Kommentar
16:34 Uhr, 01.04.2022

Was ist von der russischen Wirtschaft Ende 2022 noch übrig?

Trotz Krieg und Sanktionen werden weiterhin Statistiken veröffentlicht, darunter auch recht brisante.

Welche wirtschaftlichen Folgen der Krieg langfristig hat, lässt sich derzeit nur erahnen, aber nicht mit Fakten untermauern. Nach mehr als einem Monat Krieg sind die Spuren des Krieges in den Statistiken allerdings bereits sichtbar. Dabei treten auch Probleme hervor, die so wohl niemand voraussah.

Ein solches Problem hängt mit dem Aktienmarkt zusammen. Dieser wurde nach einem Monat wieder geöffnet, allerdings mit Einschränkungen. Zunächst wurde nur eine begrenzte Anzahl an Werten gehandelt. Zwar können nun wieder alle Aktien gehandelt werden, doch Leerverkäufe sind verboten und ausländische Anleger dürfen gar nicht verkaufen. Gleichzeitig interveniert der Staat und kauft Aktien seiner Unternehmen.

Trotz der Stützungskäufe liefen die Kurse über die ersten Handelstage seitwärts. Am ersten Handelstag ging es nach oben, am zweiten nach unten. In harter Währung ging es deutlich nach unten (Grafik 1). Inzwischen ist der Abschlag wieder aufgeholt. Angesichts der Lage hält sich der Aktienmarkt gut. Der Aktienmarkt ist wegen der starken Intervention jedoch kein optimales Abbild der Wirtschaft. Dennoch liegt dem Staat daran, ein solches Bild zu vermitteln. Dazu wird tief in die Trickkiste gegriffen (dazu später mehr).

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Reserven stehen nur bedingt für Interventionen zur Verfügung. Die Notenbank veröffentlicht nach wie vor den wöchentlichen Stand der Reserven (Grafik 2). Ursprünglich war geplant, die Veröffentlichung für drei Monate auszusetzen. Diese Entscheidung wurde revidiert.

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Ein Großteil der Reserven ist nicht zugänglich. Ungefähr zwei Drittel sind im Ausland eingefroren. Der Rückgang um fast 40 Mrd. USD innerhalb eines Monates ist daher umso schmerzhafter. Schätzungsweise hat Russland damit bereits ein Fünftel der verfügbaren Reserven aufgebraucht.

Ein Drittel der Reserven ist zwar zugänglich, doch mindestens die Hälfte davon ist in Gold angelegt. Goldbarren lassen sich nicht besonders effizient für Zahlungen nutzen. Das in Russland gelagerte Gold mag zwar sicher sein, nur ist der Nutzen begrenzt. Im schlimmsten Fall hat Russland nach einem Monat Krieg also bereits ein Drittel der flüssigen Reserven verbraucht. Ein Teil davon dürfte auf Interventionen auf dem Devisenmarkt zurückzuführen sein. Die Reserven dürften zukünftig langsamer zurückgehen.

Dennoch sind die Reserven knapp. Aus diesem Grund werden Stützungskäufe auf dem Aktienmarkt vom Staatsfonds getätigt. Dieser war bereits vor Kriegsbeginn in russischen Aktien investiert. Nun wird der Anteil nach oben gefahren. Der Staatsfonds verlor durch die bisherigen Investments bereits deutlich an Wert (Grafik 3). Da der Fonds auch Fremdwährungsanlagen tätigt, dürfte ein Teil des Vermögens nicht zugänglich sein.

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Eigentlich soll der Staatsfonds die Renten sichern. Nun wird das Geld zur Stützung des Aktienmarktes genutzt. Das ist eine riskante Strategie. Ein weiterer Kollaps des Marktes lässt sich vorübergehend verhindern, doch kann sich der Markt dann nicht erholen, drohen Rentenkürzungen. Politisch ist das schwierig.

Der Staatsfonds wird vor allem aus Öl- und Gaseinnahmen finanziert. Obwohl noch russisches Öl und Gas verkauft wird, ist das Geld nicht einfach zugänglich. Lieferungen werden bisher in Fremdwährung gezahlt, z.B. USD. Diese können jedoch nicht einfach in Rubel getauscht werden. Daher sollen Länder nun Öl und Gas in Rubel kaufen. So wird das Problem der eingeschränkten Konvertierbarkeit umgangen und stützt den Rubel. In Erwartung dieses Schritts konnte sich der Rubel zuletzt mit wahrscheinlichen Interventionen der Notenbank und Kapitalmarktkontrollen deutlich erholen.

In jedem Fall werden die Einnahmen sinken, ob durch direkte Sanktionen gegen Rohstoffe, den enormen Preisabschlag auf russisches Öl oder freiwillige Sanktionierung. Damit bekommt auch der Staat ein Problem. 40 % der Ausgaben werden durch Öl- und Gaseinnahmen gedeckt (Grafik 4). Ohne diese Einnahmen ist der Staat schnell insolvent, wenn die Ausgaben nicht drastisch gekürzt werden.

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Eigentlich sollten die Devisenreserven solche Finanzierungsengpässe verhindern. Da diese nicht zugänglich sind, fehlt es an Alternativen. Der Staatsfonds ist einer der wenigen noch teilweise funktionierenden Vehikel. Ob Stützungskäufe an der Börse da die beste Wahl sind, sei dahingestellt.

Sanktionen führen bereits zu einer Knappheit an Gütern und Hamsterkäufen. Die wöchentliche Inflationsrate liegt derzeit bei knapp 2 %, sodass die Inflationsrate bereits im zweistelligen Bereich liegt. Zumindest kurzfristig muss mit einer weiteren Geldentwertung im Bereich von 1-2 % pro Woche gerechnet werden. Bis Sommer liegt die Inflationsrate dann bei 50 % (Grafik 5). Vieles hängt jedoch von der Währungsentwicklung ab. Kann der Rubel seine jüngste Aufwertung verteidigen, könnte die Inflationsrate ihren Anstieg auch bei 20 % stoppen.

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Dem Staat fehlt es an Reserven und Einnahmen. Der Staatsfonds bietet kaum Schutz. Die Inflation steigt wöchentlich und merklich an. Internationale Unternehmen haben ihre Geschäfte größtenteils eingestellt. Es fehlt an Importen.

Wer nun aber denkt, dass die Wirtschaft auf eine Halbierung zusteuert, irrt. Der Rückgang wird groß sein, vermutlich im Bereich von 15 % (Grafik 6). Gemessen an der Ausgangslage würde man jedoch einen größeren Crash erwarten. Die Differenz zwischen Erwartung und wahrscheinlichem Ausgang sind Öl und Gas. Der Wirtschaft geht es schlecht. Solange Öl und Gas weiterhin exportiert werden können, bleibt der Zusammenbruch aber aus.

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Von der Wirtschaft bleibt mehr übrig, als man vielleicht denkt. Nach dem Einbruch in der ersten Jahreshälfte ist zudem mit einer Erholung zu rechnen. Aller Voraussicht nach wird die russische Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder wachsen. Sofern Öl und Gas nicht offiziell sanktioniert werden, könnte der Einbruch 2022 weniger als 10 % betragen.

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  • Marc1
    Marc1

    Wie immer sehr interessant. Herr Schmale, mich würde mal Ihre kompetente Meinung zur Zinsstruktur interessieren. 2 vs. 10 und 5 vs. 30 Y sind seit heute (1.4.) invers. Eigentlich ein zuverlässiger Indikator für ein Crash in den nächsten Wochen/Monaten, oder?

    16:57 Uhr, 01.04.2022

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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