Kommentar
08:00 Uhr, 29.07.2015

Wenn QE (Gelddrucken) nicht mehr ausreicht

Die Zinswende ist in großen Teilen der Welt noch Zukunftsmusik. In den USA werden die Zinsen in diesem Jahr steigen, in Europa frühestens Ende 2016 und in Japan vielleicht nie mehr. Was bleibt den Notenbanken dann aber als gelpolitisches Instrument gegen nächsten Abschwung?

Notenbanker haben viele Sorgen, aber wahrscheinlich nur eine Angst. Es ist die Angst vor dem nächsten Abschwung. Die Zinsen sind in weiten Teilen der Welt nahe null. Kommt der nächste Abschwung, bevor die Zinsen wieder ein nennenswertes Niveau erreicht haben (mindestens 2%), dann fehlen die Instrumente, um die Zinsen zu senken.

Notenbanken sind mit dem ZLB (Zero Lower Bound) konfrontiert. Der ZLB ist die Kurzbeschreibung der Zinsuntergrenze. Die nominalen Zinsen können dem allgemeinen Konsens nach nicht wesentlich unter 0% sinken. In Teilen Europas wird mit der ZLB gerade experimentiert. In der Schweiz und in Dänemark liegt der aktuelle Satz bei -0,75%, in Schweden bei -0,35%. In Japan liegt der Diskontsatz ebenso wie in der Eurozone nur knapp über 0%. In einigen Ländern, in denen man es gar nicht erwarten würde, sind die Diskontsätze ebenfalls sehr niedrig. Dazu zählen Panama und der Oman.
Der Vollständigkeit halber muss man festhalten, dass Schwellen- oder Entwicklungsländer, die einen so niedrigen Zinssatz haben, einen festen Wechselkurs zum USD pflegen. Aus diesem Grund ist ein außergewöhnlich niedriger Zinssatz möglich.

Die kurzfristigen Zinsen sind weltweit sehr niedrig. Die einzigen Ausnahmen finden sich in Schwellen- und Entwicklungsländern, die unter der Dollaraufwertung leiden. Die lokalen Währungen verlieren gegenüber dem USD stark, was zu hoher Inflation führt. Die dortigen Notenbanken versuchen die Inflation mit hohen Leitzinsen zu bekämpfen.

Generell ist das Zinsniveau jedoch sowohl am kurzen als auch am langen Ende niedrig. Die langfristigen Zinsen sind in Grafik 1 neben den kurzfristigen dargestellt und leiten sich aus der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen her. In Europa, Nordamerika, Japan und Australien sucht man vergeblich nach Renditen von über 3% (Länder wie Griechenland ausgenommen). Das ist eine historisch einmalige Situation, zumal in einigen Regionen die Zinsen noch lange nicht am unteren Ende angekommen sind. Australien, Kanada und Neuseeland haben Rohstoffwährungen. Solange Rohstoffpreise sinken werden auch die Zinsen sinken. Gemessen an früheren Zyklen liegt erst die Hälfte der Abwärtsbewegung hinter uns.

In einigen Regionen kann der Zins kaum noch sinken, in anderen nähert er sich immer weiter dem ZLB an. Kommt nun ein globaler Abschwung, dann sieht es düster aus. Notenbanken können dagegen fast nichts tun. Die kurzfristigen Zinsen sind am ZLB und die langfristigen sind noch immer stark durch die Anleihenkaufprogramme geprägt. Die US Notenbank könnte ein neues Programm auflegen, um zumindest die langfristigen Zinsen zu drücken, doch das bringt viele andere Probleme mit sich.

Wird ein zu hoher Anteil von Anleihen von der Zentralbank vom Markt genommen, dann sinkt die Liquidität erheblich. Das führt langfristig zu hoher Volatilität. Das ist noch das geringste Übel. Viele Banken und Versicherungen brauchen Anleihen dringend – als Cashersatz oder als Anlageform. Je weniger Anleihen zur Verfügung stehen, desto schwieriger wird es für die Finanzbranche ihre Bilanzen zu managen. Darüber hinaus wird eine etwaige Normalisierung sehr schwierig. Die US Notenbank hat derzeit das Problem, dass die Nachfrage nach US Anleihen trotz der nahenden Zinsanhebung so groß ist, dass die Zinsen am langen Ende kaum steigen können.

Die Zinskurve wird durch QE Programme nach unten gedrückt, was ja auch Sinn der Sache ist. Kurzfristig ist das gewollt und notwendig, doch langfristig geben die Notenbanken durch zu große QE Programme die Möglichkeit auf, die Zinskurve effektiv zu managen. Ist das Pulver erst einmal verschossen, nutzt alle theoretisch zur Verfügung stehende Munition nichts mehr. Man kann sie nicht mehr nutzen.

Will man die Marktkräfte, die langfristige Zinsen festlegen, nicht abschaffen und gleichzeitig die gesamte Versicherungsbranche in den Ruin treiben, dann können Notenbanken ihre QE Programme nicht so einfach wieder auflegen oder erweitern. Bevor die US Notenbank ihren Anleihenbestand nicht signifikant reduziert hat, wirkt ein neues QE Programm für die Wirtschaft langfristig destabilisierend.

Was können die Notenbanken nun aber tun, wenn der nächste Abschwung kommt? Dem Konsens nach ist eine weitere Zinssenkung kaum möglich und neue QE Programme sind in ihrer Effektivität äußerst fragwürdig. Sie mögen auf Sicht weniger Jahre helfen, führen dafür aber langfristig zu enormen Problemen.

Das britische CFM (Centre For Macroeconomics) hat keine perfekte Lösung parat, aber bietet auf die drängende Frage zumindest teilweise eine Antwort. Wer jetzt eine Revolution erwartet, der wird enttäuscht. Die Antwort auf die Restriktionen der derzeitigen Möglichkeiten ist sehr einfach: der ZLB wird einfach ignoriert.

Ein Großteil der Ökonomen geht davon aus, dass sich kurzfristige Zinsen nicht wesentlich unter 0% senken lassen. Das ist der Konsens. In weiten Teilen der Welt ist das nicht nur Konsens, sondern de facto die Wahrheit. Es wird akzeptiert und nicht hinterfragt. Das CFM kommt zu dem Schluss, dass diese Wahrheit nicht in Stein gemeißelt ist.

Grafik 2 zeigt die Einschätzung der führenden Ökonomen britischer Universitäten und der Notenbank. Immerhin ein Drittel der Ökonomen hält ein System für möglich, in denen Zinsen von -2 bis -3% durchgesetzt werden können. Geht es um die Frage, ob der Nutzen davon höher ist als die Kosten, dann sind sich die Ökonomen da nicht ganz so sicher. Die Mehrheit geht von höheren Kosten aus.

Die Tatsache, dass Zinsen von -2 bis -3% überhaupt als umsetzbar eingeschätzt werden, ist relativ neu. Bisher wurde diese Möglichkeit mit den damit verbundenen zahlreichen Problemen kaum diskutiert. Privatpersonen und Unternehmen können ja einfach Bargeld halten, statt negative Zinsen auf ihren Einlagen zu akzeptieren. Allein diese Option macht die Durchsetzung von negativen Zinsen schwierig.

Lösen lässt sich das Bargeldproblem, indem Cash einfach besteuert wird. Zahlt man in einem Geschäft mit Bargeld, dann könnte auf diese Zahlung eine Steuer fällig werden. Anstatt 100 Euro müsste man dann 102 Euro für den Einkauf zahlen.

Wie praktisch das alles ist, sei dahingestellt, denn soweit muss es gar nicht erst kommen. In der Schweiz und in Dänemark funktionieren die negativen Zinsen überraschend gut. Sie liegen bei weitem noch nicht bei -3%, doch -3% halten Ökonomen für eine realistische Zielgröße, die umsetzbar ist, ohne aufwendige Bargeldsteuern einführen zu müssen.

Notenbanken trauen sich nicht, die Zinsen bei deutlich unter null festzusetzen. Sie befürchten unter anderem einen Bank Run, weil Kunden keine negativen Zinsen akzeptieren und sich ihr Geld in Cash auszahlen lassen. Für Banken wäre das ein großes Problem und kann zu Zusammenbrüchen führen. Doch würde es wirklich soweit kommen?

Banken würden die Zinsen vermutlich nicht sofort und 1 zu 1 an Kunden weitergeben. Die negativen Zinsen schleichen sich dann mit der Zeit ein. Gleichzeitig kann die Notenbank große Banknoten abschaffen, um das Halten großer Bargeldsummen teurer zu machen. Muss ein Unternehmen viele Milliarden in Bargeld in einem Tresor horten, dann braucht das enorm viel Platz und ist teuer. Erst wenn die Zinsen unter -3% sinken gehen Ökonomen davon aus, dass der Nutzen von Bargeld größer ist als die Kosten von elektronischem Geld.

Die Diskussion steht noch am Anfang. Die Hinweise verdichten sich jedoch, dass die Notenbanken im nächsten Abschwung negative Zinsen einführen werden – und zwar nicht nur in homöopathischer Dosis. Bisher galt das als unmöglich, vor allem, weil niemand an die Umsetzbarkeit glaubte. Dieser Glaube wird immer mehr in Frage gestellt und bevor die Notenbanken hilflos zusehen wie die Wirtschaft aus dem Ruder läuft, werden sie das Experiment wagen und den ZLB ignorieren.

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18 Kommentare

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  • MrMartin
    MrMartin

    Solange das eigentliche Problem "Sozialistisches Staatsgeld" nicht behoben ist, - d.h. endgültig abgeschafft und nur noch freies Marktgeld zirkuliert - wird es unweigerlich immer wieder abwechselnd zu Boom- und Bust-Zyklen kommen. Aktuell will man (Zentralbank & Politik) den anstehenden Bust mit allen nur erdenklichen Mitteln hinausschieben aber das wird definitiv nicht funktionieren. Die Blase wird nur weiterhin aufgebläht und der bevorstehende Bust vergrößert.

    Eine Bitte an die Godmode Journalisten habe ich noch: vergesst eure Keynes Bücher und legt euch was ordentliches ins Regal: Hayek, Rothbard, Mises, Baader.

    16:57 Uhr, 29.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Otua
    Otua

    Es ist den Geldbesitzern vermutlich egal, ob ihr Geld 3 % wegen Inflation verliert, oder 3% weil es auf einem Konto liegt.

    Die Reaktion darauf wird gleich sein, nämlich Gold, Silber und Immobilien kaufen.

    Ausserdem geht mit solchen Massnahmen das Vertrauen der Bürgerin die Geldwehrstabilität verloren ! ----->Flucht in Gold

    Das einzige sinnvolle wäre m.E. wenn die Notenbanken jedem Bürger monatelang jeden Monat 1000 Euro überweisen würde.

    09:42 Uhr, 29.07.2015
  • Arnim
    Arnim

    Wenn der Guthabenzins bei -3 % liegt wo liegen dann die Zinsen für Baukredite ?

    09:39 Uhr, 29.07.2015
  • Unbedingt
    Unbedingt

    Schön, dass mal jemand etwas dazu schreibt. Meiner Einschätzung nach könnte man auch die Transfers mit Gebühren belegen oder die Barauszahlungen, was einfacher zu realisieren wäre als Cashbesteuerung. Die Frage ist, ob das überhaupt zu mehr Kreditaufnahmen und Wachstum führen kann. Oder ob Wachstum nur dann gesund ist, wenn es nicht auf Kredit finanziert ist. Man leiht sich Kapital ja immer in der eigenen Zukunft, in der Hoffnung darauf, dass das die Zukunft nicht belastet. Ist doch irgendwie blauäugig oder nicht? Man sollte sich meiner Meinung einmal damit befassen, wie es um das relative Wachstum steht, wenn alle Teilnehmer eines Systems schrumpfen und das unterschiedlich stark. Dieses Thema ist nicht genügend von den Ökonomen bearbeitet.

    08:57 Uhr, 29.07.2015
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Gelddrucken war nie eine Lösung sondern kauft nur Zeit oder bestenfalls mildert die Folgen ab.

    Nur wenn qualitativ schlechte Kredite aus dem System getilgt werden, kann Wachstum gelingen.

    Nicht quantität sondern qualitativ easing

    08:42 Uhr, 29.07.2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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