Kommentar
14:14 Uhr, 07.02.2022

Wachstumsdelle oder ernstzunehmender Abschwung?

2021 war ein starkes Wachstumsjahr. Kein Wunder, der Einbruch war 2020 auch groß. Mit abgeschlossener Aufholjagd und einer Normalisierung der Staatsausgaben wird 2022 nun ein schwieriges Jahr.

Eine Verlangsamung des Wachstums in diesem Jahr ist keine Überraschung. Wachstumsraten wie 2021 lassen sich nicht lange aufrechterhalten. Ein Großteil des Einbruchs aus 2020 ist wettgemacht. Die Aufholjagd findet damit ein Ende. Einige Länder haben das Vorkrisenniveau bereits wieder überschritten. Dazu gehören die USA.

In anderen Ländern dauert es noch. Zu dieser Gruppe gehört auch Deutschland. 2021 war ein vergleichsweise schlechtes Wachstumsjahr. Die Wirtschaftsleistung wuchs gerade einmal um 1,4 %. Noch vor wenigen Wochen hätte man das gelassen abtun können, denn die rosigen Prognosen für 2022 und 2023 änderten sich nicht. Was 2021 nicht an Wachstum erreicht wurde, würden Ländern einfach 2022 und 2023 nachholen.

Das war das Motto der Prognosen seit Ende 2020. Gab es eine neue Infektionswelle und wuchs die Wirtschaft aus diesem Grund in einem Quartal langsamer, wurden die Prognosen für die Folgequartale einfach um den gleichen Betrag erhöht. Wachstum wurde nicht aufgehoben, nur aufgeschoben.

Nun schrumpfte die deutsche Wirtschaft Ende 2021 und zeitgleich aktualisierte der Internationale Währungsfonds seine Prognosen. Die Überraschung: Die Prognosen wurden nach unten revidiert, nicht nach oben. Das gilt selbst für Deutschland, welches eigentlich nun das Ende 2021 verlorene Wachstum in 2022 aufholen sollte.

Zum Teil wurden die Vorhersagen für 2022 stark gesenkt. Kanada etwa soll gleich um 0,8 Prozentpunkte weniger wachsen. Das ist sicherlich auch dem ersten Quartal geschuldet, in dem Omikron das Wachstum noch dämpft. Umso auffälliger ist es, dass die Zahlen für 2023 kaum nach oben revidiert wurden (Grafik 1).

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In einigen Ländern geht der IWF immer noch davon aus, dass sich das Wachstum einfach weiter in die Zukunft verschiebt. Einige Länder, z.B. Kanada, tanzen aus der Reihe. Das dürfte erst der Anfang der Erkenntnis sein, dass sich das Wachstum, welches heute nicht erzielt wird, nicht einfach zum Wachstum im Folgejahr addieren lässt.

Die Prognosen des IWF, der OECD und anderen Institutionen hinken der Realität meist hinterher. Im Aufschwung wird das Wachstum unterschätzt, im Abschwung überschätzt. Aktuell wird eine Abkühlung erwartet und man kann davon ausgehen, dass die Prognosen wie üblich in diesem Umfeld zu rosig sind.

Sie könnten sich sogar als vollkommen realitätsfern herausstellen. Die Frühindikatoren in Ländern, die knapp 90 % der Weltwirtschaftsleistung ausmachen, sinken. Nur noch in einem Drittel der Länder steigen die Frühindikatoren. Diese gehen den Einkaufsmanagerindizes um sechs Monate voraus, die wiederum das Wachstum in den kommenden sechs Monaten prognostizieren.

Für die USA ist kaum zu übersehen, wie der Einkaufsmanagerindex den Frühindikatoren folgt (Grafik 2). Ab Juni 2022 bedeutet dies Stagnation in den USA. In Deutschland sieht es nicht besser aus (Grafik 3). Behalten die Frühindikatoren Recht, steht der Welt bis Jahresmitte beinahe eine Vollbremsung bevor. Nach solchen Szenarien sucht man in den Prognosen des IWF oder anderen vergeblich.

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Man kann nur hoffen, dass sich die Frühindikatoren irren. Eine Vollbremsung kann man sich nur schwer vorstellen. Einige Argumente sprechen dagegen. Durch die Omikronwelle wurde neues Nachholpotenzial geschaffen. Laufen Maßnahmen aus, zieht das Wachstum automatisch wieder an. Zugleich arbeiten Unternehmen daran, ihre Lager wieder zu füllen. Die Auftragsbücher sind nach wie vor voll und das Abarbeiten wird Quartale in Anspruch nehmen.

Im Sommer sollte die Welt größtenteils offen sein. Es besteht im Tourismus enormer Nachholbedarf. Bis zum dritten Quartal erscheint eine Vollbremsung unrealistisch. Es kann aber gut sein, dass diese Sonderfaktoren (Lager auffüllen, Nachholeffekt nach Omikron, Sommertourismus) verdecken, wie wenig Kraft die Wirtschaft hat.

Aktuell gehe ich nicht von einer Vollbremsung aus. Ich denke aber, dass sich das Wachstum sehr viel schneller verlangsamt als viele denken. Grafik 4 zeigt dazu nochmals die Prognosen für 2022 und im Vergleich das potenzielle Wachstum des jeweiligen Landes. Das potenzielle Wachstum ist das langfristig mögliche, welches sich aus Produktivitäts- und Bevölkerungswachstum ergibt. Wir werden eine schnellere Rückkehr zu diesen Werten sehen als bisher vorhergesagt. Wird das erst offensichtlich, wird es viele in Panik versetzen. Als Anleger sollte man sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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