vernünftige Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, werden sie sich nicht weiter aus Angst verstecken. Dies könnte dazu beitragen, dass die Erholung während des Sommers und des Frühherbstes, noch vor dem befürchteten neuerlichen Aufflackern der Infektionen im Oktober bzw. November, an dringend benötigter Dynamik gewinnt. In der Zwischenzeit werden die politischen Entscheidungsträger einen gewissen Spielraum haben, um die Ergebnisse der verschiedenen Strategien in den einzelnen US-Bundesstaaten und Ländern zu vergleichen und festzustellen, ob einem möglichen erneuten Anstieg der Infektionen mit gezielteren Maßnahmen begegnet werden kann und sollte.

Die ermutigende Botschaft in den bisherigen Daten lautet: Wenn sich die Türen öffnen, kehren die Menschen zurück.

Wenn wir den Mut und die Kraft aufbringen, die grundlegenden Ursachen der gegenwärtigen Unruhen in Angriff zu nehmen, kann der anschließende Heilungsprozess immer noch von einer robusten Erholung der Wirtschaftstätigkeit und der Lebensbedingungen begleitet und unterstützt werden.

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