Kommentar
08:07 Uhr, 16.05.2017

Vorsicht beim Ölpreis: Trotz Produktionskürzung weiter Überangebot

Aller Anzeichen zum Trotz bleiben viele Analysten dabei: Öl wird auf dem Weltmarkt schon bald wieder knapp. Es gibt nur einen Weg – den Weg nach oben.

Es sieht so aus, als würden sich OPEC und Russland und möglicherweise weitere Förderländer auf eine Verlängerung der Produktionskürzungen einigen. Das wird kurzfristig etwas bringen wie auch die Reaktion des Ölpreises im Handel zeigt, doch mittelfristig sieht die Sache anders aus. Die Historie gibt ein deutliches Bild. Die Sache ist im Kern einfach. Hohe Investitionen in der Vergangenheit haben zu einer Überkapazität geführt. Erst, wenn diese abgebaut ist, kann der Ölpreis wieder nachhaltig steigen.

Soweit sind sich noch alle einige. Ist das Angebot zu hoch, muss der Preis sinken. Der Ölmarkt ist dabei nicht anders als jeder andere Markt auch. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Wie es mit Angebot und Nachfrage weitergeht, ist allerdings ziemlich strittig.

Da gibt es einmal eine Mehrzahl an Analysten, die von einer raschen Rückkehr des Marktes zum Gleichgewicht ausgehen. Sie nennen vor allem einen Grund: die Investitionen der Ölfirmen sind wegen der niedrigen Preise massiv gesunken. Das führt zwangsläufig zu niedrigerem Angebot in der Zukunft. Viele haben bereits für 2017 eine Rückkehr zum Gleichgewicht angekündigt.

Nun ist es schon Mai und von Gleichgewicht ist keine Spur. Zudem haben sich die OPEC Länder eine Fördermengenkürzung von über 1 Mio. Barrel abgerungen. Trotzdem zündet der Ölpreis nicht. Das stört die Analysten nicht. Sie beharren: das Gleichgewicht wartet um die Ecke und wenn nicht heute oder bis Ende 2017, dann doch spätestens 2018.

Da gibt es natürlich auch noch andere Ansichten. Eine Minderheit geht davon aus, dass es weitaus länger dauern wird, bis das Gleichgewicht auf dem Ölmarkt wieder gefunden ist. Zu dieser Minderheit zähle auch ich mich. Ein Blick auf die Historie zeigt, wieso ich von einer längeren Anpassungsphase ausgehe.

Die Grafik zeigt die Investitionen der US-Ölindustrie im eigenen Land. Auch wenn die US-Ölindustrie lange Zeit nur ein kleinerer Player auf dem Weltmarkt war, sind die Investitionen eine hervorragende Indikation für das, was weltweit vor sich geht.

Die Investitionen brachen mit dem Ölpreis ein. Sie gingen zeitweise um 70 % zurück. Der Ölpreis fiel etwas stärker. Die Größenordnung ist jedoch sehr ähnlich. Seit wenigen Monaten erholen sich die Investitionen wieder. Dies geschieht, obwohl das Überangebot auf dem Weltmarkt noch lange nicht verschwunden ist.

Die USA fördern schon wieder eine Million Barrel Öl pro Tag mehr als noch vor gut einem Jahr. Die OPEC könnte problemlos eine Mio. Barrel zusätzlich auf den Markt bringen, vermutlich sogar 2 Mio. Russland hat auch noch Luft nach oben und könnte weitere 500.000 Barrel pro Tag beisteuern.

Bei Preisen um 50 Dollar wird in den USA investiert. Geht das Tempo so weiter wie bisher, können US-Schieferölunternehmen auf Jahressicht noch einmal 1 Mio. Barrel/Tag mehr fördern. Das Nachfragewachstum der kommenden zwei bis drei Jahre kann das Überangebot mit etwas Glück abschöpfen. Vielleicht dauert es aber auch länger.

Die aktuelle Situation gab es schon einmal. Als der Ölpreis durch das Embargo in den 70er Jahren in die Höhe schnellte, zogen die Investitionen mit. Sie stiegen zwischen 1971 und 1982 von 2,5 Mrd. auf 55 Mrd. Als die Investitionen Früchte trugen und all das Öl auf den Markt kam, brach der Ölpreis von 40 Dollar auf 11 Dollar ein. Die Investitionen kollabierten ebenfalls und erreichten nach dem Hoch 1982 ihr Tief im Jahr 1987 bei 11 Mrd.

Selbst bei den niedrigen Ölpreisen brauchte es viele Jahre bis Öl knapp wurde. Ölpreise in der Range 15 bis 25 Dollar reichten aus, um die Investitionen auf einem Niveau zu halten, welches zu einem Gleichgewicht führte. Erst Ende der 90er Jahre kam es zu einem raschen Nachfrageanstieg und die Investitionen reichten nicht mehr aus. Der Ölpreis stieg und ermunterte so steigende Investitionen.

Der Boom vor 40 Jahren dauerte 11 Jahre. Dieses Mal ging er fast 15 Jahre lang. Damals brauchte es 12 Jahre, bis der Ölpreis wieder nachhaltig steigen konnte. Wieso sollte es heute anders sein?

Einige führen an, dass Investitionen heute getätigt werden müssen, damit das Öl in 5 Jahren fließen kann. Das ist richtig, aber auch nur bis zu einem gewissen Grad. Die Schieferölindustrie hat bewiesen, dass sie die Produktion innerhalb eines Jahres um 1 Mio. Barrel/Tag steigern kann. Das war bei Preisen von etwas weniger als 50 Dollar. Man stelle sich nur vor, was passiert, wenn Öl bei 60 Dollar notiert.

Über Ölknappheit würde ich mir wirklich keine Sorgen machen. Der Preis sollte entsprechend noch über längere Zeit hinaus zwischen 40 und 60 Dollar schwanken. Vielleicht ist es ja dieses Mal anders... ich glaube es aber nicht.

Clemens Schmale

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1 Kommentar

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  • Bigdogg
    Bigdogg

    Ja, klingt alles ziemlich plausibel was sie da zum Öl schreiben. Danke für die Ausführungen.

    11:54 Uhr, 16.05.2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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