Analyse
01:05 Uhr, 04.10.2008

Wall Street: Kaufe das Gerücht und verkaufe die Nachricht

Erwähnte Instrumente

New York (BoerseGo.de) - „Kaufe das Gerücht und verkaufe die Nachricht“. Diese alte Börsenregel galt heute wieder mal an der Wall Street. Der Börsenstart und etwa die erste Hälfte der Börsensitzung wurden noch von der Hoffnung beflügelt, dass das Repräsentantenhaus des US-Kongress seinen Widerstand gegen das 700 Milliarden Dollar schwere Banken-Rettungspaket aufgibt. Als dann dessen Mehrheit kurz nach 13:00 Uhr US-Ostküstenzeit (19:00 Uhr MEZ) tatsächlich das ersehnte Ja-Wort gab, hieß es an der Wall Street: „Zurück zur Tagesordnung“. Kaum lief die erhoffte Meldung über die Ticker, plumpsten die Indizes und setzen ihren Kursrutsch bis zum bitteren Ende fort.

Am Montag waren die Märkte um rund 9% eingebrochen, weil es ein Veto gab, heute fielen sie, trotz Zustimmung. Dahinter steht der anhaltende Konjunkturpessimismus. Viele Markteilnehmer glauben einfach nicht, dass das heute abgesegnete Programm ausreicht, das Wachstum wieder in Gang zu setzen.

Der Pessimismus wurde heute durch die - bereits vor Börsenstart gemeldeten - Jobdaten genährt, die wieder einmal schwächer ausfielen als befürchtet. Die Zahl der Arbeitsplätze schrumpfte im September um 159.000 (Erwartung: minus 105.000 , Vormonat: minus 73.000). Die Arbeitslosenquote blieb - wie erwartet - bei 6,1 Prozent.

Rezession? Welche Rezession?

Der Markt ignorierte dagegen, dass der US-Dienstleistungssektor, der das Gros der amerikanischen Wirtschaft ausmacht (rund 80 Prozent) ein wesentlich helleres Bild zeichnet. Trotz Bankenkrise und schrumpfendem Jobmarkt wuchsen die US-Dienstleistungen, wenn auch gemächlich. Das zeigt der - um 10.00 Uhr US-Ostküstenzeit (16:00 Uhr MEZ) gemeldete - Einkaufsmanager-Index für die das nichtverarbeitende Gewerbe (Dienstleistungen), der im September 50,2 erreichte (Konsenserwartung: 50,0, Vormonat: 50,6). Werte über 50,0 bedeuten, dass die Dienstleistungsbranche wächst. Der Produktions-Teilindex kletterte auf 52,1 (August: 51,6). Die Komponente für neue Aufträge verbesserte sich auf 50,8 (August: 49,7) Der Beschäftigungs-Teilindex sank dagegen auf 44,2 (August: 45,4).

Kannibalistische Hedgefonds
Vermutlich wurde der späte aber scharfe Rutsch durch massive Leerverkäufe verschlimmert. Die Financial Times berichtete, dass die Hedgefonds gezielt Aktien leerverkaufen, die von anderen Hedgefonds gehalten werden. Daher würde der Goldman Sachs Hedge Fund VIP Index, der die von den Hedgefonds favorisierten Aktien erfasst, gezielt und massiv leerverkauft. Dieser Index fiel bereits gestern mehr als 6% und damit überdurchschnittlich stark. Dadurch sollen die ohnehin angeschlagenen Rivalen in Schwierigkeiten gebrachten werden. Die dadurch ausgelösten Zwangsliquidierungen führen zu einer Abwärtsspirale bei den betroffenen Aktien und vergrößern die Gewinne aus den Leerverkäufen.

Der Dow Jones Industrial Average verlor 1,50 Prozent auf 10.325 Punkte, der - für den breiten US-Aktienmarkt repräsentative - S&P 500 sank 1,35 Prozent auf 1.099 Punkte und der technologielastige Nasdaq Composite Index rutschte 1,48 Prozent auf 1.947 Punkte.

Im Vergleich zur Vorwoche verloren

Dow minus 7.4%
Nasdaq minus 10.8%
S&P 500 minus 9.4%.

Dow Jones Average: Verlorene Braut
Von den 30 Blue Chips des Dow Jones überlebten immerhin 9 den enttäuschenden Tag im Plus.

Tops:

Bezeichnend war, dass gleich 2 Pharmawerte aufs Siegertreppchen stiegen: Merck gewann 2,2% auf 31,78 Dollar und Pfizer (Viagra) stieg 1,1% auf 19,00 Dollar. Die Pillenaktien gelten als besonders defensiv, weil die Leute immer krank werden.
Überraschend ist dagegen der 2. Platz des Einzelhandelsriesen Wal-Mart, der nachrichtenlos 1,5% auf 59,33 Dollar kletterte.

Flops:

Die Citigroup verlor 18,4% auf 18,35 Dollar. Dem Bankkonzern wurde die Braut weggeschnappt. Der Geldriese hatte mit der angeschlagenen Geschäftsbank Wachovia über eine Übernahme verhandelt, jetzt kam aber der Rivale Wells Fargo zum Zuge.
Zu den größten Verlierern zählten auch JP Morgan (minus 7,9% auf 45,90 Dollar) und die Bank of America (minus 5,2% auf 34,48 Dollar). Beide Papiere hatten in den vergangenen Wochen eine Rallye hingelegt. Möglicherweise wurden dort jetzt Gewinne mitgenommen.

S&P 500: Schlechte Zeiten für Sin City

Bis gegen 13:00 Uhr US-Ostküstenzeit profitierte der S&P 500 - und vor allem die Finanz-Titel - von einer Bankenhochzeit. Im allgemeinen Verkaufsrausch verpuffte dieser Effekt aber wieder. Der Bankkonzern Wells Fargo schluckt das angeschlagene Kreditinstitut Wachovia aus eigener Kraft, also ohne dass dazu irgendwelche staatliche Hilfen notwendig sind. Wells Fargo zahlt dabei in eigenen Aktien und gewährt den Wachovia-Aktionären im Vergleich zum gestrigen Schlusskurs einen Aufpreis von rund 80 Prozent. Zum Schluss verlor Wells Fargo 1,7% auf 34,56 Dollar (Tageshoch 38,95 Dollar). Wachovia sprang 59% auf 6,21 Dollar (Tageshoch 7,05 Dollar).

Tops:

Die Tatsache, dass Wells Fargo den Wachovia-Aktionären eine hohe Übernahmeprämie bewilligte, gab auch zahlreichen anderen Finanzwerten beträchtlichen Schub. Die Regionalbank National City sprang 11,8% auf 3,51 Dollar und Regions Financial Corp kletterte 14% auf 13,52 Dollar.
Die Ex-Investmentbank (jetzt Bankenholding) Morgan Stanley avancierte 3,1% auf 23,92 Dollar. Die japanische Mitsubishi UFJ Financial Group erwägt ihren Wertpapierbereich mit den Amerikanern zusammenzuschließen.
Met Life verbesserte sich 2,9% auf 42,13 Dollar. Der Versicherungskonzern erholte sich wieder ein bisschen von einer Verkaufspanik, die eine verantwortungslose Äußerung eines Politikers verursacht hatte. Der Senator Harry Reich (Demokraten) behauptete bereits am Mittwoch, ein großer Versicherer stünde kurz vor dem Bankrott, ohne allerdings einen Namen zu nennen. Der Broker Keefe Bruyette hob den zu Unrecht abgestraften Assekuranz-Titel von „Market Perform“ auf „Outperform“ an.

Global Payments kletterte 19,2% auf 48,93 Dollar. Der Zahlungsverkehrs-Dienstleister schlug bei Gewinn und Umsatz die Erwartungen der Wall Street. Der Broker Susquehanna Financial reagierte darauf und korrigierte seine Einschätzung von „Negative“ auf „Neutral“.
SLM Corp gewann 7,8% auf 10,01 Dollar. Der Studentenfinanzierer, auch bekannt als Sallie Mae, kündigte bereits gestern an, dass der Gewinn des 3. Quartals über den Erwartungen der Wall Street liegt. Außerdem sei man reichlich mit Kapital ausgestattet und daher von nicht der aktuellen Kreditkrise betroffen, hieß es.

Family Dollar Stores verteuerte sich 1,5% auf 24,55 Dollar. Der Discounthändler profitiert anscheinend von der Krise. Dank günstiger Preise steigerte die Supermarktkette Gewinn und Umsatz stärker als die Wall Street erwartet hatte.
Costco Wholesale legte 1,1% auf 62,60 Dollar zu. Goldman Sachs beförderte den Warenhausbetreiber von „Neutral“ auf „kaufen“. Nach den jüngsten Kursrückgängen sei die Bewertung attraktiv. Außerdem bewähre sich das Geschäftsmodells des Discounters gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten.

Flops:

Penn National Gaming verlor dagegen 14,3% auf 20,03 Dollar. Der Casinobetreiber hatte bereits gestern seinen Ausblick auf das gerade beendete 3. Quartal gekürzt. Ursachen: Konjunkturschwäche, Hurricane-Schäden und hohe Ausgaben für Lobby-Arbeit. Heute reagierte darauf die Deutsche Bank und degradierte den Casino-Titel von „Kaufen“ auf „Halten“ und dampfte das Kurziel auf 25 Dollar ein (vorher: 36 Dollar). Wegen des schwachen gesamtwirtschaftlichen Umfelds, derzeit ein Lieblingsbegriff der Bilanzauswerter, bestünde das Risiko, dass sich die Gewinnwarnungen in den kommenden Quartalen wiederholen. Der Rivale MGM Mirage zeigte sich solidarisch und sank 10,9% auf 21,00 Dollar.

Schering Plough verbilligte sich 5,8% auf 16,44 Dollar. Merrill Lynch degradierte den Pharma-Titel von „Neutral“ auf „Underperform“ und kappte das Kursziel von 22 Dollar auf 18 Dollar.

Nasdaq: Erfundene Herzattacke

Die Nasdaq litt - wie bereits in den vergangen Wochen - darunter, dass die Analysten im Gleichschritt ihre Gewinnschätzungen für den Technologiebereich eindämpfen. Stets mit dem Verweis auf die schwache Gesamtwirtschaft und die konjunkturellen Unsicherheit. Bei den Halbleiterherstellern litt vor allem Sandisk mit einem Tagesverlust von 11% auf 18,38 Dollar. Die Speicherchipaktie lebt vor allem von Spekulationen über die von der Koreanern Samsung angestrebte, aber von den Amerikanern abgelehnte, Übernahme. Heute kühlte sich die Fantasie anscheinend wieder etwas ab. Der Intel-Rivale Advanced Micro Devices (AMD) sprang dagegen nachrichtenlos 9,4% auf 4,53 Dollar. Intel avancierte immerhin um 0,6% auf 17,31 Dollar.
Der Philadelphia Semiconductor Sector Index, der 19 Halbleiter-Titel erfasst, verlor dagegen im Gleichschritt mit dem Gesamtmarkt 1,3% auf 284 Punkte.

Der Softwarebereich litt heute zusätzlich unter negativen Kommentaren der UBS und des Brokers Thomas Weisel. Beide stuften fließbandartig eines ganzes Bündel von Software-Titeln herunter. Begründet wurden die Anschläge mit dem derzeit bei den Analysten sehr populären Argument der sich abschwächenden Gesamtkonjunktur und den aktuellen Turbulenzen. Zu den Opfern zählten Adobe (minus 4,3% auf 33,69 Dollar, UBS degradierte von „Neutral“ auf „Verkaufen) und Saleforce.com (minus 5,9% auf 41,57 Dollar, UBS degradierte von „Neutral“ auf „Verkaufen). Microsoft konnte sich dagegen widersetzen und avancierte 0,3% auf 26,32 Dollar. Dort stützt seit Wochen ein massives Aktienrückkaufsprogramm.

McAfee gab 2% auf 32,16 Dollar ab. Der Spezialist für Sicherheits-Software, bewegte sich heute im Zerrspiegel der Analysten. Morgan Stanley startete die Beobachtung mit der Empfehlung „Übergewichten“ und Kursziel 44 Dollar. Das Unternehmen gewinne Marktanteile in allen Kernbereichen, hieß es. Der Broker Thomas Weisel senkte dagegen den gesamten Infrastruktur-Softwarebereich von „Favorable“ auf „Neutral", einschließlich McAfee. Der gesamte Bereich leide unter der gesamtwirtschaftlichen Schwäche, hieß es dort sehr pauschal.

Apple sank 3% auf 97,07 Dollar. Das Tageshoch - kurz vor dem Beschluss des Repräsentantenhauses - lag bei 106,50 Dollar. Damit gab das Papier im Zuge des allgemeinen Kursrutsches knapp 9% ab. Die Aktie hatte bereits einen sehr volatilen Start. Ein TV-Kanal verbreitete das Gerücht, CEO Steve Jobs sei in der Notaufnahme wegen Herzattacke. Apple dementierte aber sofort. Barclays Capital senkte das Kursziel auf 135 Dollar (vorher: 180 Dollar), hält aber an der Empfehlung „Übergewichten“ fest. Wegen der allgemeinen Konjunkturschwäche geht die Bank von einem geringeren Verkaufswachstum bei iPods und Mac-Rechnern aus.
Der Smartphone-Rivale Research in Motion, Hersteller des BlackBerry, verlor 1,7% auf 60,96 Dollar.

Internet: Einsame Stimme der Vernunft
Die an der Nasdaq notierten Flaggschiffe des Internets mussten dem Konjunkturpessimismus ebenfalls ihren Tribut zollen. Google bröckelte 0,9% auf 386,91 Dollar. Tageshoch 412,50 Dollar. Glaubt man den Analysten, führt die aktuelle Konjunkturschwäche auch bei dem Suchmaschinenkönig zu einem geringeren Wachstum. Gleich vier Broker kürzten heute ihre Gewinnschätzungen für den Onlineriesen. Morgan Stanley bleibt zwar bei „Übergewichten“ und sieht den fairen Kurs bei 460 Dollar. Die Bank korrigierte aber ihre Gewinnschätzung für das laufende Gesamtjahr auf 19,45 Dollar je Aktie (vorher: 19,95 Dollar). Für 2010 werden jetzt 22,20 Dollar in Aussicht gestellt (vorher: 25,38 Dollar). Der Grund: Die Ausgaben von Unternehmen und Verbrauchern waren im September schwach - vor allem bei Autokonzernen und Banken. Darunter dürften auch deren Anzeigenaufträge gelitten haben. Der Broker American Technology Research bleibt bei seiner Kaufempfehlung, kappte aber sein Kursziel auf 480 Dollar (von 720 Dollar). Seine Gewinnschätzungen: 19,66 Dollar (2008) und 21,75 Dollar (2009).
Der Broker Jefferies bleibt bei „Kaufen“ und Kursziel 600 Dollar. Die Gewinnschätzungen gignen aber auf 19,32 Dollar (2008) und 24,22 Dollar (2009) herunter. Der Broker Collins Stewart korrigierte sein Kursziel auf 575 Dollar (von 615 Dollar).
Yahoo gewann dagegen 2,7% auf 16,00 Dollar, bewegt sich aber knapp über dem gestrigen 5-Jahres-Tief. Der Portalbetreiber wies das Gerücht, er entlasse wegen der angeblichen Anzeichenschwäche Mitarbeiter, als pure Spekulation zurück.
Baidu.com, Chinas Marktführer bei den Suchmaschinen, verlor 4,8% auf 222,37 Dollar.

Amazon.com gab 0,5% auf 67,00 Dollar ab. Tageshoch 70,95 Dollar. Bereits am Dienstag hatte Goldman Sachs Kaufempfehlung und Kursziel 98 Dollar bekräftigt. Dank seines Geschäftsmodells und seiner Marktstärke schlage sich der E-Commerce-Pionier gerade in schwierigen Zeiten besser als die Konkurrenz. In dem extrem pessimistischen Klima verhallte die einsame Stimme der Vernunft. Der Rivale Ebay sank 1,1% auf 18,94 Dollar.

Öl: Tribut an den Konjunkturpessimismus

Der anhaltende Konjunkturpessimismus forderte auch am Ölmarkt seinen Tribut. Der Crude-Kontrakt für November bröckelte heute an der New York Mercantile Exchange 9 Cents auf 93,88 Dollar. Das ist ein Wochenverlust von 12,2%, berichtet MarketWatch.

Gold: Im Gleichschritt mit dem Aktienmarkt

Das Gold begleitete heute den Aktienmarkt, der unter anhaltendem Konjunkturpessimismus leidet. Der Gold-Kontrakt für Dezember verlor heute 12,30 Dollar, oder 1,5%, auf 832 Dollar. Das ist ein Wochenverlust von mehr als 6%, berichtet MarketWatch.

Ausblick:

Montag:

Dienstag:
20:00 Uhr: Protokoll der vergangenen Notenbanksitzung
Quartalszahlen: Alcoa (Weltmarktführer Aluminium), Safeway (Lebensmittel-Supermärkte)

Mittwoch:
16:00 Uhr: Noch nicht abgeschlossene Eigenheimverkäufe, 16:35 Uhr Ölvorräte der Vorwoche
Quartalszahlen: Costco Wholesale (Warenhäuser), Monsanto (genverändertes Saatgut)

Donnerstag:
14:30 Uhr Arbeitslosenmeldungen der Vorwoche, 16:00 Lagerhaltung Grosshandel vom August

Freitag:
14:30 Uhr: Handelsbilanz vom August plus Export- und Importpreise vom September
Quartalszahlen: General Electric (Mischkonzern)

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