Kommentar
11:04 Uhr, 25.02.2022

Welcher Notenbanker hat Recht?

Notenbanker sind derzeit alles andere als der gleichen Meinung. Einige stehen sich diametral gegenüber. Wer hat Recht?

Die Meinungen der US-Notenbanker sind vielfältig und teils gegensätzlich. Der Zinsentscheid im März wird daher spannend. Als gesichert gilt, dass der Leitzins zumindest um 25 Basispunkte angehoben wird. Wie es danach weitergeht, weiß die Notenbank selbst noch nicht. Das liegt zum Teil daran, dass einige Notenbanker möglichst schnelle Zinserhöhungen wollen und andere drängen, es nicht zu übertreiben.

Auf der einen Seite des Spektrums befindet sich Neel Kashkari, Präsident der Notenbank von Minneapolis. Er gehört zum Lager der Notenbanker, die es nicht übertreiben wollen. Für diese Einstellung gibt es gute Gründe. Die US-Wirtschaft hat nämlich fundamentale Probleme, die für einen natürlichen Rückgang der Inflation sprechen.

Das größte Manko der Wirtschaft ist der Rückgang der Realeinkommen. Löhne steigen zwar schnell, doch die Inflation steigt momentan noch schneller. Der Konsum folgt den Einkommen (Grafik 1) und da der Konsum fast 70 % der Wirtschaft ausmacht, droht hier ein rasanter Abschwung.

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Das Ende des Konsumfests ist nicht nur wegen Reallohnverlusts absehbar, sondern auch aufgrund rückläufiger Staatsausgaben. Nach fünf Billionen an Hilfen für die Wirtschaft, ist 2022 wieder Normalität angesagt. Das führt dazu, dass der fiskalische Impuls nicht mehr positiv, sondern negativ ist (Grafik 2). Niedrigere Staatsausgaben senken das Wachstum in diesem und im kommenden Jahr um ca. 2 %.

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Auch die Stimmung dreht. Noch im Herbst 2021 war eine Rezession undenkbar. Seither steigt die Berichterstattung darüber (Grafik 3). Die Berichterstattungsintensität ist eine Art Wahrscheinlichkeit für einen Rezessionsbeginn. Die Wahrscheinlichkeit steigt derzeit merklich an.

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Die US-Wirtschaft ist also möglicherweise weniger robust als viele denken. Langsameres Wachstum führt auf natürlichem Wege zu geringerer Inflation. Würden die Zinsen nun schnell und stark angehoben, kann dies den Aufschwung abwürgen. Daher sollte es die Notenbank nicht übertreiben.

Das ist eine Sichtweise. Auf der anderen Seite gibt es die Meinung von z.B. James Bullard, Vorsitzender der Notenbank von St. Louis. Er will bis Anfang Juli einen Leitzins von 1 %. Er hält die Sichtweise, dass sich die Inflationsrate von selbst verringern wird, für absurd.

Sinkende Realeinkommen sind zwar als Gegenwind zu werten, doch Haushalte sitzen auf hohen Rücklagen. Direktzahlungen vom Staat haben hohe Sparquoten ermöglicht. Der Konsum muss wegen hoher Inflation daher nicht unbedingt gedrückt werden. Gleichzeitig beschleunigt sich das Lohnwachstum und kann die Inflationsrate bald übersteigen.

In den USA kündigen derzeit so viele Arbeitnehmer wie selten zuvor. Da Arbeitskräfte knapp sind, kann durch einen Wechsel des Arbeitgebers ein höherer Lohn erzielt werden. Lohnentwicklung und Kündigungsraten gehen daher Hand in Hand (Grafik 3).

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Die Wechselbereitschaft wird als „Great Resignation“ bezeichnet. Diese kann man darstellen, indem man zwei Gruppen gegenüberstellt. Die eine Gruppe sind Arbeitnehmer, die den Arbeitgeber wechseln. Die andere Gruppe sind Arbeitslose, die einen Job finden. Je höher das Verhältnis, desto dynamischer ist der Arbeitsmarkt. Die positive Korrelation zur Inflationsrate ist sofort ersichtlich (Grafik 5).

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Es ist naiv anzunehmen, dass die Lohnsteigerungen schnell zur Normalität zurückkehren. Die Lohn-Preis-Spirale kommt nicht erst, sie ist schon da. In vielen Kategorien ist das Lohnwachstum so hoch wie zuletzt in den 90er Jahren. In manchen Bereichen ist das Wachstum so hoch wie noch nie seit Beginn der Datenerhebung (Grafik 6).

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Dank hoher Rücklagen und sich beschleunigenden Lohnwachstums ist die Annahme, dass die Inflation von alleine zurückgehen wird, naiv. Daher müssen die Zinsen schnell steigen. Andernfalls droht eine Wiederholung der 70er Jahre.

Beide Sichtweisen lassen sich gute begründen. Es ist derzeit leider alles andere als offensichtlich, welches Szenario wahrscheinlicher ist. Beide haben ungefähr die gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit. Was die Sache kompliziert, ist das Verhalten der Notenbank selbst. Geht sie behutsam vor, wird das Szenario, welches Bullard vor Augen hat, wahrscheinlicher.

Für Anleger ist es zu früh, sich auf eine Seite zu schlagen. Abwarten ist bei zwei Extremszenarien schwierig, aber das einzig richtige.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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