Weniger Inflations- und Zinssorgen, aber die Ausfallrisiken bleiben
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Weil der Carry – die Differenz zwischen Rendite und Kreditzins – gestiegen ist, wird man mit Anleihen dieses Jahr wohl mehr als die Inflationsrate verdienen. Bis jetzt sieht alles gut aus: Die Inflation fällt weiter, und die Notenbanken dürften nach den Zinserhöhungen vom Mai wohl eine Pause einlegen. Für Anleihen kann das nur gut sein, ebenso wie Zinssenkungen oder Hinweise auf eine Rezession. Auch die Aktienerträge liegen seit Jahresbeginn über der Inflation, doch könnten Aktien schon bei den ersten Rezessionsanzeichen unter Druck geraten. Schließlich droht dann ein noch sehr viel stärkerer Rückgang der Unternehmensgewinne. Nahezu sicher wären eine Rezession und Zinssenkungen in den USA, wenn man sich nicht auf eine neue Schuldenobergrenze einigt und US-Anleihen nicht mehr bedient werden. Auch wenn es wohl nicht so kommt, sollte man über mögliche Anlegerreaktionen zumindest einmal nachdenken. Ich glaube, dass die Politik nach einem solchen Schock sofort eine Lösung finden würde. Er wäre wohl eine einzigartige Kaufgelegenheit.
Inflationsschutz: Aktien haben seit Jahresbeginn wohl am besten vor Inflation geschützt – genauer gesagt: Large Caps. Ihre Umsätze sind durch die Inflation gestiegen, und sie können ihre Kosten wesentlich leichter unter Kontrolle halten als kleine und mittelgroße Firmen. Amerikanische Banken liegen natürlich hinter dem Markt. Interessant ist die Differenz zwischen Kurs- und Verbraucherpreisentwicklung seit Jahresbeginn: Der NASDAQ und andere Indizes mit einem hohen Anteil an Wachstumswerten sind stärker gestiegen als die Verbraucherpreise, ebenso wie europäische und japanische Aktien. Small und Mid Caps sowie umfassenden Emerging-Market-Indizes gelang das aber nicht..
Höherer Carry: Am Anleihenmarkt dürfte der höhere Carry dieses Jahr für Erträge über der durchschnittlichen Inflationsrate sorgen. Kurzläufer und High Yield haben vom Anstieg der Kurzfristzinsen im letzten Jahr profitiert. Die Langfristrenditen sind unterdessen gefallen, da man mit einer niedrigeren Inflation und niedrigeren Zinsen rechnet. Wenn Credits in der zweiten Jahreshälfte nicht einbrechen, dürfte man dieses Jahr mit allen Anleihenarten real verdienen.
Ist das der Gipfel? Nach dem katastrophalen Jahr 2022 sind viele Investoren auf Realerträge angewiesen. In unserem Positivszenario geht die Inflation dieses Jahr weiter zurück, was den Realerträgen hilft, und die Zinserhöhungen werden bald beendet. In den USA hat sich hier letzte Woche etwas getan: Die Zinserhöhung auf 5,25 % könnte die letzte gewesen sein, und die Teuerung ist weiter gefallen; die Verbraucherpreisinflation ist im April auf 4,9 % z.Vj. zurückgegangen. Die Kernrate bleibt aber hoch; sie legte um 0,4 % z.Vm. zu und damit ähnlich stark wie in den fünf Monaten zuvor. Es ist nicht auszuschließen, dass die Fed die Zinsen noch einmal anhebt oder sich mit Zinssenkungen Zeit lässt – aber entscheidend dürfte das reale Wirtschaftswachstum sein. Auch die EZB schließt weitere Zinserhöhungen nicht aus, während der britische Leitzins wohl nicht weiter steigt. So oder so dürften die Zinserhöhungen bald zu Ende gehen. Ein Grund zum Feiern.
Positivszenario: In unserem Positivszenario rechnen wir weiter mit moderaten Realerträgen. Anleihen könnten Aktienmarktverluste abfedern. Weil die noch immer recht hohe Inflation die Nominalumsätze steigen lässt, könnte sie auch die Unternehmensgewinne stabilisieren. Bei einer Zinspause und einem nur leichten Rückgang der Kerninflation würde sich das Makroumfeld nur wenig ändern. Investoren könnten mit Neuanlagen zögern, da eine Rezession nicht auszuschließen ist. Wenn Aktien und Credits dann korrigieren und die Inflation wesentlich stärker fällt, sind anschließend höhere Realerträge möglich. Zurzeit ist all das aber Spekulation, da es nach wie vor kaum Anzeichen für eine Rezession gibt. Dennoch sollte man bei Aktien vorsichtig sein, denn die Unternehmensgewinne gehen insgesamt zurück. Nachdem die meisten S&P-500-Unternehmen ihre Quartalszahlen vorgelegt haben, deutet sich ein Rückgang der gewichteten Unternehmensgewinne um 4 % z.Vj. an. Beim EuroStoxx bleiben die Gewinne im Vorjahresvergleich wohl unverändert. Das mahnt zur Vorsicht, ist aber kein Grund für extremen Pessimismus.
Zahlungsausfall? Möglich ist aber auch ein Zahlungsausfall der USA. Finanzministerin Janet Yellen hat bereits gewarnt, dass die Regierung vielleicht schon Anfang Juni nicht mehr alle Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann. Ein Zahlungsausfall der USA wäre ein enormer Schock für das Weltfinanzsystem. Zu rechnen wäre mit mehr Volatilität, einem schwächeren Dollar, illiquiden Geldmärkten und einem Börsenkrach. Wenn man sich auf die US-Regierung nicht mehr verlassen kann, kann man auch den Märkten nicht mehr vertrauen. Ein wie auch immer gearteter Zahlungsausfall wäre von großer symbolischer Bedeutung und könnte dem Vertrauen langfristig schaden. Wegen der Folgen für die Renditen in anderen Ländern und den US-Dollar hätte das weltweite Konsequenzen.
Thema Schuldenobergrenze: Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten der Diskussion und die politischen Manöver eingehen. Dazu empfehle ich eine Studie meines Kollegen David Page auf der Webseite des AXA IM Investment Institute. Schon jetzt deutet manches darauf hin, dass man am Markt einen Zahlungsausfall nicht völlig ausschließt, ihn aber für äußerst unwahrscheinlich hält. US-Schatzwechsel, die kurz vor dem 1. Juni fällig werden, bieten zurzeit etwa 3,8 % bis 3,9 % Rendite. Bei späteren Fälligkeiten sind es aber etwa 5,2 %. Außerdem hat der Dollar nachgegeben; der US-Dollar-Index notierte in den letzten Wochen nur noch knapp über den Tiefs des letzten Jahres. Vor allem aber notiert der einjährige Credit Default Swap (CDS) auf US-Staatsanleihen jetzt bei 180 Basispunkten, bei einem Vergangenheitsdurchschnitt von nur 10 bis 15.
Schwächeres Wachstum und Zinssenkungen: Im Negativszenario müssen wir aber mit weniger realem Wachstum rechnen, weil niedrigere Staatsausgaben, weniger private Investitionen und ein geringerer Konsum die Nachfrage dämpfen. Bei einer Aktienmarktkorrektur nach einem Zahlungsausfall sind auch negative Vermögenseffekte denkbar. Außerdem sollten wir die Reaktion der Notenbank nicht außer Acht lassen. Natürlich wäre mehr Liquidität nötig. Vielleicht muss die Fed wegen der dann absehbaren Kursverluste und des schwächeren Wachstumsausblicks auch die Zinsen senken. Wegen der steigenden Risikoaversion würden die Langfristrenditen fallen – denn eine Rezession würde wahrscheinlicher und käme auch früher als in anderen Szenarien.
Alles auf null: Generell waren die Anleger dieses Jahr vorsichtig und oft enttäuscht, weil sie – vor allem bei Aktien – an Gewinnen nicht partizipiert haben. Aber jetzt ist nicht die Zeit, alles Geld anzulegen. Entweder steigen die Kurse weiter – wie im Positivszenario –, oder es kommt zu einer Korrektur infolge eines Schocks. Vielen Anlegern würde das nützen, da risikoreichere Titel dann deutlich günstiger würden. Für viele wäre eine US-Staatschuldenkrise mit schnellen Zinssenkungen und einem starken Wachstumseinbruch die lang ersehnte Kaufgelegenheit.
Deals und Wahlen: Wegen der politischen Situation in den USA fällt eine klare Anlageempfehlung schwer. Im Ausland rechnet man damit, dass sich Kongress und Regierung irgendwie einigen, denn alles andere wäre wirklich sehr unklug. Allerdings steht politisch viel auf dem Spiel, sodass es wohl bis zur letzten Minute dauern wird. Vielleicht kommt es zu einem Kompromiss mit einer vorübergehenden Anhebung und dem Versprechen aller Parteien, die Staatsfinanzen genauer zu überprüfen (was auch nötig ist). Weil im September der Höhepunkt der jährlichen Haushaltsverhandlungen ansteht, können sich vielleicht alle Beteiligten mit einer vorübergehenden Anhebung der Schuldenobergrenze bis dahin anfreunden. Dann ist es auch nur noch gut ein Jahr bis zu den Präsidentschaftswahlen. Beide großen Parteien wollen sich beim Thema Staatsfinanzen profilieren, und niemand will für einen längeren Government Shutdown oder einen Zahlungsausfall mit allen Konsequenzen verantwortlich sein. Die faire Risikoprämie von US-Titeln vor den Wahlen wird aber eher ein Thema für das nächste Jahr sein.
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