Von Mensch zu Mensch: Wichtige Rolle von Menschenrechten beim Investieren
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Auf der unternehmerischen Jagd nach Gewinnen ist der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Rechten mitunter auf der Strecke geblieben. Andere Unternehmen blenden schlicht aus, was sich entlang ihrer Lieferketten abspielt und verletzen so ihre Sorgfaltspflicht.
„Die Achtung der Menschenrechte bildet das Fundament eines jeden Unternehmens“, meint Vaidehee Sachdev, die in ihrer Funktion als People Pillar Lead und Impact Analyst im Sustainable Outcomes-Team bei Aviva Investors die Research- und Engagement-Aktivitäten des Unternehmens im Zusammenhang mit sozialen Fragen verantwortet.
Doch dieses Thema geht auch Anleger etwas an. Verstöße gegen die Menschenrechte strahlen weit aus.Es bedarf der gebündelten Kraft aller beteiligten Interessengruppen, hier nachhaltige Lösungen zu finden.
Unzureichende Governance und Einsparungen an der falschen Stelle können katastrophale Folgen haben und auf kommunaler Ebene massive Schäden anrichten oder gar Menschenleben kosten. Zudem sind Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) zufolge auch heute noch 25 Millionen Menschen weltweit in Zwangsarbeit gefangen, und jedes vierte Opfer moderner Sklaverei ist ein Kind.
Die Nichtregierungsorganisation KnowTheChain hat sich zum Ziel gesetzt, Unternehmen und Anleger über das Thema Zwangsarbeit aufzuklären und dabei zu unterstützen, diesbezügliche Risiken in den Lieferketten anzugehen. Zu diesem Zweck hat die zivilgesellschaftliche Organisation 180 der größten Unternehmen aus drei besonders von Zwangsarbeit betroffenen Sektoren, Informations- und Kommunikationstechnologie, Lebensmittel und Getränke sowie Bekleidung und Schuhe, unter die Lupe genommen und anhand bestimmter Kriterien bewertet.
„Tatsächlich finden sich in unseren Rankings jedes Mal schwarze Schafe mit einem Score von null Punkten“, so Felicitas Weber, Project Director bei KnowTheChain. „Es lässt sich leicht ausmalen, wie weniger im Rampenlicht stehende Unternehmen agieren, wenn nicht einmal die weltweit größten Akteure in den Sektoren mit hohem Risiko gezielt und wirksam gegen einige der schlimmsten Formen von Ausbeutung vorgehen.“
„Soziale Verantwortung lässt sich aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten, aber stets sind die Menschenrechte das allen Aspekten übergeordnete Konzept“, meint auch Marte Borhaug, Global Head of Sustainable Outcomes bei Aviva Investors. „Bei der Auslegung der Menschenrechte mag es durchaus Unterschiede geben, aber wenn man sich die Wurzeln dieser Idee anschaut, geht es doch immer um all die sozialen Aspekte, für die das „S“ in ESG steht.“
Warum sind Menschenrechte auch für Anleger so wichtig?
In den Personalabteilungen weiß man inzwischen, welche Auswirkungen Niedriglöhne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz, Gesundheit und Sicherheit sowie übermäßig lange Arbeitszeiten auf die Mitarbeiter haben können, von den Risiken moderner Sklaverei – zu der auch Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und Menschenhandel zählen – einmal ganz abgesehen.
Moderne Sklaverei stellt eine schwere Bedrohung für die globalen Lieferketten dar und ist umso schwieriger zu entlarven und zu beseitigen, je mehr Glieder die Lieferkette eines Unternehmens hat und je mehr Länder involviert sind.
„Wenn es um Menschenrechte geht, liegt die Wurzel des Problems häufig in der Lieferkette. Natürlich gibt es vereinzelt auch Menschenrechtsverletzungen im Unternehmen selbst, doch das Hauptproblem besteht ganz klar in den zahllosen Fällen von Kinder- und Zwangsarbeit sowie Ausbeutung in der Textil- und Lebensmittelbranche“, so Dan Neale, Lead Social Transformation bei der World Benchmarking Alliance (WBA).
In seinen Augen liegt die Schwierigkeit darin, den Zusammenhang zwischen dem Handeln und der damit einhergehenden Verantwortung von Unternehmen und solchen ganz realen Auswirkungen herzustellen. Zwar ist in den von den Vereinten Nationen veröffentlichten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte die Verantwortung der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg fest verankert. Inwieweit die Unternehmen diese Verantwortung im konkreten Fall jedoch zu übernehmen und für Abhilfemaßnahmen zu sorgen haben, hängt indes stark von den jeweiligen Zusammenhängen ab.
Als Finanzierungsquelle für Unternehmen, aber auch mit ihrer Forderung nach schnellen Renditen tragen Anleger somit – wenn auch indirekt – ebenfalls Verantwortung. Insgesamt kann man von einem systematischen Marktversagen sprechen, das es unbedingt zu beheben gilt.
Abgesehen vom moralischen Imperativ, der die Achtung und den Schutz der Menschenrechte verlangt und vorschreibt, bei Verstößen einzugreifen, birgt dieses Themenfeld jedoch auch Chancen für Unternehmen.
Welche Stellschrauben stehen Anlegern zur Verfügung?
Die der WBA angeschlossene Corporate Human Rights Benchmark (CHRB) ist die erste kostenlose und öffentlich verfügbare Benchmark, die 230 führende Unternehmen anhand ihrer Menschenrechtspolitik bewertet. Leiterin ist Camille Le Pors, die die Nutzung von Benchmark-Daten durch Anleger als zentrales Element im Dialog mit Unternehmen sieht.
„Der Sinn und Zweck von Benchmarks entfaltet sich erst dann vollständig, wenn sie von Dritten als Druckmittel genutzt werden, um Einfluss zu nehmen und Unternehmen so zu Veränderungen zu bewegen“, erläutert sie.
Jedes Unternehmen, das sich dem Thema und seiner diesbezüglichen Verantwortung stellen möchte, muss zuerst bei sich selbst ansetzen. So gilt es, die UN-Leitprinzipien zu verinnerlichen und im Unternehmen konsequent umzusetzen, interne Leitlinien zu Menschenrechtsfragen auszuarbeiten, konsequente Due Diligence zu betreiben und dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter und Kunden fair behandelt und die nötigen Strukturen geschaffen werden, um Beschwerdewege einzurichten und wirksam – notfalls auch juristisch – gegen Verstöße vorzugehen und Whistleblowing zu ermöglichen. Für Anleger, die sich in ihren Anlageentscheidungen dem Schutz der Menschenrechte verpflichtet fühlen, besteht die Aufgabe darin, branchenübergreifend zu denken, sich mit den größten Risiken der einzelnen Sektoren vertraut zu machen. Dazu zählt zum Beispiel ihr Stimmrecht als Aktionäre einzusetzen, um Unternehmen und Regierungen auf bilateraler Ebene, aber auch im Schulterschluss mit gleichgesinnten Anlegern zur Achtung der Menschenrechte zu verpflichten.
Die WBA hat sieben zentrale Elemente identifiziert, die notwendig sind, um einen Systemwandel herbeizuführen und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) umzusetzen. Im Zentrum steht der soziale Aspekt. Die WBA formuliert hier wiederum zwölf zentrale Punkte, die Unternehmen erfüllen müssen, um niemanden zu benachteiligen, SDG-konform zu handeln und aktiv mitzuwirken, die Welt gerechter zu machen. Die CHRB-Methode eignet sich mit ihrem Fokus auf den Umgang mit Menschenrechten in Hochrisikosektoren als weitere Orientierungshilfe.
Diese Kennzahlen und die auf deren Grundlage erstellten Benchmarks liefern Anlegern das notwendige Handwerkszeug, um Vergleiche zwischen Unternehmen zu ziehen und so zu einem Wettbewerb um die beste Position zu animieren. Ergänzend dazu muss im Rahmen einer Bottom-up-Analyse genau hinterfragt werden, bei welchen Unternehmen möglicherweise schädliche Verhaltensweisen praktiziert werden oder die Gefahr einer Verwicklung in solche Verhaltensweisen besteht.
Um sich ein Bild von den Sektoren zu machen, die dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen am stärksten ausgesetzt sind, kann es für Anleger auch hilfreich sein, den Kontakt zu auf das Thema Menschenrechte spezialisierten NGOs zu suchen. Nach Einschätzung von CHRB und KnowTheChain sind die Risiken in den Sektoren Lebensmittel und Agrarprodukte, Bekleidung sowie im Produktionssegment der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) am größten. Die CHRB deckt außerdem die Automobilproduktion und die Rohstoffindustrie, einschließlich Bergbau und Öl- und Gasindustrie, ab.
Was den Dialog mit Unternehmen anbelangt, müssen Prioritäten gesetzt werden. „Proaktive Einflussnahme setzt einen intensiven persönlichen Austausch mit dem Management voraus. Es gilt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, sich ein genaues Bild von der Geschäftstätigkeit zu machen und sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und dessen Ansichten zu respektieren. All dies geschieht nicht von heute auf morgen“, resümiert Marte Borhaug.
Für Anleger geht es vor allem darum herauszufinden, wie stark die zu einem Unternehmen bereits bestehenden Beziehungen sind, was häufig unmittelbar mit der Höhe der Beteiligung korreliert. Aber auch die Frage, wie hoch die Chancen sind, Veränderungen zu erreichen, spielt eine Rolle.
Organisationen wie KnowTheChain mit ins Boot zu holen, hat sich als wirksames Mittel erwiesen, um einen Wandel herbeizuführen. „Wir arbeiten mit vielen Investoren zusammen, um diese im Dialog mit den einzelnen Unternehmen zu unterstützen, aber auch um unter der Federführung des Interfaith Center on Corporate Responsibility und auf Grundlage der Prinzipien für verantwortungsbewusstes Investieren im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen im Bekleidungssektor und gegen Zwangsarbeit gemeinsam etwas zu bewegen“, erklärt Felicitas Weber.
Außerdem müssen Instrumente wie die Stimmrechtsausübung bei Hauptversammlungen viel systematischer eingesetzt werden, um aktiv Einfluss zu nehmen. Einer von Dalriada, einem unabhängigen Treuhanddienstleister für britische Pensionsfonds, durchgeführten Umfrage zufolge kann nur ein Drittel aller Vermögensverwalter konkrete Angaben darüber machen, inwieweit Einfluss über die Ausübung von Stimmrechten genommen wird.
In Klimafragen sind hier nach Ansicht von Vaidehee Sachdev bereits erste Fortschritte festzustellen, was daran liegt, dass das Thema in aller Munde ist, der öffentliche Druck auf die Unternehmen, etwas zu verändern, zunimmt und Anleger, die ihr Stimmrecht nicht als Hebel nutzen, sich entsprechender Kritik ausgesetzt sehen. In Bezug auf die Menschenrechte ist man hiervon jedoch noch weit entfernt.
Wichtig: ein verbindlicher Aufsichtsrahmen
Auch wenn sich über aktive Teilnahme viel erreichen lässt, ist die Rolle der Politik nicht zu unterschätzen, die einen rechtsverbindlichen Rahmen für verantwortungsvolles Handeln schaffen und Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen muss.
„Die Unternehmen hatten inzwischen einige Jahre Zeit, aus eigenem Antrieb Dinge zum Guten zu wenden. In einigen Fällen scheint Freiwilligkeit jedoch nicht zu funktionieren“, urteilt Marte Borhaug und ergänzt: „Die Achtung der Menschenrechte kann jedoch keine Frage von Freiwilligkeit sein. Genau in diesem Punkt gilt es dringend Abhilfe zu schaffen, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen.“
Solange keine rechtliche Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte besteht, wird es viele Unternehmen geben, die vor allem aus Kostengründen die Augen vor diesem Problem verschließen.
„Die Krux besteht darin, dass ein Unternehmen, das verantwortungsvoll mit dem Thema Menschenrechte umgeht, Geld in die Hand nehmen muss, während ein Unternehmen, das das Thema schlicht ausblendet, vermutlich sogar Kosten spart“, so Thomas Tayler, Senior Manager im Aviva Investors Sustainable Finance Centre for Excellence.
Zwar sind die Menschenrechte im internationalen Recht sowie in einigen nationalen Gesetzen wie dem britischen Gesetz zur Bekämpfung moderner Sklaverei (UK Modern Slavery Act) durchaus verankert, es fehlt jedoch an klaren Vorgaben und einem Zeitrahmen für die Umsetzung durch die Unternehmen.
„Aus dem CHRB-Ranking geht hervor, dass es im unteren Bewertungsspektrum einige schwarze Schafe gibt, die seit erstmaliger Veröffentlichung der Benchmark im Jahr 2016 keinerlei Fortschritte erkennen lassen“, konstatiert Marte Borhaug. „Wenn Unternehmen Jahr für Jahr durch das Raster fallen, muss dringend die Messlatte höher gelegt werden.“
Pauschale Zielvorgaben sind jedoch nicht zielführend. Vielmehr müssen für jeden Sektor die Hauptrisiken im Zusammenhang mit Menschenrechten isoliert betrachtet und die Ziele entsprechend angepasst werden. Zehn Jahre nach Auflegung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nimmt die UN eine Bestandsaufnahme vor, um herauszufinden, was in der Vergangenheit gut lief und was nicht. Ziel ist es, das Rahmenwerk so umzugestalten, dass es weitere zehn Jahre als Richtschnur dienen kann.
Unternehmen in die Pflicht nehmen
„Es ist höchste Zeit, dass von staatlicher Seite stärker auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben geachtet wird und Betroffene wirksame Rechtsmittel an die Hand bekommen, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen“, fordert Felicitas Weber von KnowTheChain.
Dies gilt sowohl auf globaler Ebene, wo über die Einrichtung einer Ombudsstelle Regressmöglichkeiten geschaffen werden könnten, als auch auf nationaler und regionaler Ebene, wo die Aufgabe darin besteht, die UN-Leitprinzipien in nationales oder lokales Recht umzusetzen.
Nach der öffentlichen Konsultation der EU zu diesem Thema und damit in Zusammenhang stehenden Governance-Themen Ende 2020 zieht Thomas Tayler Bilanz. In seinen Augen bleibt die Frage offen, welche Konsequenzen Unternehmen zu befürchten haben, wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Lieferketten nicht nachkommen oder gar Menschenrechtsverstöße feststellen, aber nicht konsequent dagegen vorgehen.
„Geldbußen gehen letztlich zulasten von Verbrauchern und Anlegern und bewirken nicht unbedingt ein Umdenken beim Unternehmen selbst, auch wenn es durchaus Fälle geben mag, wo diese Vorgehensweise Wirkung zeigt“, ergänzt Tayler. Seiner Meinung nach müsste man vielmehr bei den Unternehmenslenkern ansetzen, die die Entscheidungen des Unternehmens zu verantworten haben. Nimmt man diese direkt in die Pflicht, könnte dies deutlich mehr Druck ausüben als rechtliche Schritte und die Verhängung von Bußgeldern.
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