Kommentar
10:33 Uhr, 11.07.2017

Was die Börsen bewegt – und was nicht

Die Liste der politisch bedeutsamen Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate ist lang: verlorene oder fast verlorene Wahlen in Großbritannien, gewonnene Wahlen in Frankreich, die komplette Unsicherheit über die Brexit-Verhandlungen bei nur noch weniger als zwei Jahren Spielraum und eine nahezu völlige Entfremdung der Türkei von den europäischen Partnern. Neben dem seit Jahren offen ausgetragenen Stellvertreterkrieg zwischen von Saudi-Arabien geführten Sunniten und von Iran geführten Schiiten in Syrien und im Irak kommt nun noch ein weiterer innersunnitischer Konflikt mit Katar hinzu, der ebenfalls ein Stellvertreterkonflikt zwischen Wahhabismus (geführt von Saudi-Arabien) und Muslimbruderschaft (unterstützt von der Türkei) sein könnte. Das verschärfte „Säbelrasseln“ zwischen den USA und Nordkorea ist deutlich zu hören, es gibt keinerlei Annäherung im Ukrainekonflikt und die Notwendigkeit der staatlichen Rettung für zwei italienische Großbanken war Schlagzeile.

„Angesichts dieser Ereignisse wäre überwiegend von einer Belastung für die Börsen auszugehen gewesen. Dennoch blieben die Aktienbörsen im Wesentlichen stabil und konnten im Jahresverlauf 2017 bis Ende Juni erhebliche Kursgewinne einfahren, die mit rund 11 Prozent in Deutschland und der Schweiz am stärksten ausfielen“, sagt Achim Stranz. Das Zentralbankforum der Europäischen Zentralbank (EZB) in Sintra, Portugal, sorgte dann jedoch für den Verlust eines Drittels der Aktienkursgewinne binnen zwei Tagen – und zumindest in Kerneuropa für einen deutlichen Anstieg der Zinsen.

Laut Stranz war eine Andeutung seitens EZB-Chef Mario Draghi der Grund für diese Entwicklung: „Er brachte zur Aussprache, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Das derzeitige Anleihekaufprogramm der EZB ist nicht unendlich und wird irgendwann nach ausreichender Stabilisierung der Kapitalmärkte reduziert werden.“ US-Notenbankchefin Janet Yellen habe dies mit Ihrer Aussage verstärkt, dass die US-Wirtschaft robust sei, das System stabil und eine weitere Finanzkrise im Verlauf dieser Generation höchst unwahrscheinlich. Der Euro gewann daraufhin an Stärke und erreichte einen Zweijahres-Höchststand gegenüber dem Dollar.

„Dies bestätigt unsere Einschätzung, dass die Weltwirtschaft trotz politischer Krisen deutlich besser läuft als erwartet. Aktienkurse sind daher derzeit durch Gewinnsteigerungen unterfüttert und basieren nicht auf der Expansion der Bewertungsrelationen. Wir bleiben jedoch wachsam, was die Aktienmärkte betrifft. Ein sorgloser Blick in die Zukunft wäre unangemessen, denn die Unternehmensbewertungen haben sich in den letzten Jahren auf einem Niveau eingependelt, das nur bei nachhaltig niedrigen Renditen vertreten ist“, so Stranz. Sobald der Zinstrend sich dauerhaft gedreht habe und Renditen wieder ein Normalmaß von real ein Prozent und nominal zwei Prozent global erreichten, brauche es noch stärkere Unternehmensgewinne als derzeit ersichtlich, um den Bewertungseffekt auszugleichen. In den vergangenen Wochen sei dieser Effekt am deutlichsten bei hoch bewerteten Technologieaktien sichtbar gewesen.

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