Warum Anleger mehr auf das ‚S‘ in ESG achten sollten
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Die Lebenshaltungskosten steigen. Vor Kurzem berichtete die britische Presse, dass die Benzinpreise einen historischen Höchststand erreicht haben. Der Inflationsbericht für Januar beziffert den jährlichen Anstieg der Verbraucherpreise in Großbritannien auf 5,5 Prozent und die Inflation bei den Einzelhandelspreisen auf 7,8 Prozent – der höchste Wert seit 1990. Ab April werden die regulierten Preisobergrenzen für Energie aufgehoben, was die Heizkosten für Privathaushalte massiv in die Höhe treiben wird, während die meisten Arbeitnehmer zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge zahlen werden. Wer Hypotheken mit variabler Verzinsung oder Verbraucherschulden hat, wird voraussichtlich auch mit höheren Zinskosten konfrontiert sein. Es ist ein Zusammenspiel von Faktoren, die das Vertrauen der Verbraucher erschüttern und die Gefahr einer Rezession in absehbarer Zeit heraufbeschwören. Höhere Zinsen und Energiekosten sind selten eine positive Kombination für das Wirtschaftswachstum.
Reale Auswirkungen
In Großbritannien war die Inflation – ebenso wie in anderen Volkswirtschaften – in den vergangenen Jahren niedrig und das Preisniveau damit relativ stabil. Die Löhne stiegen in der Gesamtwirtschaft zwischen 2014 und Ende 2021 um etwas über 25 Prozent, während der Verbraucherpreisindex um 16 Prozent kletterte – allein sechs Prozent davon im vergangenen Jahr. In der Tat hat sich der Preisanstieg 2021 im Verhältnis zum Lohnwachstum beschleunigt, was die realen Haushaltseinkommen beeinträchtigte. Aber wir sind weit entfernt von den 1970er Jahren, als die Inflation permanent über dem Lohnzuwachs lag, und es zudem echte Treibstoffknappheit und steigende Arbeitslosigkeit gab. Gesamtwirtschaftlich sehen die Dinge heute nicht so schlecht aus und die Haushalte konnten in den vergangenen Jahren insgesamt Reallohnzuwächse verzeichnen.
Wie robust werden sich die Ausgaben entwickeln?
Die Konsumausgaben wuchsen im vergangenen Jahr in Großbritannien um 7,9 Prozent. Für 2022 geht der Konsens von plus 3,4 Prozent aus. Dies passt nicht zu einer Rezession. Es bleibt abzuwarten, ob die Prognosen nicht zu optimistisch sind. Die Bank of England (BoE) hat in ihrem jüngsten Inflationsbericht nahegelegt, dass die Inflation und damit die Zinsen im Prognosezeitraum wieder sinken werden. Sie ist demnach eindeutig besorgt, dass die Ausgaben in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese Befürchtungen gelten für die gesamte Weltwirtschaft, insbesondere wenn die Energie- und Güterpreise weiter hoch bleiben.
Ungleiche Auswirkungen und ungleicher Wohlstand
Die Inflation trifft die unteren Einkommensgruppen unverhältnismäßig stark. Zudem werden der Anstieg der Kraftstoff- und Lebensmittelpreise, die Kürzungen einiger Sozialleistungen und höhere Sozialversicherungsbeiträge die Realeinkommen sehr hart treffen. Die Pandemie hat Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheits- und Sozialfürsorge, zur Bildung und zu hochwertigem Wohnraum offengelegt. Die Arbeitslosigkeit ist zwar rückläufig, aber die Lockdowns trafen Sektoren wie den Einzelhandel und das Hotel- und Gaststättengewerbe am stärksten. Das belastet erneut die am niedrigsten bezahlten Arbeitnehmer der Gesellschaft. Für viele waren Homeoffice oder ein Umzug keine realistische Option. Gleichzeitig haben die einkommensschwachen Gruppen auch nicht von positiven Wohlstandseffekten profitiert. Der Besitz von Finanz- und Sachwerten ist auf die wohlhabenderen Gruppen der Gesellschaft verteilt. Die staatliche Unterstützung bot zwar einen Puffer für die von der Pandemie am stärksten Betroffenen, doch war dies nur temporär und nicht vergleichbar mit der längerfristigen Unterstützung, die ein angehäuftes Vermögen bieten kann. Auch aktuell kann man noch Berichte über die weitverbreitete Nutzung von gemeinnützigen Tafeln neben Hinweisen auf Rekordboni in Teilen des Finanzsektors finden. Die Ungleichheit scheint sich während der Pandemie noch verschärft zu haben.
Mehr Fokus auf das 'S' in ESG
In diesem Sinne muss das ‚S‘ in ESG mehr in den Vordergrund gerückt werden. Die Anleger haben viel getan, um ihre Portfolios an den Netto-Null-Zielen zur Bekämpfung des Klimawandels auszurichten. Aber jetzt müssen wir den heutigen sozialen Problemen mehr Aufmerksamkeit widmen, um sicherzustellen, dass der künftige Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft auch gerecht ist. Anleger müssen zunehmend beurteilen, in welchem Ausmaß sich die Firmen auf ihr eigenes Humankapital und auf die breitere Auswirkung, die sie auf die Gesellschaft haben, konzentrieren. Die Berücksichtigung von Vielfalt und Inklusion, geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden, der Qualität von Leistungspaketen, dem Umgang mit Beschwerden von Arbeitnehmern, Schulungen und Sozialleistungen sowie viele andere Faktoren werden daher ebenso wichtig wie das Verständnis des CO2-Fußabdrucks. Dies hat einen lokalen und einen globalen Aspekt. Wir müssen sehr genau darauf achten, wie sich die komplexen globalen Lieferketten auf die Rechte der Arbeitnehmer sowie die Gemeinschaft auswirken.
Ungleichheit als Keim für Populismus?
Ungleichheit erzeugt Wut, und diese kann in eine politische Richtung gelenkt werden. Viele Kommentatoren sind der Meinung, dass die ungleiche Erholung von der globalen Finanzkrise den Keim für den Populismus gelegt hat, den wir im vergangenen Jahrzehnt beobachten konnten. Das Gleiche könnte im Zuge der Erholung von COVID geschehen. Es besteht die Gefahr, dass die Bemühungen um eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft unterwandert werden könnten. In Großbritannien soll es Gruppen geben, die sich für ein Referendum über die Netto-Null-Pläne der Regierung einsetzen. Die Gegenreaktion auf die COVID-Impfstoffe und -Einschränkungen könnte auch diejenigen ansprechen, die sich nach der Disruption der vergangenen zwei Jahre zurückgelassen fühlen.
Politische Führung
Investoren müssen wachsam sein und sicherstellen, dass sie in Unternehmen investieren, die sich um ihre Belegschaft kümmern sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Chancengleichheit anbieten. Auch die Regierungen müssen sich stärker auf Dinge konzentrieren, die recht offensichtlich sind: Die Menschen sollen mehr für Kraftstoffe aus Energiequellen bezahlen, die nicht mehr lange genutzt werden sollen, aber zugleich mehr für die Verbesserung ihrer Kraftstoffeffizienz zahlen. Gleichzeitig machen die Unternehmen, die heimische Energie liefern, Rekordgewinne. Das heißt nicht, dass die Steuern auf Energiefirmen erhöhet werden sollen, aber die Regierungen müssen achtsam sein. Die grüne Revolution braucht Herz und Verstand, und wenn die Bürger glauben, dass es sie noch mehr kosten wird, werden die politischen Einwände gegen den Fortschritt zunehmen.
E & S gemeinsam
Wir haben immer daran geglaubt, dass die grüne Revolution einen starken positiven sozialen Aspekt haben kann, indem sie zu niedrigeren Energiekosten, dezentralerer Wirtschaftstätigkeit und neuen Fähigkeiten sowie neuen Arbeitsplätzen führt. Als Anleger investieren wir in Unternehmen im Wandel und in neue Technologien. Wir sollten also ein wachsames Auge darauf haben, was das für die derzeitigen und künftigen Mitarbeiter und die Gemeinschaften, in denen sie leben, bedeutet.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.